Generationenwechsel im «Adler»
09.10.2020 Adelboden, TourismusDie Loretans und der «Adler» sind fast untrennbar miteinander verbunden. Jetzt gehen Käthi und Lothar in Pension, das Hotel wird neu von Karin Zenhäusern und Mathias Fankhauser geführt. Ein Rückblick auf 32 Jahre Hotelgeschichte.
HANS RUDOLF SCHNEIDER
Über 1000 ...
Die Loretans und der «Adler» sind fast untrennbar miteinander verbunden. Jetzt gehen Käthi und Lothar in Pension, das Hotel wird neu von Karin Zenhäusern und Mathias Fankhauser geführt. Ein Rückblick auf 32 Jahre Hotelgeschichte.
HANS RUDOLF SCHNEIDER
Über 1000 Gäste waren am 22. Dezember 1988 dabei, als Käthi und Lothar Loretan den neu erbauten «Adler» offiziell eröffneten. Gern hätten sie dieses Jahr auch noch einmal zu so einem grossen Apéro eingeladen, doch das Coronavirus macht den beiden Gastgebern einen Strich durch die Rechnung. Dabei hätten sie durchaus Grund zum Feiern, nach 32 Jahren gehen die beiden Hoteliers Ende Oktober offiziell in den Ruhezustand. Im Gespräch merkt man sofort, was ihnen in all den Jahren wichtig war und weiter ist: Der persönliche Kontakt, das Interesse an Menschen und die Freundlichkeit. «Das kann und muss man trainieren», sagt Käthi Loretan, die sich im Hotel und Restaurant unter anderem oft «wie eine Mutter» um die Mitarbeitenden kümmerte. «Freundlichkeit ist eine Grundvoraussetzung für einen Betrieb wie unseren. Man muss ein grosses Herz haben, um hier zu arbeiten.» Sie betont, dass die Mitarbeiter ebenso wichtig seien wie die Gäste. Es hat unter den Angestellten einige, die das schätzen und seit Jahrzehnten bei Loretans arbeiten.
Lothar Loretan, der Schrauber
Am ersten Betriebstag des «Adlers» fehlte das Kaffeegeschirr fürs Zmorge im Restaurant. An die Tassen hatte niemand gedacht, eine minutiöse Planung gab es dafür nicht. «Wir haben mit dem vollsten Vertrauen des Verwaltungsrates angefangen. Dieser war nämlich völlig branchenfremd. Heute wäre es undenkbar, auf diese Art einen Betrieb zu eröffnen», sagt Lothar Loretan. Die Möbel der Personalzimmer hätte er mit dem Küchenchef abends gemeinsam zusammengeschraubt, ergänzt er lachend. Der Betrieb wuchs über die Jahre stetig weiter, aber Um- und Ausbauten erfolgten immer mit Mass. Finanziert wurde alles aus eigenen Mitteln. Die Hotel Adler Adelboden AG umfasst heute über 500 Kleinaktionäre. Von anfänglich 1,9 Millionen stieg der Umsatz auf 6 Millionen Franken, der Personalbestand von 25 auf 58 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Traditionell, aber unkonventionell
Ein Viersterenhotel wollte der «Adler» nie sein. Mit der Einstufung als Dreistern-Superior-Hotel habe man Spielraum und müsse weniger Vorschriften und Erwartungen erfüllen. Es sei umso schöner, wenn die Erwartungen dann übertroffen würden. Die typischen Kunden gebe es kaum, hier treffen Einheimische auf Feriengäste und werden oftmals zu Freunden. Loretans bieten vielen Hotelgästen das «Du» an, meist werde dies gern angenommen. Es brauche ein bisschen «Gspüri», wem das unangenehm sein könnte. «Ferien unter Freunden» lautet das Hausmotto. Im Adler gibt es keine Seminarräume, man verzichtet auf Geschäftsreisende als Kunden. Das würde nur eine stressige Atmosphäre ins Haus bringen. Ein bisschen unkonventionell – und das in einem Traditionsbetrieb – das passt einfach zu Loretans. «Ich erinnere mich, als wir den Frauen im Service erlaubten, Hosen zu tragen statt Strümpfe und Rock. Das gab ein Hallo und viel Unverständnis», lacht Käthi Loretan.
