«Die Kirche ist alt geworden»
24.11.2020 Porträt, GesellschaftAls Professorin für Ältere Geschichte des Christentums engagiert sie sich in der Synode. In diesem Kirchenparlament wird die in Aeschi wohnhafte Katharina Heyden aber derzeit stark mit aktuellen Problemen konfrontiert.
PETER ROTHACHER
Wenn Katharina Heyden die Kirche ...
Als Professorin für Ältere Geschichte des Christentums engagiert sie sich in der Synode. In diesem Kirchenparlament wird die in Aeschi wohnhafte Katharina Heyden aber derzeit stark mit aktuellen Problemen konfrontiert.
PETER ROTHACHER
Wenn Katharina Heyden die Kirche als «alt» bezeichnet, meint sie das zweideutig. «Das Christentum ist in 2000 Jahren nicht untergegangen – es wird weiter bestehen. Aber in Westeuropa zeigt es offensichtlich Alterserscheinungen und ist momentan zu sehr mit sich selbst beschäftigt.»
Als auf das Jahr 2020 frisch gewählte Synodale ist die Theologin in der Startphase der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) sogleich mit den Turbulenzen um Präsident Gottfried Locher konfrontiert worden. Sie hätte sich als Neue schon einen anderen Start gewünscht, meint Heyden. Aufgrund der Locher vorgeworfenen «Grenzverletzungen gegenüber einer ehemaligen Mitarbeiterin» sei das Klima innerhalb der Synode im Sommer von gegenseitigem Misstrauen geprägt gewesen. «Diskutiert wurde damals gar, ob der gesamte Rat zurücktreten sollte», berichtet Heyden. «Es blieb dann aber nach dem Ausscheiden von Sabine Brändlin beim Rücktritt des Präsidenten.» «Ich muss – und will – nicht richten», sagt die Professorin. Lochers Rücktritt sei nicht als Geständnis zu werten, es sei um Schadensbegrenzung gegangen. «Aber seine Auskunftsverweigerung und umgekehrt die Tatsache, dass die ihn belastenden Vorwürfe nicht klar benannt wurden, ergaben ein unschönes Bild.» Das habe für riesige Diskussionen gesorgt und dem Image der Kirche schon sehr geschadet. Es zeige aber, dass in diesen Gremien ganz normale Menschen vertreten seien. «Man sollte jedoch erwarten können, dass diese besonders sorgsam und transparent miteinander umgehen. Doch Nähe und Anziehung sind Themen des christlichen Glaubens – Beziehungen sollten spannend bleiben.»
Der charismatische Gottfried Locher habe wertvolle Arbeit geleistet, sei in der Öffentlichkeit sehr präsent gewesen und manchmal – beispielsweise mit dem Befürworten der Ehe für alle – vorgeprescht. Das habe ihm ja den Spitznamen «reformierter Bischof» eingetragen.
Mit der Bildung einer Untersuchungskommission und dem Beiziehen einer spezialisierten Anwaltskanzlei sei die Krise zwar noch nicht überwunden, man habe sie aber mittlerweile im Griff. «Und so haben nun Anfang November – wegen Corona in digitaler Form – der Rat, die Synodalen sowie die Presse seriös zusammengearbeitet. Die Wahlen haben gut funktioniert.» Lächelnd erklärt Heyden: «Mit Rita Famos als EKS-Präsidentin und Judith Pörksen Roder als Synodalratspräsidentin der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn ist die Kirche auf einen Schlag weiblicher geworden. Mal sehen, wie sich das bewährt.»
Darf die Kirche politisieren?
Mit orangen Bannern signalisiert die Kirche teilweise die Unterstützung der am 29. November zur Abstimmung kommenden Konzernverantwortungsinitiative. Katharina Heyden meint dazu: «Die verkürzte Synode hat sich nicht dazu geäussert. In dem Gremium dürften die Meinungen so unterschiedlich sein wie in der Gesellschaft. Die Kirche hat mit der christlichen Botschaft eine Grundhaltung, als Institution sollte sie aber ein Dach für viele sein.» Eine klare Meinung der Kirche lasse sich nur in ganz wenigen Fällen politisch rechtfertigen. «Jeder und jede muss für sich entscheiden, und ich darf hier in der Schweiz als deutsche Staatsangehörige sowieso nicht abstimmen.»
An der September-Synode hätten die Synodalen und der EKS-Rat angesichts der verheerenden Brände im griechischen Flüchtlingslager Moria übrigens durchaus Flagge gezeigt. Mit einer Resolution an die Schweizer Politik forderten sie die schnellstmögliche Evakuierung der auf den Inseln festsitzenden Menschen und faire Asylverfahren. «Damit haben wir gezeigt, wie und für wen unsere Herzen schlagen.»
