Wie die Heime sich aufs Impfen vorbereiten
22.01.2021 Coronavirus, Gesundheit, RegionÄltere Menschen leiden am stärksten unter den Folgen einer Corona-Infektion und stehen auf der Impf-Warteliste deshalb ganz oben. Trotzdem sind viele Alterseinrichtungen noch nicht immunisiert – was unter anderem mit der Krankheit selbst zu tun hat.
BIANCA HÜSING
Ältere Menschen leiden am stärksten unter den Folgen einer Corona-Infektion und stehen auf der Impf-Warteliste deshalb ganz oben. Trotzdem sind viele Alterseinrichtungen noch nicht immunisiert – was unter anderem mit der Krankheit selbst zu tun hat.
BIANCA HÜSING
Die Zielvorgaben des Bundesrats sind so klar wie ehrgeizig: Bis Ende Januar soll die überwiegende Mehrheit der Schweizer AltersheimbewohnerInnen ihre erste Impfdosis erhalten. Doch wie immer zeigt sich in den einzelnen Kantonen ein höchst unterschiedliches Bild. Während Schwyz, Zug oder Luzern schon Ende 2020 mit den Impfungen in Alters- und Pflegeeinrichtungen begonnen haben und entsprechend weit vorangeschritten sind, fiel der Berner Startschuss erst Anfang letzter Woche. Auch werden HeimbewohnerInnen hier nicht bevorzugt behandelt – die erste Impfung steht allen über 75-Jährigen offen.
Viele Einrichtungen sind deshalb noch ohne Impfung – auch im Tal, wie eine Umfrage bestätigt. Doch die Vorbereitungen laufen. In den letzten Wochen wurden die BewohnerInnen schriftlich über das Thema informiert und dazu angehalten, der Heimleitung ihre Entscheidung für oder gegen eine Impfung mitzuteilen. Noch liegen nicht alle Antworten vor, doch scheint die Bereitschaft insgesamt recht gross zu sein – grösser jedenfalls als beim Personal. Sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland oder Österreich bricht sich eine gewisse Impfskepsis unter Pflegefachkräften Bahn. Wie gehen die Einrichtungen damit um? Und wie steht es allgemein ums Infektionsgeschehen vor Ort? Der «Frutigländer» hat bei drei Heimleiter-Innen nachgefragt.
Beat Santschi, Geschäftsleitung der Stiftung Lohner Adelboden
Wie viele Ihrer BewohnerInnen sind schon geimpft, Herr Santschi?
Bisher noch keine. Über Weihnachten hatten wir bedauerlicherweise eine grössere Infektionswelle im Haus, bei der sich 47 Personen angesteckt haben. Für eine Impfung kommen sie deshalb mindestens drei Monate nicht infrage – so lange gelten sie seitens Kantonsarztamt als immun. Allgemein ist die Impfbereitschaft gross und liegt zum aktuellen Zeitpunkt bei zwei Dritteln aller BewohnerInnen. Von den acht Personen, die nicht infiziert waren, haben sich sechs anmelden lassen.
Eine Infektionswelle ausgerechnet über die Feiertage ... Wie geht es den Erkrankten inzwischen?
Das war eine schwierige Zeit für alle, ja. Zum Glück haben die Betroffenen die Krankheit insgesamt recht gut überstanden. Es gab aber zum Teil schwere Verläufe, bei denen eine tagelange Beatmung nötig war, und auch Todesfälle. Bei anderen verlief die Krankheit recht mild bis hin zu symptomlos – auch bei über 90-Jährigen. Einige BewohnerInnen brauchen seit der Infektion etwas mehr Unterstützung als vorher, zumindest vorübergehend. Insgesamt ist es aber bemerkenswert, wie unterschiedlich die Auswirkungen sind.
Haben Sie eine Ahnung, wie das Virus ins Haus gelangt ist?
Genau kann ich das nicht sagen. Aber ich habe etwa vier Quellen ausgemacht, die unabhängig voneinander eine Welle auslösten. Wenn das Virus trotz strenger Schutzvorkehrungen erst einmal im Haus ist, kann es sich leicht verbreiten. Die BewohnerInnen pflegen untereinander einen engen Kontakt – und den wollen wir ihnen auch nicht nehmen, da er für die Lebensqualität ungeheuer wichtig ist. Bei einer Infektion werden sie aber selbstverständlich isoliert, weswegen die Weihnachtszeit ja auch so schwierig war.
Zurück zu den Impfungen. Lässt sich Ihr Personal immunisieren?
Bei den Angestellten ist eine gewisse Zurückhaltung spürbar, und die hat zwei wesentliche Gründe. Erstens waren viele selbst infiziert und werden deshalb wie die betroffenen BewohnerInnen zuwarten. Angesichts des knappen Impfstoffs ist das auch richtig so. Zweitens sind gerade junge Frauen verunsichert, nachdem sie Aussagen über eine drohende Unfruchtbarkeit vernommen haben.
Wie gehen Sie damit um?
Die Mitarbeitenden können sich jederzeit an mich wenden und das Gespräch suchen. Eindeutigen Falschinformationen und Verschwörungstheorien widerspreche ich vehement. Grundsätzlich bin ich dafür, dass sich möglichst viele Menschen impfen lassen. Die Entscheidung liegt aber letztlich beim jeder / -m Einzelnen selbst.
Franziska Schranz, Geschäftsführerin der jetzt Frutigland AG (ehemals Pro Senectute Häuser Reichenbach und Frutigen)
Sind Ihre BewohnerInnen schon geimpft, Frau Schranz?
