Knapp am Absturz vorbeigeschrammt

  29.09.2020 Landwirtschaft

HANS RUDOLF SCHNEIDER
Der Kauf von neuen Kampfflugzeugen hat in der Schweiz eine wechselhafte Geschichte. Aus technischen Gründen gab es zwar Nullrunden bei Beschaffungsvorhaben und der Mirage-Skandal der 1960er-Jahre ist auch heute noch präsent. Jahrzehntelang wurden neue Flugzeuge aber jeweils vom Parlament gutgeheissen, das Volk hatte dazu nichts zu sagen. Das hat sich 1993 erstmals mit der Initiative der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) gegen die F/A-18-Beschaffung geändert. Das verlangte Moratorium wurde jedoch an der Urne abgelehnt. 2014 folgte dann ein deutliches Nein der Stimmbürger: Der Ersatz der «Tiger» wurde an der Urne blockiert, der vorgeschlagene schwedische «Gripen» stürzte ab.

Und lange Zeit sah es am Sonntag ebenfalls so aus, als würde die Luftwaffe in Zukunft auf modernere Kampfflugzeuge verzichten müssen. Nach einem stundenlangen Nervenkrieg verzeichneten die Befürworter einen Vorsprung von gerade mal 8670 Stimmen. Die letzten Umfragen vor dem Abstimmungswochenende hatten jeweils eine solide Zustimmung von 60 Prozent prognostiziert. Den ganzen Sonntagnachmittag über stieg die Zustimmung aber höchstens auf 50,6 Prozent. Am Ende blieb der Zähler bei 50,1 Prozent stehen. Dieses Ergebnis ist demokratisch eindeutig, und doch dürfte es sich für die Gewinner wie ein Nein anfühlen. Die Verlierer hingegen konnten sich freuen, niemand hatte ernsthaft mit einem solchen Ergebnis gerechnet.

Grosse Unterstützung im Frutigland
Im Verwaltungskreis Frutigen-Niedersimmental wurde das Geschäft in allen Gemeinden angenommen, im Schnitt mit 62,7 Prozent Ja. Die tiefste Zustimmung mit 54,7 Prozent ist in Spiez zu verzeichnen, die höchste mit 76,5 Prozent in Oberwil. Die Frutigländer Gemeinden bewegen sich zwischen 59,2 Prozent (Krattigen) und 68,5 Prozent (Adelboden). Dort ist mit 71 Prozent auch die höchste Stimmbeteiligung des Bezirks zu vermerken.

Ein zwiespältiges Verhältnis zu neuen Militärjets hat das östliche Oberland mit dem einzigen Alpenflugplatz der Luftwaffe. Während der Verwaltungskreis Interlaken-Oberhasli die Jets mit 56,5 Prozent gutheisst, gibt es in der Standortgemeinde Meiringen gerade mal 50,6 Prozent Ja-Stimmen. Die lärmgeplagten umliegenden Kommunen Brienz, Brienzwiler, Hofstetten und Schwanden lehnten den Kredit hingegen mit bis zu 62 Prozent ab.

Waren die Kosten ausschlaggebend?
Was letztlich das Zünglein an der Waage war, ist nicht einfach zu klären. Die welschen Kantone und das Tessin haben abgelehnt, die Zustimmung kommt also fast ausschliesslich aus der Deutschschweiz. Viele Fragen zu den Beweggründen der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger müssen in der Nachwahlanalyse geklärt werden. Wurde die Luftwaffe an sich in Frage gestellt, vielleicht sogar die Armee? Welchen Einfluss hatte die wirtschaftliche Lage infolge der Corona-Pandemie? Und welche Rolle spielten die Frauen, denen entscheidendes Gewicht und eine kritischere Haltung zugesprochen wurde? Wahrscheinlich trifft es die Interpretation «ja zu neuen Flugzeugen, aber bitte günstiger» am ehesten.

Neue Initiative angekündigt
Welche Konsequenzen zieht also das VBS? Man könnte in Bundesbern zum Alltag übergehen. In der Schweiz ist es aber üblich, Minderheiten zu berücksichtigen – vor allem, wenn sie so gross sind. Die Evaluation der Flugzeuge, welche für die Beschaffung infrage kommen, laufen nun weiter wie geplant, die vier Hersteller sind in den Startlöchern. Der Typenentscheid wird vom Bundesrat Mitte 2021 getroffen, dieser wird auch die Anzahl Flieger umfassen.

Dabei rückt die Frage ins Zentrum, ob sich die Schweiz von den USA oder den europäischen Herstellern abhängig macht. Je nach Wahl ist bereits eine Volksinitiative angekündigt – so soll der modernste und teuerste Jet, der amerikanische F-35, verhindert werden. Nach aktuellem Stand werden frühestens 2025 neue Flugzeuge in der Schweiz landen. Die Einsatzbereitschaft der Nachfolger von F-5 «Tiger» und F/A-18 «Hornet» dürfte dann erst zwei bis drei Jahre später erfolgen.

Wo wird investiert?
Das Ja vom Sonntag ist zudem noch nicht das Ende der Investitionen. Letzte Woche hat das Parlament das Budget des VBS für die nächsten vier Jahre erhöht, dieses Geld wird vor allem für die Jets benötigt. Zwei Milliarden wird die bodengestützte Luftabwehr kosten, dazu kommen teure Erneuerungen beim Heer. Und gegen neuere Bedrohungsarten muss in die Cyberabwehr und -kriegsführung investiert werden.

Angesichts der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie sind diese Investitionen mit Augenmass anzugehen. Sollten effiziente Lösungen für die Luftwaffe unterhalb der Kreditlimite von sechs Milliarden Franken möglich sein, ist das wünschenswert. Hier stehen Bundesrat und das Parlament in der Verantwortung, mit den Herstellern kann man verhandeln. Allerdings wäre eine günstigere Lösung im Rüstungsbereich ohne massive Abstriche bei der Leistung doch eher überraschend.


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