Wenn sich das Stimmvolk hintergangen fühlt

  29.09.2020 Landwirtschaft

JULIAN ZAHND
Ausgerechnet der sonst so moderaten CVP fehlte es dieses Mal an Augenmass. Die Christdemokraten waren es, welche die vom Bundesrat geplanten Steuerabzüge für Drittbetreuungskosten um eine weitere Erleichterung ergänzten: die Erhöhung des allgemeinen Kinderabzugs von 6500 auf 10 000 Franken. Zusammen mit den bürgerlichen Parteien brachte man die Vorlage durchs Parlament, aus jährlich 10 Millionen Franken an Steuerausfällen wurden 380 Millionen. Doch dieser Betrag war nicht das Hauptargument, weshalb die Sozialdemokraten das Referendum ergriffen, sondern die Frage der Gerechtigkeit. Je länger der Abstimmungskampf dauerte, desto klarer wurde ersichtlich: Am meisten vom Rabatt profitieren würden gutverdienende Haushalte mit einem steuerbaren Einkommen zwischen 160000 und 500000 Franken, während Wenigverdiener leer ausgehen. Die Zustimmung bröckelte.

Am Sonntag wurde die Vorlage schliesslich mit 63,2 Prozent noch deutlicher verworfen als erwartet. Der Unmut über die «Mogelpackung», wie Gegner die Vorlage immer wieder nannten, breitete sich offensichtlich auch in konservativen Randregionen der Schweiz aus, die somit gegen das bürgerliche Anliegen stimmten. So war das Nein beispielsweise im Appenzell oder auch im Berner Oberland besonders wuchtig – in Adelboden, Frutigen, Reichenbach und Krattigen betrug die Ablehnung mehr als 75 Prozent.

Die Abstimmungsgewinner wollen die Subventionen nun dort einführen, wo in erster Linie die unteren Einkommensschichten profitieren. Zwar erhalten Familien für Kita-Angebote schon heute sogenannte Betreuungsgutscheine, wobei die Rabatte mit höherem Einkommen abnehmen. Kitaplätze für Wenigverdiener sollen aber noch stärker vergünstigt werden. Diskutieren könnte man hierbei auch die Kinderzulagen (in Bern 230 Franken pro Kind und Monat), die derzeit nach dem Giesskannenprinzip verteilt werden. Brauchen höhere Einkommenschichten diesen Zustupf wirklich?

Die glp unterstützt hingegen die Rückkehr zum ursprünglichen Vorschlag des Bundesrates: die Erhöhung der maximalen Steuerabzüge für die externe Betreuung von 10 100 auf 25 000 Franken.

Keine Geheimnisse um Elternzeit
Dass das Frutigland mit dem Vaterschaftsurlaub auch der zweiten Familienvorlage eine Absage erteilte, überrascht derweil weniger. Das traditionelle Rollenmodell der Geschlechter ist im Tal tiefer verankert als anderswo, was sich beispielsweise auch in der spärlichen Zahl an Kitaplätzen zeigt. Die Ablehnung war hier entsprechend hoch, am meisten Widerstand gab es in Kandergrund mit über 70 Prozent Nein-Anteil. Dennoch wurde die Vorlage schweizweit mit 60,3 Prozent deutlich angenommen. Einzig die Kantone der Inner- und der Ostschweiz lehnten den Vaterschaftsurlaub ab. Rückten bei den Kinderabzügen zunehmend die Geldbeträge und vor allem deren Nutzniesser ins Zentrum der Debatte, blieben die Kosten des zweiwöchigen Vaterschaftsurlaubs, die auf jährlich 230 Millionen Franken geschätzt werden, eher ein Nebenschauplatz. Weit stärker diskutiert wurde die Vaterrolle in einer modernen Gesellschaft. Oftmals wurden dabei Vergleiche mit anderen europäischen Staaten gezogen, welche den Vaterschaftsurlaub und auch die Elternzeit längst eingeführt haben. Letztere wird übrigens auch hierzulande bereits gefordert, die Gewinner vom Sonntag nennen den Triumph denn auch bloss einen «Etappensieg». Die weitergehenden Forderungen wurden aber stets offen dargelegt – die SP Kanton Bern etwa lancierte mitten im Abstimmungskampf die Kampagne für eine 24-wöchige Elternzeit. Deshalb strafte die Bevölkerung das Begehren an der Urne im Gegensatz zu den Kinderabzügen nicht ab.


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