Südamerika-Geschichten aus dem Stiegelschwand
02.02.2021 Adelboden, KulturLITERATUR Der Journalist Freddy Widmer, der zusammen mit seiner Frau Lis seit vielen Jahren in Adelboden logiert, hat ein stimmungsvolles Buch mit fiktiven Erzählungen geschrieben.
PETER SCHIBLI
Manch einer im Tal dürfte dem Basler Stammgast Freddy Widmer schon ...
LITERATUR Der Journalist Freddy Widmer, der zusammen mit seiner Frau Lis seit vielen Jahren in Adelboden logiert, hat ein stimmungsvolles Buch mit fiktiven Erzählungen geschrieben.
PETER SCHIBLI
Manch einer im Tal dürfte dem Basler Stammgast Freddy Widmer schon begegnet sein: Im Winter räumt der 73-Jährige in der Chumihütte den Neuschnee weg und steht an Spitzentagen am Grill. Zwischendurch hilft er auf dem Hof von Marlis und Hansueli Hari im Stiegelschwand beim Holzen und Heuen. Unlängst hat der ehemalige Redaktor der «Basler Zeitung» ein Buch publiziert, in dem er seine Verbundenheit mit und seine Liebe zu Südamerika öffentlich macht. «Der Zeitgeber und andere Tode» enthält neun Kurzgeschichten, in denen es um Themen, Beziehungen und Werte geht, die auch im Engstligtal von Bedeutung sind.
Eine Liebeserklärung in neun Novellen
Freddy Widmer und seine Frau Lis haben als Rucksackreisende insgesamt zwei Jahre auf dem südamerikanischen Kontinent verbracht. Ihre Begegnungen zeichneten sie in zahllosen Briefen auf. Das Buch ist indes kein Tagebuch mit realen Erlebnissen, sondern ein Werk mit neun fiktiven Novellen – eine Liebeserklärung an die Menschen und Landschaften zwischen dem Amazonas und Patagonien, zwischen den Anden und dem Regenwald.
Da geht es um einen eigenmächtigen «Dorfkönig», der von einem sozial eingestellten Dorfbewohner vom Saulus zum Paulus bekehrt wird. Ein anderer Protagonist ist ein kluger Esel namens «Toyota», der bei der Rettung eines unehrlichen Touristen eine entscheidende Rolle spielt. Als unerfüllte Liebesgeschichte entpuppt sich die Begegnung eines Motorradfahrers, der auf seinem Sozius eine hübsche Frau mitfahren lässt. Als er sie wiedersehen möchte, erfährt er, dass die Angehimmelte seit zwei Jahren tot ist.
Aus Widmers Leben gegriffen scheint die Geschichte einer Dorfgemeinschaft, die einen kleinen Unterstand und eine Wasserleitung baut. Da dem Ingenieur bei der Planung ein Fehler unterlief, wird dieser bei einem Besuch von den Handwerkern beschimpft und gedemütigt. Auf einer Bergtour kommt der Ingenieur anschliessend ums Leben, worauf dessen Frau den Irrtum wiedergutmacht und der Dorfgemeinschaft eine grössere Hütte finanziert.
Die Widmers waren vor zwei Jahrzehnten Sponsoren eines Schulprojekts im bolivianischen Tiefland. Mit der Unterstützung von Freunden, darunter der Basler Kolumnist -minu, halfen sie bei der Finanzierung eines Schulgebäudes, in dem heute einheimische Lehrer unterrichten. Das gespendete Geld sammelten sie in der Nordwestschweiz mit Sponsorenläufen und exklusiven Nachtessen.
Musse, Genuss und Lebensfreude
Widmers Buch ist eine liebenswürdige Beschreibung von skurrilen Figuren, von Lebensweisheiten und von Werten wie Menschlichkeit, Gemeinsinn, Fairness, Gleichberechtigung und Mitbestimmung. Deutlich wird seine Kritik an Ungerechtigkeit, Egoismus, Ausnutzung und Machtmissbrauch. Die Sprache ist erfreulich unjournalistisch: Nicht kurze News-Sätze prägen die Geschichten, sondern ein reichhaltiger Wortschatz, eine sorgfältige, fast poetische Wortwahl, gespickt mit lateinamerikanischen Ausdrücken, die in den Endnoten gut erklärt werden.
Wer sich in das 150-seitige Buch vertieft, merkt bald, dass die neun Geschichten nicht nur den kulturellen Horizont erweitern, sondern auch zur Entschleunigung beitragen. Nicht Hektik prägt die Figuren und deren Handlungen, sondern Musse, Genuss und Lebensfreude. So betrachtet, bestätigt Autor Freddy Widmer mit seinem Buch eine Erkenntnis des Zeitgebers, der in der gleichnamigen Geschichte fragt: «Wie kann man etwas geben, das man nur dann wirklich hat, wenn man es verplempert?»
«Der Zeitgeber und andere Tode», Verlag Edition Text und Media, 2020, ISBN 978-3-9524281-3-9, ist erhältlich bei Photo Gyger / Buch und Tuch, Dorfstrasse 34 in Adelboden, sowie bei Widmers / Haris an der Stiegelschwandstrasse 61 oder direkt beim Autor über freddywi@bluewin.ch
ZUR PERSON
Freddy Widmer wurde 1947 in Basel geboren. Nach Abschluss des Gymnasiums und Studien arbeitete er in verschiedenen Ressorts zunächst bei der «National-Zeitung» und später bei der «Basler Zeitung». Zwischen 1975 und 2000 unternahmen er und seine Frau mehrere längere Rucksackreisen nach Mittelund Südamerika.
PS