Auf der Schattenseite der Marktstände
28.08.2020 Coronavirus, Wirtschaft, RegionReichenbach nein, Adelboden nein, Frutigen nein, Aeschi nein: Fürs Publikum ist die Absage der grossen Herbstmärite einfach nur schade. Für Händler und Schausteller hingegen geht es um deutlich mehr.
BENJAMIN HALTMEIER
«Wir sind platzmässig an der Grenze des ...
Reichenbach nein, Adelboden nein, Frutigen nein, Aeschi nein: Fürs Publikum ist die Absage der grossen Herbstmärite einfach nur schade. Für Händler und Schausteller hingegen geht es um deutlich mehr.
BENJAMIN HALTMEIER
«Wir sind platzmässig an der Grenze des Möglichen», hiess es letztes Jahr in Aeschi. «Viele Besucher trotz Regen», hiess es in Reichenbach. «Es herrscht Hochbetrieb. Ein Sitzplatz ist schwer zu finden», hiess es in Adelboden. «Es gibt zeitweise kaum mehr ein Durchkommen», hiess es in Frutigen: Die Zeitungsberichte über die Frutigländer Herbstmärkte 2019 und auch die zugehörigen Bilder von überfüllten Gassen muten in der momentanen Situation unwirklich an. Denn knapp ein Jahr später erschwert oder verunmöglicht die Corona-Krise eine derart unbeschwerte Atmosphäre und das gemütliche Beisammensein auf engstem Raum.
«Das Risiko scheint zu gross»
In Reichenbach werden sich die Festszenen des Vorjahrs nicht wiederholen: Zwar gelten Jahrmärkte gemäss dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) nicht als Veranstaltungen und unterliegen damit auch nicht den aktuellen Vorgaben zur Maximalzahl von 1000 Teilnehmern. Dennoch haben die Organisatoren Mitte August beschlossen, den «Richebachmärit» vom 19. Oktober abzusagen. «Die Abstandsvorschriften können bei den engen Platzverhältnissen im Dorf nicht eingehalten werden. Das Risiko scheint dem Gemeinderat daher zu gross», erklärt Gemeindeschreiber Simon Hari auf Anfrage. Die MarktfahrerInnen wurden bereits letzte Woche informiert, dass der jährliche Event mit jeweils über 100 Ständen in der Bahnhof- und Dorfstrasse nicht stattfinden wird.
Ende letzter Woche schlossen sich Reichenbach weitere Frutigländer Gemeinden an: Ebenfalls nicht durchgeführt werden der Adelbodenmärit vom 1. Oktober sowie der Frutigmärit vom 30. Oktober (der «Frutigländer» berichtete). Anlässlich der Gemeinderatssitzung vom 20. August wurde auch in Aeschi beschlossen, den diesjährigen Aeschimärit vom 3. November abzusagen. Die instabile Covid-19-Situation habe zu diesem Entscheid geführt. Er sei koordiniert mit anderen Marktveranstaltern im Verwaltungskreis erfolgt, heisst es in einer Medienmitteilung. Nicht einmal im Pestjahr 1669 sei der Anlass in Aeschi ausgefallen. «Nun führt das heimtückische Virus 2020 zu einer erstmaligen Absage in knapp 400 Jahren.»
Der Marktverband zeigt sich besorgt
Die quirlige Stimmung, die vielfältigen Düfte und die angeregten Gespräche auf der Strasse dürften den Besuchern der letzten Jahre fehlen. Der Märit ist schliesslich ein Ort der Begegnung und gehört zur Talkultur. Wer ihn aber vor allem als Event und weniger als Verkaufsort erlebt, blendet die Situation der Anbieter aus. «Die Berner/Schweizer Händler erleben aktuell eine sehr schwierige wirtschaftliche Zeit. Wenn die Märkte weiterhin nicht stattfinden, drohen finanzielle Verluste, die nicht einfach abzudecken sind. Aber auch die Gemeinden, die lokalen Vereine und das Gewerbe erleben dadurch grosse Einbussen», erklärt Otto Rindisbacher. Der Präsident der Sektion Bern-Biel des Schweizerischen Marktverbands ist als Interessenvertreter unter anderem zuständig für die Märkte in Adelboden und Frutigen.
Obschon der Bundesrat ab Mai 2020 Märkte wieder erlaubt hat, gibt es auch ausserhalb des Frutiglands noch immer viele Absagen von Märkten und Messen. Allerdings haben sich gemäss Rindisbacher auch verschiedene Städte und Gemeinden «der neuen Herausforderung gestellt» und mit dem Schutzkonzept des Verbands trotzdem wieder Märkte durchgeführt. Einen Hoffnungschimmer gibt es ebenfalls in Frutigen, wo momentan ein Ersatz-Warenmarkt für berufstätige Marktfahrer im Bereich des ehemaligen Flugplatzes geprüft wird.
Der Sektionspräsident ist jedenfalls überzeugt, dass die Nachfrage bei Marktprodukten langfristig hoch bleibt: «Märkte erlebten bis zum Lockdown einen riesigen Erfolg und sind auch weiterhin topaktuell. Professionalität, Qualität sowie persönliche Beratung werden von der Kundschaft sehr geschätzt.»
Schausteller: «1,5 Meter bis zum Abgrund»
Während Markthändler Detailhandel mit Spezialitäten und Nischenprodukten betreiben, sind Schausteller fürs Fahrund Belustigungsgeschäft zuständig – dazu gehören etwa Spielbuden, Karusselle oder Schaukeln. Auch dieser Berufszweig kämpft gegenwärtig allerdings ums wirtschaftliche Überleben. Deshalb hatten sich Betroffene am vergangenen Mittwoch auf dem Berner Bundesplatz unter dem Slogan «1,5 Meter bis zum Abgrund» versammelt. Mit dem Aufmarsch in der Hauptstadt wollten sie auf ihre schwierige Situation aufmerksam machen.
Die Botschaft der Branche scheint in der Politik gehört worden zu sein: Die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Ständerats (WBK-S) hat letzte Woche verlangt, dass Schausteller besser unterstützt werden.
1 Verband – 2500 Händler
Der Schweizerische Marktverband (SMV) besteht aus fünf selbstständigen Sektionen, für das Berner Oberland zuständig ist die Sektion Bern-Biel. Der SMV ist schweizweit mit Politik und Berufsverbänden vernetzt und unterstützt Gemeinden auf Wunsch bei der Planung, der Bewerbung und der Ausführung der Märkte. Der Berufsverband zählt über 650 Mitglieder und will das Einkommen von rund 2500 Markthändlern sichern. Für Letztere sind 12- bis 18-Stunden-Tage vielfach die Regel. Momentan haben sie jedoch kaum die Möglichkeit, ihren Beruf auszuüben.
QUELLE: SMV-PRESSEDOSSIER
«MARKTHANDEL WÄHREND DER CORONA-PANDEMIE»