Muskelkater – wenn ungewohnte Belastungen schmerzen
04.08.2020 Sport, GesundheitUntrainiert auf die Laufrunde, ein paar Liegestütze zu viel, und am nächsten Tag zieht und schmerzt es: Muskelkater ist die Folge kleinster Verletzungen innerhalb der Muskelfasern. Die Annahme, eine Übersäuerung sei daran schuld, ist überholt.
Körperliche Betätigung ...
Untrainiert auf die Laufrunde, ein paar Liegestütze zu viel, und am nächsten Tag zieht und schmerzt es: Muskelkater ist die Folge kleinster Verletzungen innerhalb der Muskelfasern. Die Annahme, eine Übersäuerung sei daran schuld, ist überholt.
Körperliche Betätigung ist gesund und hält fit. Wer es jedoch übertreibt, seine Muskeln mit ungewohnten Anstrengungen überfordert oder untrainiert «Höchstleistungen» vollbracht hat, bekommt es in den folgenden Tagen zu spüren.
Im menschlichen Körper arbeiten über 600 Muskeln, die zusammen 40 bis 45 Prozent des Körpergewichts ausmachen. Kaum eine Tätigkeit, an der sie nicht beteiligt wären. Die Anzahl an Muskelfasern ist von Geburt her festgelegt. Durch Bewegungsreize (Training) werden sie dicker und länger, nehmen jedoch zahlenmässig nicht zu.
Über die glatte Muskulatur werden vitale Funktionen der inneren Organe (Blutgefässe, Atemwege, Magen-Darm-Trakt, Harnwege, Genitalien) sowie bestimmte Vorgänge im Auge (Pupillen, Nah-/Fern-Anpassung, Tränenfluss) beeinflusst. Die autonome Steuerung unterliegt dem vegetativen Nervensystem. Bewegungen der quergestreiften Muskulatur des Bewegungsapparats, des Gesichts, der Zunge, des Kehlkopfs, des Augapfels oder des Beckenbodens und des Zwerchfells können hingegen willkürlich ausgelöst werden.
«Mini-Teleskope» erledigen die Muskelarbeit
Die Muskulatur ist ein hochorganisiertes System aus spezialisiertem Muskelgewebe. Muskelfasern bündeln sich zu Muskeln, wobei jede einzelne Muskelfaser (bis 15 cm lang) aus mehreren Hundert längs liegenden Muskelfibrillen aufgebaut ist. Die Fasern, Bündel und Muskeln werden jeweils von Bindegewebe zu einer funktionellen Einheit zusammengehalten.
Streng geordnet reihen sich in den Fibrillen mikroskopisch kleine Kraftkammern aneinander (pro 10 cm Faserlänge etwa 40 000). Diese sogenannten Sarkomere sind das Herzstück der Muskelarbeit (siehe Kasten). Das Muster ihrer regelmässigen Abfolge gibt der Skelettmuskulatur ihren Namen «quergestreifte» Muskulatur.
In den Sarkomeren funktionieren die einzelnen Proteinstrukturen (Aktin und Myosin) wie kleine Teleskope. Sie schieben sich bei der Muskelkontraktion ineinander und gleiten bei der Entspannung wieder auseinander, ihre eigene Länge verändern sie dabei nicht.
Wird der Muskel sauer?
Bei übermässiger Anstrengung bildet sich im Muskel Milchsäure (Laktat). Lange schob man ihr die Schuld am Muskelkater zu. Sie sei dafür verantwortlich, wenn die Muskeln nach dem Sport schmerzten. Verschiedene Überlegungen sprechen gegen diese Annahme: Laktat bilden auch Spitzensportler, betroffen sind jedoch öfter die untrainierten Hobbyathleten. Erhöhte Kraftanwendungen führen öfter zu Muskelkater, obwohl ein kurzer, intensiver Lauf mehr Laktat bildet. Ausserdem treten die typischen Muskelschmerzen ein bis zwei Tage nach einer Anstrengung auf - der Laktatgehalt der Muskeln halbiert sich jedoch unmittelbar danach alle 20 Minuten.
Inzwischen weiss man, dass zu intensive und ungewohnte Belastungen kleinste Strukturen im Bereich der Sarkomergrenzen (Z-Scheiben) im Muskel zerstören, zum Beispiel wenn der Oberschenkelmuskel beim (zu) langen Abstieg als «Stossdämpfer» wirken muss.
Elektronenmikroskopische Untersuchungen an Muskelproben nach stärkeren Belastungen zeigten an bis zu 30 Prozent der Muskelfasern feine Zerreissungen im Bereich der Z-Scheiben.
Regeneration braucht Zeit
Die beste Prävention ist regelmässige Aktivität und gezieltes Training, um die persönliche Belastungsschwelle zu finden. Verschwinden Schmerzen ein paar Stunden später wieder, war die Intensität optimal. Muskelkater ist die Folge von falscher, ungewohnter oder übermässiger Belastung. Insbesondere Abbremsbewegungen, wie sie beim Abwärtsgehen vorkommen, führen schnell zu Mikrorissen in den Muskelfasern. Bei gleichzeitiger Verlängerung muss der Muskel bei dieser Belastung Kraft entwickeln. Das Überlastungsrisiko ist hierbei besonders hoch, weil weniger Muskeln im Einsatz sind als bei beschleunigenden Bewegungen.
Die überstrapazierten Muskelfasern benötigen Ruhe und Entspannung. Die kleinste Verletzung muss auskuriert und der betroffene Muskel geschont werden, um zu regenerieren. Ideal sind Aktivitäten mit kleiner Belastung, verbunden mit ruhiger Atmung: Spaziergänge, Velofahren oder Schwimmen. Sie regen Herz und Kreislauf an, die Durchblutung der Muskeln nimmt zu und die «Baustellen» werden mit den nötigen Reparaturstoffen versorgt.
Absolut kontraproduktiv ist es, hart zu bleiben und den Muskelkater auszublenden. Bei fortgesetzter Belastung drohen weitere Verletzungen der Muskelfasern (Faserriss) mit möglichen Vernarbungen. Gefragt sind Geduld vor der nächsten Anstrengung, kleinere Intensitäten oder andere Trainings bzw. Belastungen. Ein richtig verkaterter Muskel benötigt einige Tage, bis er sich vollständig regeneriert hat.
Was tun gegen die Schmerzen?
Ein spezifisches Mittel, um einen Muskelkater loszuwerden, gibt es nicht. Kaltes Wasser nach dem Sport soll die zu erwartenden Schmerzen etwas lindern, und gewissen Lebensmitteln werden unterstützende «Anti-Muskelkater»- Wirkungen zugeschrieben. Ingwer verbessert die Durchblutung, hat schmerzlindernde, antientzündliche Eigenschaften und kann die Muskelschmerzen abschwächen. Sauerkirschensaft ist reich an antioxidativen Pflanzenstoffen. Läufer, die in der Woche vor einem Langstreckenlauf täglich 700 Milliliter davon tranken, litten an deutlich weniger Muskelschmerzen als Läufer, die nur zum Schein den Fruchtsaft erhielten.
«Warum es sich zu leiden lohnt» betitelte «Die Zeit» ein Interview mit dem Sport-Physiotherapeuten Andreas Klose. «Muskelkater ist besser als sein Ruf. Er schneidet in der öffentlichen Meinung viel zu schlecht ab. Der Körper repariert übermässig belastete Muskeln so, dass sie nachher ein höheres Niveau erreichen. Der beste Schutz vor Muskelkater ist also, ihn zu bekommen.»
BEAT INNIGER, OFFIZIN-APOTHEKER FPH, ADELBODEN
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