Vom Automechaniker zum Buschpilot
23.02.2021 Porträt, AdelbodenFlugzeuge sind Martin Zimmermanns Leidenschaft. Diese hat der Adelbodner eng verknüpft mit seinem Bedürfnis, Menschen zu helfen. Derzeit bildet er in Ostafrika Piloten für Hilfsflüge aus.
HANS RUDOLF SCHNEIDER
«Frühling, Sommer, Herbst und Winter, aber auch ...
Flugzeuge sind Martin Zimmermanns Leidenschaft. Diese hat der Adelbodner eng verknüpft mit seinem Bedürfnis, Menschen zu helfen. Derzeit bildet er in Ostafrika Piloten für Hilfsflüge aus.
HANS RUDOLF SCHNEIDER
«Frühling, Sommer, Herbst und Winter, aber auch Schnee und Berge, die vermisse ich manchmal schon.» Dass Martin Zimmermann sich manchmal nach der Bergwelt sehnt, ist kein Wunder. An seinem gegenwärtigen Wohnort ist es ganzjährig zwischen 20 und 30 Grad warm, nachts kühlt es nur wenig ab. Man verliere ohne die Jahreszeiten das Zeitgefühl. Der Adelbodner lebt seit sechs Jahren mit seiner Familie in Kampala, der Hauptstadt Ugandas, vorher neun Jahre in Tansania. Er arbeitet in Ostafrika für das Hilfswerk Mission Aviation Fellowship (MAF) und bildet Piloten aus. Zugute kommt seine Arbeit Spitälern, Hilfswerken, Kirchen oder Missionen – und damit im Endeffekt der armen Bevölkerung.
Auf Umwegen ins Cockpit
Es ist ein ungewöhnliches Leben, das Martin Zimmermann im Gespräch offenbart. Gelernt hat er Automechaniker in der Service Garage Margeli in Adelboden. Dann folgte in Biel das Studium zum Autoingenieur, anschliessend eine Stelle bei der ABB in Baden. Aber seine heimliche Leidenschaft war das Fliegen. Die Swissair lockte, doch benötigte sie damals nur wenige neue Piloten und Zimmermann war bereits an der oberen Altersgrenze für die Ausbildung. Die berufliche Zukunft zerschlug sich vorerst.
«Mir wurde zudem klar, dass ich in meinem Leben mehr in Menschen als in Dinge investieren möchte. Das MAF war mir seit Langem bekannt. Mit meinem technischen Hintergrund hoffte ich auf eine Anstellung als Flugzeugmechaniker.» Die Abklärungen und Anmeldungen dauerten einige Zeit. Schliesslich zügelte Zimmermann mit seiner Frau Deborah in die USA, besuchte während eines Jahres eine Bibelschule und machte anschliessend in Tennessee eine Ausbildung zum Flugzeugmechaniker – gefolgt von der Pilotenlizenz. Vier Jahre lebte das Paar in den USA, der ältere Sohn Luca kam dort zur Welt, bevor Martin Zimmermann – endlich – 2005 zum MAF wechseln konnte. Vom ersten konkreten Interesse bis zum ersten Afrikaeinsatz vergingen rund zehn Jahre.
Die Folgen der Pandemie
Die Internetverbindung nach Uganda ist teilweise schlecht, bricht kurzzeitig ab, als Zimmermann weitererzählt. Als erstes ging es 2005 nach Tansania, einem Nachbarland von Uganda. Warum ist er überhaupt in Afrika gelandet? Das habe sich so ergeben, weil dort Bedarf an Piloten bestand, erklärt er. Anschliessend bestand die einschränkte Auswahl an Einsatzorten aus der Mongolei, dem Südsudan und Uganda. Die Wahl wurde auch aufgrund der schulischen Möglichkeiten für die Kinder getroffen.
Im Moment ist das Leben im afrikanischen Land wie vielerorts eingeschränkt. Es herrscht in der Öffentlichkeit Maskenpflicht, Fiebermessen gehört beim Einkaufen dazu, die nächtliche Ausgangssperre zwischen 21 bis 5 Uhr gilt nun schon seit fast einem Jahr. Die Schulen sind grossenteils geschlossen, Läden und Restaurants sind hingegen geöffnet und Versammlungen bis 200 Menschen erlaubt. Allerdings sei das nicht mehr der harte Lockdown wie während mehrerer Monate im letzten Jahr: «Damals ging kaum mehr jemand arbeiten, Fahrten im Privatwagen waren verboten, die Schulen waren alle dicht.»