Bereits im Frühling habe die Corona-Pandemie gezeigt, dass die Kirche offensichtlich nicht mehr als «systemrelevant» eingestuft wurde. «Die Pfarrpersonen mussten online gehen und die digitale Welt erobern. Gerade mutig hat sich die Kirche nicht gezeigt – andererseits war der Ruf nach ihr auch nicht übermässig gross.» Auf die vermehrten Kirchenaustritte angesprochen, sagt die Theologin: «Das Christentum darf bei uns in Würde schrumpfen und die Qualität hochhalten. Weltweit ist übrigens ein Wachstum zu verzeichnen.»
Wie die Jugend gewinnen?
Gerade in der aktuellen Corona-Zeit seien die Jugendlichen verunsichert und hätten Angst, die Krankheit weiterzugeben, sich damit schuldig zu machen. Die kirchliche Unterweisung dürfe neue Wege gehen. Derzeit finde sich darin noch zu viel vom alten System, so quasi Schule im Raum der Kirche. Die Idee, Konfirmationen künftig ohne vorherige Taufe durchzuführen, findet Heyden allerdings aus theologischer Sicht nicht gut: «Die Taufe ist das einzige alle christlichen Kirchen verbindende Sakrament. Zu viele Abstriche bei der kirchlichen Unterweisung und das totale Entgegenkommen wegen allen anderen Aktivitäten der Kinder macht die Kirche unattraktiv.» Anbiedern führe zum Gegenteil, sodass Radikale umso mehr Zulauf bekämen.
Auf die Terroranschläge radikaler Islamisten in Europa angesprochen, hält die Professorin fest: «In allen Religionen steckt ein gewisses Gewaltpotenzial. Selbst Jesus hat gesagt: ‹Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert.›»
Corona als Strafe Gottes?
Dank moderner Medizin werden die Menschen einerseits immer älter. Gleichzeitig werden sie derzeit aber weltweit von Corona dahingerafft. «Diese Pandemie Gott anzulasten, fände ich absurd», betont Katharina Heyden. «Das wäre ein Widerspruch zum christlichen Gottesbild.» Und die Mutter dreier Söhne zeigt sich überzeugt: «Mit dem Sterben in dieser Welt ist nicht alles vorbei.» Sie sieht das Jüngste Gericht – mit einem barmherzigen Gott – als tröstlichen Gedanken: «Ich glaube an ein Wiedersehen, an eine Gemeinschaft der anderen Art.» Die Sache mit Corona bedürfe einer naturwissenschaftlichen Erklärung, «aber Religion kann helfen, damit umzugehen».
ZUR PERSON
Katharina Heyden, geboren 1977 in Ost-Berlin, ist mit dem Religionspädagogen Carsten Heyden verheiratet und Mutter von drei Söhnen. Die Familie wohnt seit sechs Jahren in Aeschi. Sie hat evangelische und katholische Theologie in Berlin, Jerusalem und Rom studiert. Seit 2014 ist sie Professorin für Ältere Geschichte des Christentums und der interreligiösen Begegnungen am Institut für Historische Theologie der Universität Bern. Die lutherisch ordinierte Pfarrerin erklärt dazu: «Dieses Forschungsgebiet hat sich wohl ergeben, weil mein Vater Archäologe war und ich in Jerusalem studiert habe. Und nun stelle ich beim Vergleich von heute mit den ersten Jahrhunderten des Christentums erstaunliche Parallelen fest. Das ist sehr spannend.»
PRR
Was ist eine Synode?
Das Kirchenparlament als gesetzgebendes Organ nennt sich Synode. Organisatorisch kann diese mit einem Kantonsparlament verglichen werden. Die 200 Mitglieder im Kirchenparlament der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn heissen Synodale. Sie werden nach einem regionalen Schlüssel jeweils für vier Jahre gewählt.
Die Synode tritt in der Regel zweimal pro Jahr zu einer zweitägigen Session im Berner Rathaus zusammen. Die letzte Versammlung vom 17. November fand wegen Covid-19 aber virtuell statt. Die Synode wählte unter anderem ihren neuen Präsidenten (Christian Cappis) und verabschiedete das Budget 2021, das coronabedingt zusätzliche Einsparungen von insgesamt rund 1 250 000 Franken beinhaltet.
REDAKTION / PRESSEDIENST REFORMIERTE KIRCHEN BERN-JURA-SOLOTHURN