Drei Wochen Militärdienst zu Hause: Reto Jungen geniesst zwar die Homeoffice-Rekrutenschule, erkennt aber auch die Grenzen des selbstständigen Lernens ohne Praxisbezug. Dies sei definitiv nur eine Notlösung.

HANS RUDOLF SCHNEIDER
Reto Jungen kann sich derzeit gut mit seiner Situation abfinden. Statt in Feldgrün draussen in der Kälte zu sein oder die grosse Zerlegung des Sturmgewehrs zu üben, sitzt er am elterlichen Küchentisch in Reinisch und schaut auf den Bildschirm seines Laptops. Der Blick nach draussen, wo es seit Stunden schneit, zeigt die Vorteile der Homeoffice-RS deutlich. Auch die legere Kleidung ist ein grosser Unterschied zu den gut 8000 Rekrut-Innen, die am 18. Januar in die Kasernen eingerückt sind. Mit dem «Distance-Learning» hat sich die Armee einiges einfallen lassen, damit die Rekrutenschulen unter den Bedingungen der Corona-Pandemie durchgeführt werden können.

Alle zwei Tage ein Anruf
Der knapp 20-jährige gelernte Zimmermann ist einer der 4800 Armeeangehörigen, die ganz normal den Marschbefehl für die Rekrutenschule erhalten haben. Im Dezember wurden sie vorgewarnt, dass es Änderungen geben könne. «Am selben Tag, als ich im Radio davon hörte, erhielt ich auch schon das Kuvert mit den Unterlagen – zum Einloggen im Lernprogramm der Armee», sagt Jungen. Dabei deutet er auf einige Seiten Papier neben dem Computer. Das Lernprogramm sei einfach und selbsterklärend, wenn es denn funktioniere. In der ersten Woche gab es tageweise Ausfälle des Computersystems, die Armee wurde dafür auch kritisiert. Sein Wachtmeister habe ihn aber mehrmals angerufen und ihm auch Unterlagen per Mail zugestellt. «Die erkundigen sich etwa alle zwei Tage telefonisch, wie es mir geht und ob ich gesund bin», ist er erstaunt.

«Das ist schon sehr theoretisch»
Nun sitzt Jungen jeden Tag ein paar Stunden in der zum Theoriesaal umfunktionierten Küche, nimmt sich ein Ausbildungsmodul nach dem anderen vor. Munitionskunde, Abzeichen, Dienstreglement, ABC-Abwehr oder Kameradenhilfe. Was ihm fehlt, ist fachspezifisches Wissen für seine künftige Funktion als Verkehrssoldat. Am Ende jedes Blocks gibt es ein Quiz mit einer kurzen Rückmeldung, ob er die Fragen richtig beantwortet hat. «Das ist schon sehr theoretisch, wie viel das wirklich bringt?», frage er sich zwischendurch.

Dennoch will er die drei Wochen Homeoffice-RS am Laptop nutzen, setzt sich diszipliniert hin und lernt militärisches Grundwissen. Wenn er am 8. Februar in Rivera / Monte Ceneri im Tessin einrückt, will er nicht hinterherhinken. Schliesslich hat die Armee nicht nur den obligatorischen Corona-Test, sondern auch einen Sporttest und eine Wissensprüfung angekündigt. Allfällige Lücken müssen dann aufgefüllt werden, das heisst dann nachsitzen.

Eine Art Weiterbildung
Der Verkehrssoldat hat insgesamt zehn Monate Militärdienst vor sich. Wie sein älterer Bruder leistet er den ganzen Dienst an einem Stück ab, die Entlassung ist für den 10. November geplant. Das hat den Vorteil, dass er den Dienst dann hinter sich hat und sich voll auf den Job konzentrieren kann. Im Sinn hat er eine Zweitlehre als Hochbauzeichner.

Jungen wird in die Verkehrs- und Transport-Schulen 47 einrücken, in denen an verschiedenen Standorten pro Jahr jeweils 1350 Motorfahrer und 500 Verkehrssoldaten für die Regelung des militärischen Strassenverkehrs ausgebildet werden. «Ich wollte eigentlich Lastwagenfahrer werden, doch davon hatte es zu viele. Ich kann aber sicher auch als Verkehrssoldat profitieren und beispielsweise die Töffprüfung machen.» Er betrachtet seinen Dienst durchaus als eine Art Weiterbildung.

Das Sturmgewehr spüren
Dass Theorie ohne Praxis nur eine halbe Sache ist, hat ihm auch sein Bruder gezeigt. Weil der im Schützenverein ist, hat Reto Jungen schon ein Sturmgewehr in den Händen gehabt. «Es ist was anderes, das Gewehr anzufassen, als nur auf dem Bildschirm zu sehen.» Auch deshalb schaut er seinem realen Militärdienst gespannt und sogar mit Freude entgegen. «Es ist gemütlich, drei Wochen länger zu Hause bei der Familie sein zu können. Aber länger möchte ich die RS so nicht machen», sagt Jungen. Und nein: Über Corona in der Rekrutenschule mache er sich kaum Gedanken, und im Ernstfall wüssten die Vorgesetzten hoffentlich schon, wie zu reagieren sei.

Gespannt auf die «richtige» RS

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