ARMEE Kaum bekannt und doch jahrzehntelang immer bereit: die Sprengobjekte der Schweizer Armee. Auch im Kandertal waren verschiedene Tunnel und zahlreiche Brücken vorbereitet, um auf Knopfdruck zerstört zu werden.

HANS RUDOLF SCHNEIDER
Nicht erst seit dem Zweiten Weltkrieg und der Réduit-Strategie von General Henri Guisan sah die Schweizer Armee vor, wichtige Verkehrsverbindungen durch Sprengungen zu zerstören. Die erste Brücke wurde 1859 so erstellt, dass die Widerlager hätten gesprengt werden können. Diese Eisenbahnbrücke führte von Koblenz nach Waldshut. Auch in die Simplon- und Gotthard-Bahntunnel wurden Minenkammern eingebaut.

Mit dem Erstarken der Achsenmächte Deutschland und Italien wurden Zerstörungsvorbereitungen zu einem richtigen Waffensystem. So wurden nicht nur entlang der Landesgrenzen, sondern zunehmend auch im Landesinnern Strassen und Brücken so vorbereitet, dass innert kurzer Zeit Sprengstoff und Zünder eingebaut und auf den buchstäblichen «roten Knopf» gedrückt werden konnte. Im Kalten Krieg gab es über die ganze Schweiz verteilt rund 2000 sogenannte Sprengobjekte verschiedener Bauarten.

Dieses System war jedoch aufwändig, aufgrund der vielen kleinen Detachemente und der externen Lager für Sprengstoff und Zündmaterial. Mit der Einführung des «Permanenten Sprengdispositivs 75» (PSD 75) fand man eine neue Lösung: An zahlreichen Stellen wurde der Sprengstoff fix eingebaut, nur die Zünder mussten noch eingesetzt und aktiviert werden. Dieses kostengünstige, effiziente und sichere System wurde mittlerweile ausgemustert, das letzte Sprengobjekt offiziell 2015 stillgelegt.

Die Lötschbergachse wurde vermint
Heute hat man Zugang zu den ehemals geheimen Unterlagen, und im neuen Buch «Die Verteidigung der Lötschberg-Nordachse» von Hans-Rudolf Schoch ist unter anderem nachzulesen, wo überall im Kandertal Sprengungen vorgesehen waren. Die Region war im Verteidigungskonzept wichtig, da sich hier mehrere Kommandoposten sowie die Lötschberglinie als strategische Achse befanden.

Von Spiezwiler über Mülenen, Reichenbach, Frutigen und Kandergrund bis nach Kandersteg waren an verschiedenen Stellen Sprengobjekte erstellt worden. Auch das Nordportal des Lötschbergtunnels in Kandersteg war zur Sprengung vorbereitet, das Sprengobjekt im Südportal jedoch bereits 1946 aufgehoben worden. Kunstbauten jeglicher Art (Brücken, Bahnkörper, Stützmauern) boten sich an, um mit wenig Aufwand rasch und nur schwer reparierbare Schäden anzurichten. So hätte der Vormarsch eines Gegners massiv gestört werden können – zudem war vorgesehen, die Reparaturarbeiten durch Artilleriefeuer zu behindern.

Bahn, Strasse, Flugplätze …
Einige Beispiele zeigen, wo überall gesprengt worden wäre:
• Sowohl die alte Strasse Spiezwiler− Mülenen als auch die neue Umfahrung wurden mit Sprengstoff geladen. Im Südportal des Spiezwilertunnels waren mehrere unauffällige Schächte eingebaut worden.
• Die Vorräte an Flugbenzin sollten einem Feind nicht in die Hände fallen. Die auf den Flugplätzen Frutigen und Reichenbach erstellten unterirdischen Tanks wären als «Bomben» genutzt worden. Die Pisten waren hingegen nicht mit Sprengstoff versehen.
• Die hölzerne Schwandibrücke in Frutigen war zur Zerstörung vorbereitet. 1950 reparierte die Gemeinde die Brücke und zerstörte dabei die Installationen der Armee. Vier Jahre lang wurde eine Eisenbetonbrücke gebaut, aber ohne Sprengstoff.
• Einen langfristigen Unterbruch der Lötschbergstrecke hätte die Zerstörung des 1911 erbauten Tellenburg-Viadukts bewirkt. Fünf der zehn Pfeiler wurden mit Sprengkammern versehen. Das war nicht einfach, da der beim Bau verwendete «Lötschibeton» offenbar Festigkeitsmängel aufwies und die Kammern eine zusätzliche Schwächung darstellten.
• Weitere Viadukte und Tunnel (Halten, Fürtfluh, Fürten, Felsenburg und Rotbach) der BLS-Bergstrecke im Raum Mitholz hätten durch grosse Mengen Sprengstoff zerstört werden können, die Trümmer wären ins Tal hinuntergerutscht. An den Brücken am steilen Hang oben wurden Podeste, Rohre und Sprengstoffkammern installiert.
• Um 1975 erkannte die Oberländer Réduit-Brigade, dass zwar die Bahnlinie im oberen Kandertal wirkungsvoll zerstört werden konnte, die Strasse hingegen vergleichsweise geringe Vorbereitungen aufwies. Vor der letzten Kurve des Bühlstutzes wurden deshalb sechs Schächte in die Strasse versenkt, der Sprengstoff war fest eingebaut.

Das Ende der «Wunderwaffe»
Regelmässig wurden die Sprengobjekte auf ihre Zweckmässigkeit überprüft, da sich bei Bahn und Strassen die Linienführung veränderte und Brücken ersetzt wurden.

Auch die Kampfweise erfuhr Anpassungen, sodass man sich – für die Sicherung des Kandertals – auf die Panzersperre Mülenen und die Sprengobjekte entlang der BLS-Linie konzentrierte. Auf das Sprengdispositiv 75 umgebaut wurden nur acht der wichtigsten Sprengobjekte. Auch heute wären Sprengungen möglich, dafür würden aber mobile Trichtersprengladungen verwendet.

Im Buch «Die Verteidigung der Lötschberg-Nordachse» (Verlag HS-Publikationen) sind Details der verschiedenen Bunker und Kommandoposten, Sperrstellen und Sprengobjekte im Kandertal erklärt. Das Buch von Hans-Rudolf Schoch erscheint im November 2020. Nicht im Buchhandel erhältlich, Bestellungen ausschliesslich via Webshop unter www.hs-publikationen.ch

Sprengstoff in jedem zweiten Pfeiler

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