Die BDP ist bald Geschichte, die Fusion mit der CVP voraussichtlich Ende November besiegelt. Wird die neue Partei das Land und die Region künftig prägen? Zunächst wohl kaum. Doch das könnte sich ändern, denn womöglich hat «Die Mitte» noch Grösseres vor.

Analyse von JULIAN ZAHND

Wenn sie fehlt, bemerkt man das rasch: die politische Mitte. Ein Paradebeispiel dafür sind gegenwärtig die USA. Der Wahlausgang hat einen derart breiten Keil in die Gesellschaft getrieben, dass jegliche Verständigung unmöglich scheint. Das Bindeglied, welches die Brücke zwischen Demokraten und Republikanern schlagen könnte, fehlt in der amerikanischen Parteilandschaft. Die Vereinigten Staaten sind derzeit nicht bloss gespaltener denn je, sondern schlicht nicht funktionsfähig.

Wenn sie nun existiert, dann bemerkt man die politische Mitte oft jedoch kaum. Ein Paradebeispiel hierfür ist die Schweiz. Mit Ausnahme der Grünliberalen werden die moderaten Zentrumsparteien zwischen den beiden Polen seit Jahren Stück für Stück aufgerieben.

Ehrlichkeit führt zum Fiasko
Der Trend macht auch vor gestandenen Parteien nicht halt. Die CVP, Vertreterin der katholischen Werte und einst stolzer politischer Grundpfeiler des Landes, erreichte bei den letzten eidgenössischen Wahlen 2019 einen Wähleranteil von 11,4 Prozent – ein historischer Tiefstwert.

Während sich die Christlichdemokratische Volkspartei im Sinkflug befindet, beschreibt die Kurve der BDP einen regelrechten Sturzflug: Nach der Abspaltung von der SVP im Jahre 2008 erreichte die Bürgerlich-Demokratische Partei bei den eidgenössischen Wahlen 2010 beachtliche 5,4 Prozent Wähleranteil, acht Jahre später noch knapp die Hälfte. Im Gegensatz zur CVP war die BDP auch im Kantonsparlament sehr gut vertreten – 2011 stellte sie im Grossen Rat hinter SVP und SP die drittgrösste Fraktion. Präsidiert wurde diese ab 2014 von der Krattigerin Anita Luginbühl.

«Politik ist das Streben nach Machtanteil», sagte einst der deutsche Soziologe Max Weber. In seiner Definition spiegelt sich das ganze Dilemma der politischen Mitte: Ihre Wichtigkeit ist unbestritten, doch an der Wahlurne macht sich das selten bemerkbar. Denn vermarkten lässt sich eine Politik der leisen Töne kaum – auch nicht mit entwaffnender Selbstironie: «Langweilig, aber gut», lautete der BDP-Slogan der Wahlen vom letzten Jahr. Er ist zwar beachtlich ehrlich, verfing bei der Bevölkerung jedoch überhaupt nicht.

Eine pragmatische Zweckehe mit Risiken
Die «NZZ» verglich die Bürgerlich-Demokratische Partei jüngst mit einer Sternschnuppe, welche von rechts über das Firmament gehuscht sei, bevor sie in der Mitte verglühte. Tatsächlich hat sich die BDP Schweiz Mitte November selbst abgeschafft – zumindest dem Namen nach: Die Delegierten gaben nämlich einstimmig das Jawort zur Fusion mit der CVP. Den gemeinsamen Weg will man ab 2021 unter der Marke «Die Mitte» gehen. Der Entscheid der CVP Schweiz fällt zwar erst Ende November, ein Nein käme aber überraschend. Und selbst dann würde «Die Mitte» in einigen Kantonen neu in der Politlandschaft auftauchen. Im reformiert geprägten Kanton Bern etwa haben dem Zusammenschluss sowohl CVP wie auch BDP bereits zugestimmt.

Die Fusion gilt als Wagnis mit unsicherem Ausgang. Zwar sind sich die beiden Parteien vom politischen Profil her einigermassen ähnlich. Die Unterschiede liegen vielmehr in der geschichtlichen Entwicklung und dem Selbstverständnis, das daraus erwachsen ist: Auf der einen Seite steht die pragmatische BDP, die sich mit Neugründungen bestens auskennt und deren Einfluss stets übersichtlich war. Die BDP weiss, dass eine Fusion die wohl einzige Überlebenschance ist. Auf der anderen Seite steht mit der CVP eine Partei, die angesichts ihrer glorreichen Vergangenheit offensichtlich mehr Mühe bekundet, mit der Tradition zu brechen. Symbol dafür ist der Verzicht auf das christliche «C» im Namen, ein Schritt, der vor allem CVP-starke Kantone enorm aufbrachte. Womöglich liessen sich Kantone wie das Wallis durch das Eingeständnis besänftigen, dass die Katonalparteien ihren Namen auch bei einer Fusion auf nationaler Ebene beibehalten dürfen. Und, dass man zumindest die orange Parteifarbe im neuen Parteilogo wiederfindet.

Parteimitglieder der Region äussern sich verhalten, orten aber Chancen
Ob «Die Mitte» wie erhofft neue Wählergruppen anspricht oder im Gegenteil sogar Stammwähler vertreibt, dürfte sich schon bald zeigen: 2022 bereits finden die nächsten Berner Grossratswahlen statt. Man wolle mindestens den Abwärtstrend stoppen und alle Sitze verteidigen, sagt Matthias Matti. Der Zweisimmer präsidiert die BDP-Sektion Berner Oberland, die wohl bald in «Die-Mitte-Sektion Berner Oberland» umbenannt werden dürfte. Wer vorwärts gehen wolle, der wähle Mitte, ist Matti überzeugt. Vor allem aber ortet er im Oberländer Wahlverhalten Gründe für bevorstehende Erfolge: «Ich stellte in letzter Zeit eine gewisse Ermüdung fest, was die ideologischen Grabenkämpfe betrifft. Vielleicht hat die Bevölkerung wieder mehr das Bedürfnis nach konstruktiver Sachpolitik.»

