Wo Kinder Skifahren und Manieren lernten
26.01.2021 Adelboden, TourismusIn einer Notlage investierte ein innovativer Bauer und Skilehrer 1950 in einen Kinderlift. Bis heute, 70 Jahre später, erfreut die Anlage eine grosse Kinderschar.
HANS HEIMANN
«Mein Vater hatte in einem Wiederholungskurs für Skilehrer einen schweren Unfall. Das ...
In einer Notlage investierte ein innovativer Bauer und Skilehrer 1950 in einen Kinderlift. Bis heute, 70 Jahre später, erfreut die Anlage eine grosse Kinderschar.
HANS HEIMANN
«Mein Vater hatte in einem Wiederholungskurs für Skilehrer einen schweren Unfall. Das bedeutete 1949 das Ende seiner Tätigkeit als Skilehrer und des sicheren Broterwerbs zur Winterszeit», erzählt Ilse Allenbach-Zryd einleitend. Sie sitzt mit ihrem Mann Werner im Chalet Schwalbennest im Ausserschwand an einem Tisch, vor ihnen sind ein Fotoalbum und Zeitungsberichte ausgelegt. «Mein Vater war ein gescheiter Mann, er wusste viel, und seine Frau Rosina war eine Tüchtige. Doch durch den Unfall fehlte plötzlich der Verdienst als Skilehrer. Sie hatten fünf Kinder durchzubringen, die Not war gross», erklärt Ilse Allenbach die damals schwierige Situation für den Vater, der auch Landwirt und Viehzüchter war. Irgendwann wurde bekannt, dass Männer vom Gewerbe, von den sogenannten Schwandherren, Geld sammelten, um die Zälgmatte im Dorf zu kaufen und mit einem Bauverbot zu belegen. Da kam Zryd-Hani, wie ihr Vater von allen genannt wurde, die zündende Idee. Das Grundstück diente schon damals als Skischulübungsgelände, aber ohne Aufstiegshilfe. Ein Lift wäre für die Skischüler doch eine Erleichterung – und für ihn selbst eine neue Erwerbsquelle!
Woher kommt das zweite R?
Im Winter 1950 war es soweit: Zryd-Hani startete seinen Schlepplift, angetrieben durch einen Dieselmotor am oberen Ende des Trassees, das erste Mal. Die neue Attraktion im Dorf sei ein richtiger «Häntschefresser» gewesen, denn das Zugseil, woran man sich festhalten musste, war aus Hanf hergestellt. Dies hätte fast jedes Jahr ersetzt werden müssen, erinnert sich die Adelbodnerin und erwähnt, dass der Lift von der Firma Noro aus den USA stammte. Später wurde dieser mit einem von der Talstation gesteuerten Elektromotor betrieben, beim Seil wich der Hanf dem Kunststoff. Irgendwann hiess die Anlage dann Norro-Skilift, woher das zweite «R» kommt, ist unbekannt.
20 Rappen für eine Einzelfahrt
Hani und Rosina Zryd teilten sich während 35 Jahren die Aufgaben am Lift. Er schaute, dass die Anlage reibungslos lief, und sie knipste die Fahrkarten. Für Einzelfahrten kassierte sie 20 Rappen. Manchmal liessen sie Kinder auch gratis fahren, wenn diese ihnen bei kleinen Arbeiten halfen. Oft nahm Rosina heissen Tee mit in ihr Kassenhäuschen oder kochte dort welchen auf einem einfachen Petrolkocher und versorgte damit auch die Kinder. Ihre eigenen fünf spannte sie im Familienbetrieb ein. Sie halfen gerne mit – und kamen sogar in der Schulpause schnell zum Lift. So lernten sie nebenbei, wie mit der Anlage, aber auch mit den Fahrgästen umzugehen war.
Übergabe zum Freundschaftspreis
1985 kam es nicht nur zum Modell-, sondern auch zum Generationenwechsel. Von nun an zog eine Occasionsanlage der Firma Borer die Skifahrer und Ilse und Werner Allenbach führten den Skilift weiter. «Wir waren beide immer mit Herzblut dabei.» Die Kinder lernten nicht nur Skifahren, sondern auch gute Manieren. Sie erinnert sich: «Wenn es einen Buben gab, der sich nicht anständig benahm, bat ich diesen jeweils, mir doch hier oder da zu helfen, oder auf die anderen aufzupassen. Das hat immer geholfen, derjenige wurde jedes Mal ganz brav.» Als Bruno Mathys, Gründer und Mitbesitzer von Crazy Sports Ltd. und der offiziellen Snowboardschule Adelboden, im Winter 2005 wieder mal mit dem Snowboard auf eine letzte Runde beim Norro-Lift vorbeikam, eröffnete ihm Ilse Allenbach ihre Absicht, den Lift zu verkaufen. «Das wäre doch was für dich», rief sie Mathys zu. Doch dieser drehte an dem Tag seine letzten Schwünge auf dem Board und fuhr dann nach Hause, ohne sich zum Angebot zu äussern. Er hatte erst einmal darüber schlafen wollen. «Als er uns dann zusagte, fiel mir ein Stein vom Herzen. Wir verkauften alles, so wie es war, zu einem Freundschaftspreis», so Allenbach.
Eine schwarze Null ist ein Erfolg
Mit der Übergabe ging eine 56-jährige Familientradition zu Ende –und für Ilse eine Herzensangelegenheit. Eine so grosse, dass sie den Lift nach dem Verkauf zwei Jahre lang nicht besucht hat. Seit 15 Jahren betreibt nun Bruno Mathys den Norro-Lift, und der sei immer noch eine gute Sache, ist er überzeugt: «Obschon vom Original nur noch das Getriebe, das Gestell und die ‹Bergstation› übrig sind, hilft er vielen Kindern, das Skifahren zu erlernen. Zugleich dient er auch als Übungslift der offiziellen Snowboardschule Adelboden.»
Bei der Übernahme hatte Mathys gewusst, dass unweit vom Skilift die Sportarena gebaut würde, er hoffte sogar auf Synergien. Doch das Gegenteil geschah: Viele dachten, den Norro-Lift gäbe es nicht mehr, weil er nun hinter der Sportarena stand, und die Frequenzen sanken extrem. «Doch nadisna registrierten die Leute, dass der Skilift noch existiert», schaut Mathys zurück. Es stecke viel Idealismus dahinter, lässt er wissen, und bekennt mit einem Lächeln: «Ich habe einfach Freude an Maschinen.»
Auf die finanzielle Seite angesprochen meint der Geschäftsmann: «Wenn es eine Null gibt, bin ich schon glücklich. Der Norro-Lift dient Adelboden, ich erfahre sehr viel Goodwill.» Werbung macht Mathys keine, lässt sich aber doch noch kurz einen Werbespot entlocken: «Es ist der sonnigste Lift in Adelboden.»