«Wir wollen kein Gourmettempel sein»
09.02.2021 Adelboden, TourismusGASTRONOMIE Das Engstligtal hat seinen ersten Sternekoch. Vor einer Woche verlieh der Gastroführer «Guide Michelin» dem Adelbodner «Alpenblick»-Chef die begehrte Auszeichnung. Doch abgehoben ist Björn Inniger deswegen nicht: Er will für alle da sein.
PETER SCHIBLI
GASTRONOMIE Das Engstligtal hat seinen ersten Sternekoch. Vor einer Woche verlieh der Gastroführer «Guide Michelin» dem Adelbodner «Alpenblick»-Chef die begehrte Auszeichnung. Doch abgehoben ist Björn Inniger deswegen nicht: Er will für alle da sein.
PETER SCHIBLI
Für den Adelbodner ist ein Bubentraum in Erfüllung gegangen: «Die Auszeichnung ist etwas vom Grössten, was ein Koch erreichen kann», beschreibt er seinen Stolz am runden Tisch in der «Stuba». Vor zwei Jahren hatte der Wilderswiler Wirt Richard Stöckli seinen Nachwuchskollegen Björn Inniger bereits zu den heissesten Anwärtern gezählt. Vom anderen Gourmetführer «GaultMillau» wird der «Alpenblick» bereits seit einiger Zeit mit 16 Punkten bewertet. Dass der Michelin-Stern gerade jetzt kam, war für den 34-Jährigen aber doch eher eine Überraschung, da er durch die Corona-Krise momentan andere Prioritäten hat.
In den Kopf steigen werden ihm die Auszeichnungen nicht. Inniger bleibt auf dem Boden und leitet das Gespräch immer wieder auf das, was ihm wichtig ist: Auf die Frage, ob für ihn die 16 Punkte oder der Stern wichtiger seien, meint er lakonisch: «Für mich ist der Gast wichtig. Ihn zu verwöhnen, glücklich zu machen, ihm ein Gourmeterlebnis, ein Wohlgefühl zu vermitteln, ist für mich und mein Team das höchste und wichtigste Ziel.»
Bündner Vorbilder
Vorbilder hat er mehrere: Andreas Caminada, den Chef des Schlossrestaurants Schauenstein etwa, und Mitja Birlo, den Starkoch des Restaurants 7132 Silver in Vals. Dass beide in den Bündner Bergen kochen, ist wohl eher ein Zufall – wobei auch Inniger, Mitglied der internationalen Vereinigung junger Restaurantbetreiber «Jeunes Restaurateurs» (JRE), Produkte aus dieser Region schätzt und in den Mittelpunkt seiner Kunst stellt.
«Was macht ein gutes Essen aus?» Inniger muss nicht lange überlegen. «Ein gutes Essen beginnt mit dem Einkauf qualitativ hochwertiger Saisonprodukte, geht über eine leidenschaftliche Zubereitung und wird durch einen professionellen Service in einem perfekten Ambiente gekrönt», antwortet er. In den vergangenen Jahren habe er seinen eigenen Stil gesucht und gefunden; einen Stil, bei dem der Wiedererkennungswert ein wichtiges Merkmal ist.
Topqualität aus der Fusionsküche
«Das Beste aus der Region, verfeinert und ergänzt durch Topprodukte aus aller Welt.» Mit diesem Satz könnte man Innigers Kochstil umschreiben. In der «Fusionsküche» werden lokale Spezialitäten wie Wild, Schwein, Chabis oder Randen mit Entenleber oder Salzwasserfisch kombiniert. Eine seiner Spezialitäten ist das Einmachen von Gemüse und Früchten, das er dem Einfrieren vorzieht. Mit eingemachten Sommerprodukten könne er im Herbst und Winter die warme Saison verlängern, ohne dass der Geschmack oder die Konsistenz der Zutaten leide.
Nachhaltigkeit, Wiederverwertung, ein sparsamer Ressourceneinsatz mit möglichst wenig Abfällen sowie keine Produkte aus der Massentierhaltung sind für ihn selbstverständliche Grundsätze, die er nicht extra hervorheben muss. Das Team überlege stets, wie man die Produkte komplett verarbeiten könne. Bei der Umsetzung komme ihm die Aufteilung des Restaurants in «Bistro» und «Stuba» entgegen. So könne es durchaus vorkommen, dass das Fleisch einer Tomate in einem Gourmetmenu serviert werde, während die Schale und der Saft im Bistro in einer traditionellen Suppe auf den Tisch kämen.
Erfahrung, Wissen, Mut zu Neuem und ein gutes Team sind Voraussetzungen für den Erfolg bei den Gästen. Ohne seine sieben motivierten Mitarbeitenden mit Talent und Kontinuität, welche die Ideen des Chefs umsetzen, ginge es nicht, gibt Inniger sich überzeugt. «Im Moment kann ich auf das stärkste Team zählen, das ich je hatte. Dazu gehören zwei einheimische Köche.» Dankbar ist er auch seinem Vater Alfred, der in der Küche mitarbeitet, und seiner Mutter Hanni, die für den Wein zuständig ist. Ehefrau Marianne, die in Kürze ihr erstes Kind erwartet, ist im «Alpenblick» Gastgeberin und seine wichtigste Ansprechpartnerin. «Dank ihr durfte ich all die Erfolge der letzten Jahre feiern», erzählt der preisgekrönte Küchenchef.
Berner Lehr- und Wanderjahre
Die Familie Inniger ist eng mit dem «Alpenblick» verbunden. 1988 gründete Vater Alfred das Restaurant gegen beträchtlichen Widerstand aus dem Dorf. Björn wuchs an der Dorfstrasse auf und absolvierte im «Schönbühl» in Hilterfingen eine Kochlehre. Seine weiteren Stationen waren das inzwischen geschlossene «Chesery» in Gstaad und das «Mille Sens» in der Berner Markthalle. Bereits 2014 übernahm er das Restaurant seiner Eltern in Adelboden. Dass er weder in Singapur noch in New York kochte, ist für seine Karriere kein Manko. «Es hat sich einfach nicht ergeben.» Die Familientradition sorgte dafür, dass er sich bereits in jungen Jahren im Lohnerdorf niederliess.
Was die Zukunft bringt, weiss niemand, auch Björn Inniger nicht. «So weiterfahren wie bisher, die Qualität, den Stil halten und ausbauen, ein guter Ausbildungsbetrieb sein für Köche und Servicepersonal», lauten seine mittelfristigen Ziele. Kurzfristig hält ihn, wie alle andere Kolleginnen und Kollegen in der Branche, die Corona-Krise auf Trab. Derzeit betreibt Inniger einen Takeaway mit Menus, die er normalerweise im «Bistro» serviert.
Bestellt werden etwa Rindstatar, Thai-Curry, Mini-Desserts und das wöchentliche «StubaMenü@Home». Zum Valentinstag gibts ein Spezialmenü. Seinen vielen Stammgäste auch während der Pandemie ein Erlebnis zu bieten und sie mit Kulinarischem zu verwöhnen, ist ihm Ehre und Verpflichtung zugleich. «Wir wollen kein Gourmettempel sein. Wir sind für alle da, für Fremde und für Einheimische», betont der Küchenchef der Dorfbeiz mit einem Stern und 16 Punkten – und verschwindet alsbald wieder hinter dem Herd.