Nein, wir haben erst kürzlich die Zugangsdaten für die Onlineplattform VacMe vom Kanton erhalten. Somit sind wir als Impforte beim Kanton registriert und werden zeitnah die impfwilligen Bewohnenden anmelden. Anschliessend warten wir auf weitere Anweisungen des Kantons und bereiten uns zusammen mit den Heimärzten vor.
Sind die BewohnerInnen denn grundsätzlich impfwillig?
In der Andristmatte (Frutigen) lassen sich 65,9 Prozent der Bewohnenden impfen, im Fröschenmoos (Reichenbach) sind es 63,3 Prozent. Es ist spannend zu sehen, dass die Zahlen völlig unabhängig voneinander fast gleich ausfallen.
Und wie siehts bei den Angestellten aus?
Auch die Mitarbeitenden wurden von uns per Brief mit den entsprechenden Informationen des Kantons angeschrieben. Bei Interesse konnten sie uns zurückmelden, ob sie sich auch im Haus impfen lassen wollen oder nicht. Aktuell wollen sich an beiden Standorten zirka 25 Prozent vor Ort impfen lassen. Da sich Mitarbeitende aber auch ausserhalb der Institutionen impfen lassen können, kann ich nicht sagen, wie gross die Bereitschaft hier insgesamt ist. Eine gewisse Unsicherheit ist aber spürbar.
Wie reagieren Sie darauf?
Wir geben den Mitarbeitenden selbstverständlich die Möglichkeit, über die Impfung zu sprechen. Dabei geben wir die Empfehlung des BAG 1:1 weiter und versuchen, genügend Informationen zur Verfügung zu stellen, damit sie sich entscheiden können. Letzten Endes ist der Impfentscheid aber für alle Beteiligten eigenverantwortlich und selbstbestimmt – wie in der Strategie des Kantos festgehalten.
Gab es überhaupt schon Infektionen in den jetzt-Heimen Frutigen und Reichenbach?
Glücklicherweise hatten wir an beiden Standorten bis jetzt keine entdeckten Covid-19-Fälle.
Beatrice Ramseier, Geschäftsführerin der Pension Adelmatt in Aeschi
War das mobile Impfteam schon bei Ihnen, Frau Ramseier?
Nein, für den Besuch des Impfteams hätten wir uns bis zum 8. Januar anmelden müssen. Damals waren wir aber noch nicht so weit, da wir gerade eine Infektionswelle hinter uns hatten. Ende November / Anfang Dezember hat sich die Hälfte der BewohnerInnen angesteckt.
Haben sie die Krankheit gut überstanden?
Zum Glück ist niemand schwer erkrankt, keiner der Betroffenen musste ins Spital. Die meisten haben sich inzwischen gut erholt. Allerdings hatten wir auch drei Todesfälle während der Isolation zu beklagen, weitere erst, nachdem die Isolationsphase vorbei war und wir eigentlich dachten, die Betroffenen seien über den Berg. Ob diese wegen Covid-19 gestorben sind, kann das Kantonsarztamt nicht zweifelsfrei sagen.
Wie stehen die Bewohner zum Impfen?
Wir haben in den letzten Wochen die Unterlagen verschickt, und ungefähr die Hälfte unserer 40 Bewohnenden hat sich bis jetzt zurückgemeldet. Davon hat nur einer sich gegen eine Impfung entschieden. Ich bin positiv überrascht, wie gross die Bereitschaft ist.
Trifft dies auch auf Ihr Personal zu?
Unsere Mitarbeitenden wurden zwar ebenfalls informiert, müssen die Impfanmeldung aber selbst in die Hand nehmen. Wir möchten aus Datenschutzgründen auch gar nicht wissen, wer sich impfen lässt und wer nicht. Ich setze da auf Eigenverantwortung.
Wer verabreicht den Impfstoff, wenn das mobile Team nicht mehr kommt?
Das macht der Heimarzt. Einrichtungen, die sich nach dem 8. Januar anmelden, bekommen den Impfstoff zugeschickt. Sobald dieser eintrifft, können wir mit der Immunisierung der Corona-negativen BewohnerInnen beginnen.
Weniger Eintritte wegen Corona?
Die Angst vor einer Ansteckung oder vor Isolation hält manche Senioren zurzeit noch davon ab, ins Altersheim zu ziehen. Die Heimeintritte, die in den letzten Jahren tendenziell immer zugenommen hatten, sind im Frühling 2020 schweizweit um drei Prozent zurückgegangen. Können die drei befragten Institutsleiter den Eindruck bestätigen?
Beatrice Ramseier, Pension Adelmatt: «Man merkt schon, dass es plötzlich überall freie Betten hat. Aktuell kommen nur BewohnerInnen aufgrund eines Notfalls oder medizinischer Notwendigkeit zu uns. Direkt von zu Hause aus zieht zurzeit niemand ins Heim ein.»
Beat Santschi, Stiftung Lohner: «Wir haben tendenziell immer zu wenig Platz. Während der Infektionswelle waren durchaus Vorbehalte zu spüren, mittlerweile treffen aber wieder die ersten Anfragen ein.»
Franziska Schranz, jetzt Frutigland AG: «Aktuell sind beide Standorte zu 100 Prozent ausgelastet. Dies kann sich, wie wir aus der Pandemie wissen, von einem auf den anderen Tag ändern. Die Angst vor Ansteckungen ist nicht unbedingt das grosse Thema, eher die Quarantänepflicht bei Eintritt. Ich denke, ethische Fragen werden die zukünftigen Kunden beschäftigen, wenn sie sich für einen Eintritt in eine sozial-medizinische Institution entscheiden. Fragen wie: ‹Kann ich damit leben, dass Sicherheit vor Selbstbestimmtheit gestellt wird?› Wir versuchen, innerhalb der ständig ändernden Vorgaben, praktikable Lösungen zu finden, die vertretbar und annehmbar sind.»
HÜS