Verunsicherung bei den Detailhändlern
29.01.2021 Coronavirus, Wirtschaft, RegionDie Restaurants sind schon seit dem 22. Dezember zu, vom 18. Januar an mussten auch die Verkaufsgeschäfte schliessen – allerdings nur teilweise. Einige trifft es mit aller Härte, andere müssen ihre Kunden nicht vollständig fernhalten. Warum es diese Unterschiede gibt, zeigt ein ...
Die Restaurants sind schon seit dem 22. Dezember zu, vom 18. Januar an mussten auch die Verkaufsgeschäfte schliessen – allerdings nur teilweise. Einige trifft es mit aller Härte, andere müssen ihre Kunden nicht vollständig fernhalten. Warum es diese Unterschiede gibt, zeigt ein Blick in die Läden.
RETO KOLLER
Auf fast einem Kilometer Länge reiht sich an der Adelbodner Dorfstrasse Fachgeschäft an Fachgeschäft. Im Winter herrscht hier meist ein reges Treiben. Nicht so während der letzten Tage: Der Passantenstrom hält sich in Grenzen. Rund die Hälfte der über 30 Detailhändler macht Zwangspause. Alle Sport- und Textilgeschäfte sind geschlossen, ebenso der Schuhladen. Das Gleiche gilt für Uhren-, Schmuck- und Spielzeugläden – nicht jedoch für die Bijouterie Guadalupi.
Zigarren ja, Uhren nein
Nebst Uhren, Schmuck und Messern bietet Daniele Guadalupi in seinem Fachgeschäft auch Tabakwaren an – eine Tradition, die er von seinem Vater übernommen hat. Weil Zigaretten, Zigarren und Pfeifentabak gemäss behördlicher Verfügung als «täglicher Bedarf» gelten, ist die Ladentüre offen. Wer sich mit seiner Lieblingszigarre eindecken will, kann dies tun. Entdeckt er jedoch noch ein hübsches Taschenmesser, schüttelt Inhaber Guadalupi bedauernd den Kopf. «Das darf ich Ihnen nicht mitgeben. Bitte schicken Sie mir doch ein E-Mail, dann kann ich Ihnen das Messer mit Rechnung beim Hintereingang aushändigen – ausser am Sonntag, da muss ich es für Sie deponieren.»
«Click and Collect» nennt sich dieses behördlich erlaubte detailhändlerische Take-away, «anklicken und selbst abholen» – eine ziemlich paradoxe Situation für Kunden und Verkäufer. Doch wenigstens ist in diesem Fall klar, was über den Tisch gehen darf und was nicht. Das ist nicht in allen Läden so.
Der schwammige «tägliche Bedarf»
Das Haushaltwarengeschäft Allenbach AG darf offen halten. Es hat ein umfangreiches Sortiment. Nebst Schrauben, Hämmern, Klebbändern, Tassen, Geschirr und Kerzen sind in den Regalen auch hochpreisige Messer und Bestecke, edle Weingläser und verschiedenste Geschenkartikel zu finden. Was darunter zum täglichen Bedarf gehört und was nicht, entscheidet Inhaber Daniel Allenbach gleich selbst: «Ich versuche, den gesunden Menschenverstand walten zu lassen und unterscheide zwischen preisgünstiger Alltagsware und eher teuren Artikeln. Die einen verkaufe ich, die anderen nicht.» Vorsichtshalber sind alle Geschenkartikel und ein Regal mit eher hochpreisigen Gläsern mit Signalband abgesperrt. Allenbach spürt im Vergleich zum Lockdown im Frühjahr 2020 einen zunehmenden Unmut bei seinen Kunden. «Die teils willkürlich scheinenden Abgrenzungen lösen bei ihnen ab und zu Kopfschütteln aus», stellt er fest.
Zurzeit arbeiten alle seine Mitarbeiterinnen mit normalem Pensum. Da sie im Stundenlohn angestellt sind, kann er die Arbeitszeit schnell und unkompliziert anpassen, wenn die Lage es erfordert. Ungleich schwieriger ist die Situation der zahlreichen Sport- und Textilgeschäfte entlang der Dorfstrasse. Eines davon grenzt direkt an die Haushaltwarenhandlung.
Lichter aus bei Sportartikeln und Kleidern
In der Bekleidungsboutique der Oester Sport AG im Vorschwand geht nichts mehr. Die Türe ist verschlossen, im Verkaufsraum ist alles dunkel, genauso wie im Hauptgeschäft Oester Sport mitten im Dorfzentrum. EDU-Grossrat Jakob Schwarz ist Mitglied der Geschäftsleitung der Oester Sport AG und für die Finanzen zuständig. Die Firma betreibt neben den beiden Detailhandelsgeschäften noch ein Miet- und Testcenter auf Sillerenbühl und ein grosses Miet- und Verkaufs-Center bei der Talstation der Sillerenbahn (siehe «Frutigländer» vom Freitag, 22. Januar). Schwarz beschreibt die prekäre Lage: «Der Shutdown trifft alle Sport- und Textilgeschäfte sehr hart. Wir erzielen im Winter rund 85 Prozent unseres Erlöses. Der Februar ist mit 25 Prozent des Jahresumsatzes ein entscheidender Monat.» Dies gelte nicht nur für die Oester Sport AG, sondern auch für ihre Mitbewerber. Der Kantonsparlamentarier bemängelt, dass der Bundesrat Schliessungsentscheide gefasst, die Stützungsmassnahmen aber erst im Nachhinein beschlossen habe – wie beispielsweise die Erweiterung der Kurzarbeit auf Saisonangestellte. Er lobt dagegen die unkomplizierte und prompte Bewilligung zur Kurzarbeit durch den Kanton Bern. «Wir haben den Antrag bereits im Dezember eingereicht, weil wir nicht wussten, ob die Skigebiete offenbleiben. Das Gesuch wurde innert Wochenfrist beantwortet.»
