Ohne Frauen keine Bildung
10.07.2020 Region, Bildung|SchuleMädchen zieht es in höhere Schulformen, Jungen sind im Schnitt älter als ihre Klassenkameradinnen und Primarschullehrer sind zu 83 Prozent weiblich. Aus der kantonalen Bildungsstatistik lernt man all das – und dass es im Frutigland die «schweizerischsten» Klassen ...
Mädchen zieht es in höhere Schulformen, Jungen sind im Schnitt älter als ihre Klassenkameradinnen und Primarschullehrer sind zu 83 Prozent weiblich. Aus der kantonalen Bildungsstatistik lernt man all das – und dass es im Frutigland die «schweizerischsten» Klassen gibt.
BIANCA HÜSING
«Ohne Frauen stünde das Schweizer Bildungswesen still.» Diese starke These stammt von Beat Zemp, der bis vor einem Jahr dem Lehrerverband Schweiz vorstand. Dass er recht hat, zeigt schon ein flüchtiger Blick in die jüngst erschienene Bildungsstatistik 2019 / 20 des Kantons Bern. 78 Prozent aller kantonalen Lehrpersonen sind demnach weiblich. Noch frappanter ist der Frauenanteil im Kindergarten (98 Prozent) und in der Basisstufe (97 Prozent). Die Zeiten, in denen Bildung eine reine Männerdomäne war, sind zweifelsohne vorbei.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Frauenanteil sinkt, je höher die Schulform ist. Ab Sek-1-Niveau machen weibliche Lehrpersonen nur noch etwas mehr als die Hälfte aus – abgesehen von Sonderformen wie «Integrative Förderung», «Spezialunterricht», «Begabtenföderung» oder «Logopädie und Psychomotorik». Hier führen sie die Statistik noch deutlich an.
In der Sekundarstufe 2 kippt das Verhältnis ins Gegenteil. Männer haben hier mit 58 Prozent die «Oberhand». An den Hochschulen schliesslich sind die Lehrpersonen zu 62 Prozent männlich. Zu möglichen Gründen dieser Entwicklung sagt die Statistik nichts. Doch die Konsequenzen lassen sich ganz real am Geldbeutel der Betreffenden ablesen: Gymnasiallehrer verdienen pro Jahr bis zu 30 000 Franken mehr als Primarlehrer – zumindest im Kanton Bern.
Jungen tendieren zur Berufsbildung
Interessanterweise zeigt sich bei den Schülerzahlen das gegenteilige Phänomen: Hier sind es eher die Mädchen, die nach höheren Schulformen streben. An Gymnasien sind 59 Prozent der Lernenden weiblich, an Hochschulen 56 Prozent und an Fachmittelschulen sogar 80 Prozent. Selbst unter den Doktorandinnen sind Frauen mit 55 Prozent in der Überzahl. Jungen schlagen eher den berufsbildenden Weg ein. Zahlenmässig liegen sie in der Berufsvorbereitung (61 Prozent), der beruflichen Grundbildung (56 Prozent) und an höheren Fachschulen (52 Prozent) vorn. Dabei sind die Geschlechter eigentlich ziemlich gleich verteilt: Von den total 111 754 Lernenden im Kanton Bern sind 49 Prozent Mädchen / Frauen.
Auch punkto Alter gibt es – wenn auch kleine – geschlechtsspezifische Unterschiede: Knaben sind im Schnitt etwas älter, da sie zum Teil später eingeschult werden und öfter eine Klasse wiederholen als Mädchen.
Stark durchmischte Klassen in Biel
Dass Mädchen lieber länger lernen, macht sich auch bei den Übertrittsquoten der einzelnen Verwaltungskreise bemerkbar. In Frutigen-Niedersimmental wechseln 66 Prozent aller Mädchen nach der 6. Klasse in eine Sekundarschule – und nur 51 Prozent aller Jungen. Aufs Gymnasium gehen 15 Prozent der Mädchen und 10 Prozent der Jungen. Insgesamt ist die Übertrittsquote in den ländlichen Verwaltungskreisen geringer als in den städtischen. So gehen 13 Prozent aller Frutigländer SchülerInnen aufs Gymnasium; in Bern-Mittelland sind es doppelt so viele. Hierin zeigt sich wohl auch das Vertrauen in die Schweizer Berufsbildung, die im Berner Oberland einen besonders guten Ruf geniesst.
Auch sonst schlagen sich interessante regionale Eigenheiten in der Bildungsstatistik nieder – zum Beispiel der Anteil «sehr heterogener Klassen». Als «sehr heterogen» (stark durchmischt) gilt eine Klasse, in der mindestens 30 Prozent der Schüler Ausländer und / oder fremdsprachig sind. Im Kreis Frutigen-Niedersimmental trifft das gerade mal auf 9 Prozent der Klassen zu. Zum Vergleich: Im multikulturellen Biel sind 79 Prozent der Schulklassen «sehr heterogen». Im Frutigland hat Kandersteg übrigens noch die grösste Durchmischung. Von den 81 Schulkindern der Gemeinde sind 25 Prozent Ausländer und 22 Prozent fremdsprachig – was vor allem an den portugiesischen Familien liegen dürfte. Die niedrigsten Ausländerquoten in den Schulen haben mit 1,8 Prozent Reichenbach und mit 4,4 Prozent Adelboden.
16 000 Franken pro Schüler
Trotz des demografischen Wandels gibt es inzwischen wieder mehr Lernende in den Schulen. Nachdem die Schülerzahl auf Primarstufe zwischen 2000 und 2013 kontinuierlich gesunken war, steigt sie seit 2014 wieder leicht an – mit entsprechenden finanziellen Auswirkungen. Die Gesamtkosten aller Volksschulen im Kanton Bern sind um 2,5 Prozent auf 1,65 Milliarden Franken angestiegen (rund 16 000 Franken pro Schüler). Für den Kostenzuwachs macht die Bildungsdirektion einerseits die gestiegenen Schülerzahlen verantwortlich und andererseit die Umstellung auf den neuen Lehrplan. 53 Prozent der anfallenden Kosten übernimmt der Kanton, den Rest tragen die Gemeinden selbst.
Die kantonalen Bildungsstatistiken finden Sie unter www.frutiglaender.ch/web-links.html