Immer mehr Gemeinden sagen ihre geplanten Herbst-Gemeindeversammlungen ab und organisieren stattdessen Urnenabstimmungen. Auch die Gemeinde Kandersteg greift nun zu diesem Instrument. Dabei sind Urnengänge dort gar nicht vorgesehen.

MARK POLLMEIER
Am 25. November 2012 erhielt der Kandersteger Gemeinderat von der Gemeindeversammlung den Auftrag, die Einführung von Urnengängen für lokale Angelegenheiten und Wahlen zu prüfen. Zur Begründung hiess es unter anderem, die BürgerInnen sollten abstimmen können, ohne dafür öffentlichem Druck ausgesetzt zu sein oder sich rechtfertigen zu müssen.

Unter der Ägide des damaligen Gemeinderats Urs Weibel wurde also eine entsprechende Vorlage ausgearbeitet und der Gemeindeversammlung am 7. Juni 2013 vorgelegt. Dabei listete der Gemeinderat die Vor- und Nachteile sowie den zu erwartenden Aufwand von Urnenabstimmungen und -wahlen auf. Eine Abstimmungsempfehlung gab der Rat nicht ab – die BürgerInnen sollten sich frei für die eine oder andere Variante entscheiden können.

Und das taten sie: Die Einführung von Urnengängen wurde abgelehnt. Abgestimmt wird in Kandersteg also nach wie vor offen an der Gemeindeversammlung – wobei ein Viertel der anwesenden Stimmberechtigten eine geheime Abstimmung verlangen kann (Art. 48 Organisationsreglement). Wahlen finden, so sie denn nötig sind, mittels Wahlzetteln ebenfalls an der Gemeindeversammlung statt.

So war es jedenfalls bisher. Nun aber hat die Gemeinde Kandersteg die für den 20. November 2020 geplante Gemeindeversammlung abgesagt. Stattdessen findet, wie der Gemeinderat mitteilt, am 13. Dezember 2020 eine kommunale Urnenabstimmung statt. Die Unterlagen dazu würden den StimmbürgerInnen zu gegebener Zeit zugestellt (siehe Seite 3).

Möglich wird der Urnengang durch eine sogenannte Allgemeinverfügung der Regierungsstatthalterin, veröffentlicht in der aktuellen Ausgabe des Frutiger Anzeigers. Sämtliche gemeinderechtlichen Körperschaften im Verwaltungskreis dürfen demnach Urnenabstimmungen oder -wahlen durchführen, auch wenn dies im einschlägigen Reglement gar nicht vorgesehen ist. Befristet ist diese Regelung bis zum 31. Januar 2021.

Eingreifen des Regierungsrats
Schon in den letzten Monaten gab es Fälle, in denen Gemeinden coronabedingt auf Urnenabstimmungen umschwenkten – nicht immer ganz reibungslos, wie der Fall Oberhofen zeigt.

Für Ende Juni hatte die Gemeinde eine Urnenabstimmung angesetzt und sich dafür von Regierungsstatthalter Marc Fritschi grünes Licht geben lassen. Doch daraus wurde nichts: Nachdem die SP Oberhofen dagegen Beschwerde eingereicht hatte, schaltete sich der Kanton ein. Der Entscheid des Regierungsstatthalters wurde revidiert, der Urnengang durfte nicht stattfinden. Er werde «nicht als dringlich erachtet», begründete der Rechtsdiensts der Direktion für Inneres und Justiz den Entscheid. Die Geschäfte, die an der Urne entschieden werden sollten, könnten auch später noch verhandelt werden. Unter anderem sollten die Stimmbürger von Oberhofen über ein länger geplantes Schulhausprojekt entscheiden.

Der Gemeinderat von Oberhofen reagierte mit Unverständnis. Die Gemeindeautonomie im Zusammenspiel mit der direkten Demokratie sei ein wichtiger Erfolgsfaktor des Modells Schweiz, hiess es in einer Stellungnahme. Doch diese werde durch Eingriffe des Regierungsrates zunehmend ausgehöhlt, was zu einer schleichenden Zentralisierung von Aufgaben und Entscheid-Kompetenzen führe.

Rund vier Monate später scheinen die nötigen Abklärungen für solche Urnengänge gemacht zu sein. Dass es zu einem erneuten Eingreifen des Kantons kommt, ist insofern nicht zu erwarten.

Das Virus führt die Urne ein

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