Einkauf trotz voller Lager
Alle Sportgeschäfte leiden aktuell unter einer Besonderheit der Branche. Zurzeit treffen sich die Einkäufer in Zürich an den Anbietermessen und bestellen bereits für die Wintersaison 2021 / 22 – dies bei noch gut gefüllten Regalen, weil die Februar-Verkäufe fehlen werden. «Wir sind sehr gefordert, mit der nötigen Umsicht einzukaufen. Die Verunsicherung ist gross, weil wir nicht wissen, was die Zukunft bringt», gibt Peter Gyger die Stimmung wieder. Auch er ist Kadermann der Oester Sport AG. Die Adelbodner Fachhändler setzen nicht auf Schnäppchenjäger. Sie rechtfertigen ihre Preise mit hoher Service- und Dienstleistungsqualität. «Wir haben deshalb auf eine kurzfristige Rabattschlacht verzichtet, wie sie in vielen Läden im Unterland zu beobachten war – mit entsprechenden unerwünschten Menschenansammlungen …», meint Kollege Schwarz.
Grosser Zusammenhalt im Tal
Sein Kollege Beat Zürcher von der Zürcher Sport GmbH in Frutigen bläst ins gleiche Horn: «Wir müssen im Einkauf sehr vorsichtig sein und versuchen, vermehrt Textilien ans Lager zu nehmen, die sich für mehrere Sport- und Freizeitaktivitäten eignen.» Zürcher rühmt die gute Zusammenarbeit und den Informationsaustausch der Sportartikelhändler in der Region. «Jakob Schwarz versorgt uns laufend mit den neusten Informationen vom Politparkett – das ist sehr wertvoll.»
Beat Zürcher kann vor allem auf eine treue einheimische Kundschaft zählen. «Sie unterstützte uns schon während des ersten Lockdowns im Frühling und gab uns Zuversicht», lässt er wissen. Der Frutiger will die Schliessungszeit mit Serviceaufträgen sowie «Click and Collect»-Verkäufen überbrücken. «Wir machen das Beste draus und behalten den Glauben an die Zukunft», verströmt er Hoffnung. Zurzeit ist dies wohl das Einzige, was ihm und auch allen anderen Detailhändlern übrig bleibt.
Bruno Mathys vom Kult-Snowboardgeschäft Crazy Sports Ltd hat seine Sichtweise gleich in einem Inserat im Frutiger Anzeiger kundgetan. Für ihn gehört Bekleidung nicht zu den lebensnotwendigen Artikeln. «Jeder hat für die nächsten sechs Wochen genügend Kleider. Es geht darum, unsere Gesundheit zu schützen», ist dort zu lesen.
Wie die «Lädeler» entschädigt werden
Das Härtefallprogramm des Bundes und des Kantons Bern sieht Entschädigungen für unverschuldete Betriebsschliessungen vor. Sie umfassen alle betrieblichen Fixkosten wie Strom, Heizung, Mieten und Zinsen, Leasinggebühren, Versicherungsprämien und Ähnliches – allerdings ohne die betrieblich notwendigen Abschreibungen. Ob diese Aufwendungen vollständig entschädigt werden, ist zurzeit noch ungewiss, weil die dafür gesprochenen Mittel limitiert sind.
Die Deckung der Personalkosten ist über die Kurzarbeit sichergestellt – allerdings nur zu 80 Prozent, wenn der Monatslohn über 4340 Franken liegt. Personen mit einem Einkommen von bis zu 3470 Franken werden bei Kurzarbeit zu 100 Prozent entschädigt. Bei Einkommen zwischen 3470 und 4340 Franken beträgt die Kurzarbeitsentschädigung bei vollständigem Verdienstausfall ebenfalls 3470 Franken; teilweise Verdienstausfälle werden anteilsmässig berechnet.
Selbstständigerwerbende, Betriebsinhaber von Aktiengesellschaften und GmbHs sowie deren mitarbeitende Ehegatten können den Lohnausfall während der verordneten Betriebsschliessung über die Erwerbsersatzordnung (EO) geltend machen. Entschädigt werden 80 Prozent des durchschnittlichen AHV-Einkommens, maximal jedoch 196 Franken pro Tag.
Da der aktuelle Lockdown zahlreiche neue Härtefälle generiert, hat der Bundesrat am Mittwoch beschlossen, dem Parlament eine Erhöhung der Hilfsgelder von 2,5 auf 5 Milliarden Franken vorzuschlagen. Das Parlament wird voraussichtlich im März darüber befinden.
RK