Etwas skeptischer zeigt sich diesbezüglich René Maeder, designierter Kandersteger Gemeinderatspräsident und langjähriges BDP-Mitglied. «Der typische Oberländer ist beständig und reagiert auf Neuerungen nicht gleich euphorisch.» Wahlerfolge verspricht er sich denn auch eher im Mittel- und Seeland denn in der Bergregion. Die Fusion begrüsst Maeder dennoch ausdrücklich, auch aus persönlichen Gründen: «Hätte sich die BDP einfach aufgelöst, wäre ich politisch wohl tatsächlich heimatlos geworden.» Als Vorteil sieht Maeder zudem die Trennung vom christlichen «C», da die christlichen Werte nach wie vor im Parteiprogramm stehen. Gemäss Logo wird dieses mit den drei Schlagworten «Freiheit, Solidarität, Verantwortung» umrissen – Begriffe, die sich nach Ansicht Maeders für viele Wähler problemlos vereinbaren lassen.

Anita Luginbühl sass für die BDP zwischen 2010 und 2020 im Kantonsparlament. Bevor die Krattigerin zurücktrat, war sie zudem Präsidentin der BDP-Sektion Berner Oberland. In ihrer Heimatgemeinde hat die Bürgerlich-Demokratische Partei eine gewisse Tradition, denn auch Werner Luginbühl, Krattiger Ständerat zwischen 2007 und 2019, war Parteimitglied. Ein Zufall? Womöglich schon, wie Anita Luginbühl sagt. «Unsere Gemeinde verfügt nicht einmal über Ortsparteien, bei den Wahlen stehen eher die Gesichter im Vordergrund.» Ein Indiz sind für sie etwa die Wahlresultate Werner Luginbühls, die sich nach dessen Parteiwechsel kaum verändert hätten. Dass «Die Mitte» die nächsten Wahlresultate massgeblich prägen wird, bezweifelt die Krattigerin denn auch. Die Überzeugung von Wählern sei ein langfristiger Prozess – «Chnochebüez», wie sie sagt.

Inhalt dominiert Stil
Doch wie kann «Die Mitte» die Bevölkerung für sich gewinnen? «Nicht primär mit ihrem gemässigten Stil, sondern eher durch geschickte Themensetzung», ist Luginbühl überzeugt. Es gebe zwischen den beiden politischen Polen vieles, das zwar wichtig sei, jedoch konsequent vernachlässigt werde. Dabei denkt sie beispielsweise an langfristige Lösungen bei der Altersvorsorge, konkret an eine Idee, welche die BDP bereits 2015 lancierte: ein Zeitvorsorgesystem, das fitte Rentner und junge Menschen in die Betreuung älterer Menschen einbindet. Durch die Einsätze erhaltene Zeitgutschriften könnten bei Bedarf später bezogen werden, die öffentliche Hand würde dadurch entlastet, argumentierte die BDP damals. Doch der parlamentarischen Initiative fehlte die Durchschlagskraft, sie wurde letztlich zurückgezogen – eine verpasste Chance, wie Anita Luginbühl findet. «Gerade in Zeiten von Covid-19 wäre ein solches Generationenprojekt sinnvoller denn je.»

Das Beispiel zeigt: Damit Ideen erfolgreich sind, braucht es politisches Gewicht. Mit der Fusion von BDP und CVP nimmt dieses aber nicht automatisch zu: So steuert die BDP zu den bisherigen 25 Nationalratssitzen lediglich drei weitere bei. Im Grossen Rat ist das Kräfteverhältnis gerade umgekehrt: Zu den 13 BDP-Sitzen kommt lediglich ein CVP-Sitz hinzu.

Neutraler Name schafft Spielraum
Zwei kränkelnde Patienten machen zusammen noch keinen gesunden: Diese Binsenweisheit könnte durchaus auch für «Die Mitte» zutreffen. Jedoch nicht zwingend. Denn der neue neutrale Name ist in dem Sinne geschickt gewählt, als dass er Spielraum schafft und die Tür öffnet für weitere Fusionspartner. Die Evangelische Volkspartei etwa müsste keine Konfessionshürde mehr überwinden, weil das katholische «C» nun nicht mehr präsent ist. Falls das Umweltthema wieder mehr in den Hintergrund rückt und sich der Kern der Ökologiebewegung den Grünen zuwendet, müssten sich ebenfalls die derzeit erfolgreichen Grünliberalen Gedanken um eine alternative Zukunft machen. Und schliesslich gilt es auch die Entwicklungen beim Freisinn zu beobachten, dessen Formkurve seit Jahren in der Tendenz nach unten zeigt.

«Die Fusion an sich ist wohl nicht historisch. Vielleicht ist sie aber ein erster Schritt hin zu etwas Historischem», sagt Anita Luginbühl. Vielleicht auch deshalb, weil eine schlagkräftige politische Mitte den Weg aus dem Dilemma weisen könnte. Denn ab einer bestimmten Grösse wird eine Partei auch dann gehört, wenn sie auf schrille Töne verzichtet.

Die Mitte sucht den Weg aus dem Dilemma

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