Der Pöstler bringt das Coq au Vin
12.02.2021 Coronavirus, KanderstegIm «Alfa Soleil» läuft die Wintersaison ebenso harzig wie in den meisten anderen Betrieben: leere Betten und unterbeschäftigtes Personal während der Woche. Besitzer Nico Seiler macht aus der Not eine Tugend und bietet Gerichte aus der Gildeküche von «Nico’s Restaurant» per Post ...
Im «Alfa Soleil» läuft die Wintersaison ebenso harzig wie in den meisten anderen Betrieben: leere Betten und unterbeschäftigtes Personal während der Woche. Besitzer Nico Seiler macht aus der Not eine Tugend und bietet Gerichte aus der Gildeküche von «Nico’s Restaurant» per Post an.
RETO KOLLER
Wer in Corona-Zeiten ein Restaurant führt, hat nichts zu lachen. Der seit Mitte Dezember währende Shutdown mit Schliessungsentscheid für alle Gastronomiebetriebe lastet schwer. Der Kandersteger Hotelier und Gildekoch Nico Seiler hat sich für sein Restaurant etwas einfallen lassen, damit seine Küchenbrigade nicht aus der Übung kommt.
«Kurzarbeit ist nur ein Teil der Lösung»
Seiler beschäftigt in seinem Hotel zwei Lernende. Für beide ist die Kurzarbeit mit Nachteilen verbunden. «Sie ist nur ein Teil der Lösung. Kurzarbeit entlastet zwar den Betrieb finanziell, hilft aber Lernenden nicht beim Erwerb und der Anwendung ihrer Fähigkeiten», sagt der Hotelier. Ihm liegt die Berufsausbildung sehr am Herzen. Der junge Eritreer Filmon Teklu steht kurz vor dem Abschluss seiner Attestlehre. Zum erfolgreichen Bestehen der Prüfung braucht er allerdings Praxis. Sie fehlt, wenn Gaststube und Hotel fast leer sind. Dies inspirierte Seiler zum Projekt «Send-away». Er will sein Küchenteam auch dann beschäftigen und auf hohem Niveau kochen lassen, wenn die Umstände Restaurantund Hotelgäste fernhalten.
In der ganzen Schweiz bestellbar
Vorerst glaubte Seiler nicht so recht an das viel zitierte Take-away als Mittel gegen Restaurantschliessungen. Der Markt Kandersteg schien ihm zu klein, andere Betriebe waren bereits aufgesprungen. Nach einigem Zögern entschloss er sich trotzdem für ein kleines Angebot. «Ich musste doch mein Personal irgendwie beschäftigen», begründet er seinen Sinneswandel. Nachdem die Spezialitäten aus seiner Küche überraschend guten Anklang fanden und am 18. Januar die Verlängerung der Shutdown-Massnahmen Tatsache wurde, entschloss sich der umtriebige Gastronom zu einem weiteren Schritt: Sendaway statt Take-away! «Wenn die Gäste nicht mehr kommen dürfen, so kommen meine Speisen zu ihnen nach Hause – und dies nicht nur in Kandersteg, sondern in der ganzen Schweiz per Postversand», beschreibt er seine aus der Not geborene neue Geschäftsidee. Wer im Laufe des Morgens bestellt, braucht am kommenden Tag nur noch ein heisses Wasserbad, um das Coq au Vin, das Rotkraut und den Kartoffelstock schonend zu erwärmen. Nach kaum einer Woche verliessen bereits erste «Fresspäckli» die Restaurantküche.
Richtig investiert, richtig engagiert
Seiler hat in letzter Zeit viel in die Küche investiert. Ein leistungsfähiger Schockgefrierer gehört ebenso zur technischen Ausstattung wie ein grosszügiges Pasteurisiergerät und ein Vakuumierer – all das braucht es, um Speisen schonend und ohne Qualitätsverlust haltbar zu machen und mit wenig Platzaufwand in Plastikbeuteln zu versenden. Die Produktion ist jedoch nur das eine – ebenso wichtig ist die Onlinevermarktung. Dabei half der Zufall. Seilers Schwager Daniel Geiger arbeitet im Hotel Alfa Soleil als Chefrezeptionist. Er ist ein leidenschaftlicher Computertüftler und hat in Windeseile eine taugliche Website mit Shop und elektronischer Zahlfunktion kreiert. Ein kurzes Video zeigt, wies geht. Im Onlinerestaurant finden sich vollständige Menüs und eine Anzahl Gerichte zum selbst Zusammenstellen. «Ohne Daniels Computerleidenschaft wäre es unmöglich gewesen, so etwas zu realisieren, weder zeitlich noch finanziell», meint Seiler. Er will mit seinen Menüs neue Massstäbe setzen. «Wir unterscheiden uns in der Art der Zubereitung und der Qualität deutlich von gängigen Convenience-Produkten der Grossverteiler», lässt der leidenschaftliche Koch wissen. Jedes Gericht werde genau gleich zubereitet, wie es für seine Gildeküche im Hotel und im Restaurant schon immer Standard war.
Ist die Nachfrage vorhanden?
Der Onlinegourmetshop läuft erst seit einigen Tagen. Ob er ein Erfolg werden wird, lässt sich zurzeit noch nicht sagen. Seiler und seine Leute widmen sich nun der nächsten Phase ihres Projekts: der Promotion und dem Verkauf. Alle Stammgäste des «Alfa Soleil» werden in den nächsten Tagen per E-mail über die Möglichkeit informiert, sich die Menüs ihres Lieblingshotels an den eigenen Herd schicken zu lassen. «Ich mache auch Lieferanten und Unternehmen mit meinem neuen Angebot bekannt. Dann schauen wir mal, wie das Echo ausfallen wird.» Seiler treibt das Marketing voran, weil er die Gunst der Stunde nutzen will. Sollte der Restaurant-Shutdown über den 28. Februar hinaus verlängert werden, steigt nach Ansicht des Gastronomen die Lust auf gehobene Esskultur am eigenen Esstisch. Seiler glaubt auch bei einer Rückkehr in die gastronomische Normalität an die Chance seines «Send-aways». «Gut essen, ohne selbst kochen zu müssen, hat Zukunft», ist er überzeugt. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob er recht behält.