Es herrscht wieder Aufbruchstimmung
Natürlich gab es in all den Jahren auch Gäste, die die Gastgeber forderten, sagt Käthi Loretan mit einem Schmunzeln. Wenn morgens um 4 Uhr die Polizei gerufen werden musste oder als 20 Skilehrer im engen Personalraum zusammen mit Mitarbeitern eine Party feierten. Der Feueralarm ging los und der Pikettzug stand plötzlich vor der Tür. Das sei auch einem bekannten Skifahrer während des Weltcups passiert, der wegen einer Erkältung gleich drei Verdampfer laufen liess. Aber als guter Gastgeber verrät er natürlich keine Namen …
Die Eröffnung fiel damals in eine Phase des Aufbruchs in Adelboden. In den 1990er-Jahren wurde unter anderem das Regina-Hotel eröffnet und die Sillerenbahn fuhr erste Erfolge ein. Lothar Loretan zieht einen Vergleich zu heute, wenn die Nachfolger seinen Betrieb übernehmen: «Mit dem Revierhotel, dem Aparthotel oder den Schönegg-Plänen bewegt sich gerade wieder viel. Auch die Erneuerung der Sillerenbahn steht an. Es ist erneut eine Art Generationenwechsel im Gang.» Die Begeisterung ist ihm anzuhören. Spannend findet er auch das Bad, das unmittelbar vor dem Hotel geplant wird. «Das ist eine Supersache. Daran müsste sich der Adler beteiligen und einen direkten Zugang erhalten», ist er überzeugt. «Wenn die Finanzierung zu stemmen ist.»
Pandemie als Chance
Der Führungswechsel findet in unsicheren Zeiten statt. Die Corona-Pandemie habe viele Gäste in die Berge gebracht, auch viele neue Gäste. Lothar Loretan sieht darin eine grosse Chance, auch neue Gäste zu holen. Was ihm dabei aber fehlt, ist der persönliche Kontakt, der gezwungenermassen zurückhaltend ausfällt. Keine gemütlichen Fondue-Anlässe auf der Terrasse, keine Apéros, dabei waren dies Markenzeichen des «Adler». Dass das Lohnerdorf hauptächlich Schweizer Gäste beherbergt, kam dem Tourismus in diesen Sommer zugute. So ist auch der «Adler» ein Profiteur der Pandemie. Die Lage mitten im Dorf ist viel wert, in den letzten schönen Herbsttagen standen die Gäste teils Schlange, um einen Tisch zu ergattern. Die Aussage des Hoteliers erstaunt, aber es gibt Zeiten, wo man auch zu viele Gäste haben kann. Er hofft, dass von den vielen Gästen, die wegen Corona erstmals nach Adelboden kamen, auch einige wiederkommen werden.
Das private Umfeld neu ordnen
Den Pensionierungszeitpunkt haben die Gastgeber vor zwei Jahren selbst festgelegt. Sie wollten aufhören, wenn ihr Betrieb erfolgreich dasteht. Nun werde es langsam ein bisschen emotional, wenn langjährige Gäste extra nochmal vorbeikämen, um Adieu zu sagen. «Das berührt uns schon sehr», sagt Lothar.
