WISSENSCHAFT Eine neue Studie gibt Aufschluss, in welchen Innenräumen man sich besonders leicht mit dem Coronavirus infizieren kann. Die Daten sind aufschlussreich, bestätigen letztlich aber nur, was man schon wusste.

MARK POLLMEIER
Es ist einer der Hauptkritikpunkte, wenn es um die Corona-Einschränkungen geht: Man wisse ja gar nicht so genau, wo das Risiko besonders gross sei.

Einerseits stimmt das: Viele Ansteckungen lassen sich nicht zurückverfolgen, was zu ungenauen Statistiken führt. Anderseits predigen Epidemiologen seit Beginn der Pandemie immer dasselbe: Wer in geschlossenen, schlecht belüfteten Räumen mit vielen Menschen zusammenkommt, steckt sich besonders leicht an – vor allem, wenn er dabei keine Maske trägt. Der Grund für diese Warnung ist seit Längerem bekannt. Bei seiner Verbreitung nutzt das Virus winzige Wassertröpfchen, sogenannte Aerosole, als Vehikel. Wo viel geatmet, gesprochen, gelacht wird, sind demnach besonders viele Aerosole unterwegs, also auch besonders viele Viren. In geschlossenen Räumen ohne Belüftung steigt deren Konzentration nach einer Weile stark an – und mit ihr das Ansteckungsrisiko. Ein Forscherteam der Technischen Universität (TU) Berlin hat nun untersucht, wie gross dieses Risiko in bestimmten Innenräumen ist. Damit die Situationen vergleichbar sind, gingen sie dabei von folgenden Bedingungen aus:

• Alle Personen im Raum halten sich grundsätzlich an die gängigen Regeln (Abstand, Hygiene, Maske tragen und lüften).
• In den Innenräumen hält sich jeweils eine infizierte Person auf. Die übrigen Menschen sind gesund.
• Die Räume werden «nutzungstypisch» belegt, das heisst, der Aufenthalt in einem Grossraumbüro dauert einen Arbeitstag lang, die Unterrichtszeit in der Schule währt sechs Stunden, der Besuch im Restaurant anderthalb Stunden, der Gang zum Coiffeur oder ins Theater nimmt zwei Stunden in Anspruch.

Das Ergebnis der Untersuchung ist nicht überraschend. Zusammenfassend lässt sich sagen: Je kleiner der Raum und je grösser die Personenzahl darin, desto höher ist auch das Infektionsrisiko – vor allem dann, wenn man sich auch noch besonders lange an solchen Orten aufhält. Kein Wunder also, dass in Büros und Schulzimmern die Ansteckungsgefahr besonders hoch ist. In grossen, meist automatisch belüfteten Räumen wie Theatern, Kinos oder Supermärkten ist das Risiko geringer – freilich auch, weil man sich dort nicht so lange aufhält und weniger geredet wird als etwa in der Schule.

Kritik an der Untersuchung
Studienleiter Martin Kriegel gibt zu, dass die Annahmen für die Studie sehr schematisch sind. Die Realität sei deutlich komplexer, es gebe noch viele ungeklärte Fragen. So sei etwa die Ausbreitung des Coronavirus über Aerosolpartikel noch nicht vollständig erforscht.

Andere Wissenschaftler weisen denn auch darauf hin, die Zahlen aus der Studie seien mit Vorsicht zu geniessen. Sie würden eine Präzision vorgaukeln, die es so nicht gebe. Was zum Beispiel, wenn sich in einem Raum nicht einer, sondern drei Infizierte aufhielten? Schon sei das Ergebnis ein völlig anderes.

«Es ist ein einfaches Abschätzungsmodell, das allerdings auf einem detaillierten Infektionsrisikomodell basiert», kommentiert Martin Kriegel solche Überlegungen. Das heisst: Die Rechnungen sind mit tatsächlich geschehenen Corona-Ausbrüchen abgeglichen worden. Manche Wissenschaftler äussern sich zur Studie durchaus positiv, weil man mit den vorgelegten Zahlen eine Vergleichsmöglichkeit habe. «Die Botschaft ist eigentlich simpel», findet etwa Jos Lelieveld, Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz (Deutschland). «Wenn eine Gruppe von Personen sich mit einem infizierten Menschen längere Zeit in einem geschlossenen Raum aufhält, ist das Ansteckungsrisiko sehr hoch. Über mehrere Stunden reichern sich die virenbeladenen Aerosole an, wobei die infektiöse Dosis erreicht werden kann.»

Was ist mit Mutationen?
Apropos infektiöse Dosis – was ist mit den Virusmutanten, die teilweise deutlich infektiöser sein sollen? Für die vergleichende Bewertung der Innenraum-Situationen seien diese Varianten nicht von Bedeutung, so die Forscher der TU Berlin. Wenn sich die Ansteckungsfähigkeit des Virus verändere, würden sich die Balken in der Grafik lediglich parallel nach links oder rechts verschieben. Die grundsätzlichen Unterschiede aber blieben dieselben.

Eine kurze Zusammenfassung der beschriebenen Studie finden Sie in unserer Web-Link-Übersicht unter www.frutiglaender.ch/Web-Links.html

Gefährlich: Schulen und Büros

Image Title

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Ja. Ich benötige ein Abo.

Article

Image Title