32 Jahre waren die Beiden im Einsatz, da blieb wenig Zeit für Hobbys, Vereine und Freunde. Der Betrieb war wie ein drittes Kind, sagt der Hotelier. Loretans müssen ab dem 1. November ihr privates Umfeld neu ordnen und aufbauen. «Natürlich kennen wir hier viele Leute, aber wenige wirklich gut», sagt Käthi Loretan nachdenklich. Der Schritt in die Pension sei für sie wohl grösser als für jemanden, der neben dem Beruf noch in einem Verein war. Aber langweilig wird es den beiden nicht, auch wenn noch nicht viel geplant ist: Lothar möchte ums Chalet «mal was machen. Im Garten pickeln und schaufeln, aber keine Konzepte erstellen», wie der bald 65-Jährige betont. Die sechs Jahre jüngere Käthi kann sich einen «kleinen Job vorstellen, um ein bisschen Sackgeld zu verdienen».
Zum Schluss noch ein Wunsch
Loretans könnten ohne viel Nachzudenken einen perfekten Werbespot für Adelboden machen, und zwar aus Sicht des Gastes, des Hoteliers oder der Einheimischen. Insbesondere die Dorfstrasse mit den Läden loben die beiden. «Diese sind auch ein Teil des Erfolges des Tourismus, auch unseres Hauses. Es gibt immer wieder Hotelgäste, die regelmässig hier einkaufen. Die kommen richtig zum Shoppen, früher waren es oft Skis, heute eher die Schuhe.» Die Beliebtheit hänge eindeutig mit der Freundlichkeit zusammen, die auch eine Chance für die Hotellerie in Zeiten der anonymen Digitalisierung sei.
Adelboden sei heute sehr breit aufgestellt, biete für alle etwas. Aber was vermissen Loretans? Wirklich fehlen würde im Dorf nichts, dennoch werden sie die Entwicklung mit Interesse verfolgen. Ein Anliegen hätten sie allerdings: «Die Dorfstrasse muss verkehrsfrei werden – für die Gäste, aber auch für die Einheimischen.»
«Neu, aber nicht fremd»
Sie werden einfach als «die Neuen» bezeichnet, die künftigen Gastgeber im «Adler». Karin Zenhäusern (31) aus Bürchen VS und Mathias Fankhauser (33) aus Sigriswil. Das Paar übernimmt am 1. November die Leitung. Interessant ist, dass auch Lothar Loretan und Käthi Loretan-Fankhauser – nicht mit den «Neuen» verwandt – ein walliserischesbernisches Paar sind. Diese Konstellation scheint einfach zu passen. Nach den Beweggründen für den Wechsel nach Adelboden gefragt, sind sich «die Neuen» einig: «Wir wollten schon längere Zeit gemeinsam einen Betrieb führen», sagt Zenhäusern. «Den ‹Adler› Adelboden kannten wir vom Hörensagen. Als wir das erste Mal hier waren, war für uns alles klar, ohne gross miteinander darüber zu reden. Der Betrieb passt zu uns.» Die beiden wurden vom Verwaltungsrat aus 26 Bewerbungen ausgewählt. «Wir sind zwar die Neuen, aber als Fremde fühlen wir uns nicht. Man wird herzlich aufgenommen in Adelboden», sagt die Hotelière. Und sie betonen: «Der ‹Adler› ist für uns kein Zwischenstopp. Auch wenn es abgedroschen klingen mag: Wir sind gekommen, um zu bleiben.»
Jetzt heisst es einarbeiten. Sie hätten Respekt vor der Aufgabe, und würden «ein schweres, aber herausforderndes Erbe antreten», sagt Mathias Fankhauser. Der Betrieb werde nicht auf den Kopf gestellt, das wäre fatal. Die Stammgäste würden ihre gewohnten Angebote erwarten. Das heisse aber nicht, dass sich hinter den Kulissen und später auch vornedran nichts ändern werde. Die neuen Chefs sind wie die Vorgänger keine Manager, sie wollen sich mit digitalen Hilfsmitteln entlasten, um möglichst viel Zeit für die Gäste zu haben. Ihre eigene Handschrift werde dann mit der Zeit schon sichtbar, auch das «erwartet der Gast irgendwie, wenn die Führung wechselt», ergänzt Karin Zenhäusern. «Dies ist der beste Augenblick, auch mal etwas Neues auszuprobieren.»
HSF