Auf die MAF habe die Pandemie noch jetzt enorme Auswirkungen: «Während mehrerer Monate durften wir überhaupt nicht mehr mit Passagieren fliegen, die Grenzen waren dicht. Aktuell haben wir noch etwa 20 Prozent der üblichen Flugbewegungen. Man merkt eindeutig, dass die Reisetätigkeit stark abgenommen hat und etliche Hilfswerke ihre Leute abgezogen haben und abwarten.» Das hat einerseits mit dem Virus, andererseits aber auch mit den Aufständen Ende letzten Jahres zu tun, die vor den Präsidentschaftswahlen ausgebrochen sind. Der unterlegene Oppositionsführer hat vor wenigen Tagen beschlossen, gegen den Wahlausgang vor dem Obersten Gericht zu klagen – er wirft dem Amtsinhaber Wahlbetrug vor.
Tiere auf der Landebahn
Zimmermann selbst bildet seit einigen Jahren hauptsächlich als MAF-Fluglehrer Piloten aus oder schult diese um. Die Kandidaten stammen vor allem aus westlichen Ländern – aus Amerika, Kanada, Holland, England, Australien oder Indien, nur vereinzelt sind es Einheimische. Transportiert werden in Uganda vor allem Passagiere für Hilfswerke, Kirchen, Missionen und allenfalls Behörden. Material geht dann in die Luft, wenn es in abgelegene Gegenden der Nachbarländer geht oder sehr eilig ist – zum Beispiel bei medizinischen Gütern wie Blutplasma oder in medizinischen Notfällen. «Die Strassen hier sind relativ gut, Material kann meist problemlos mit Lastwagen über grössere Strecken transportiert werden. Und wir wollen keine anderen Unternehmen konkurrenzieren», sagt der Adelbodner. «Wir verstehen uns primär als Hilfe für humanitäre Zwecke.»
Überhaupt sind die Anforderungen an die Flugzeugführer in Uganda nicht vergleichbar mit anderen Einsatzorten wie beispielsweise Nepal. Das Land ist relativ flach, die über 4000 Meter hohen Berge befinden sich an den Grenzen zu Kongo oder Kenia. «Dennoch müssen sich die Piloten mit einigen afrikatypischen Herausforderungen befassen, auf die in der Ausbildung speziell hingewiesen wird. «Die teils sehr heftigen Gewittern hier in Äquatornähe zwingen zu Umwegen oder sogar zur Umkehr. In der Regenzeit kann es passieren, dass eine der unbefestigten Naturpisten plötzlich unter Wasser steht oder ganz weich und schlammig ist. Anders als in der Schweiz sind sie hier nicht abgezäunt. Wenn also während des Anflugs plötzlich Tiere, Menschen oder ein Auto die Landebahn queren, erfordert das schnelle Reaktion. Aussergewöhnlich ist es aber nicht.»
Arbeit am Schreibtisch und im Simulator
Zimmermann ist einer von sechs Fluglehrern auf der MAF-Basis Kampala. Er springt ein, wenn Not am Piloten ist. Der Arbeitstag beginnt normal mit einer Andacht, dann wartet oft viel Papier auf dem Schreibtisch. Er führt Theorieblöcke durch, in der Luft ist er vor allem für Ausbildungs- und Checkflüge. Auch ein Flugsimulator steht zur Verfügung. Für die Buschfliegerei setzte MAF auf eine möglichst einheitliche Flotte, die mehrheitlich aus Cessna Caravans für 13 Passagiere besteht. Die leistungsstarken und robusten einmotorigen Hochdecker – in Reichenbach wird eine solche Maschine als Absetzflugzeug für die Fallschirmspringer genutzt – eignen sich bestens für diese Art der Fliegerei. «Sie sind einfach zu warten und haben kein aufwendiges Einziehfahrwerk, was hier von Vorteil ist», erklärt der erfahrene Flugzeugmechaniker.
Wann geht es in die Schweiz zurück?
Die Familie Zimmermann lebt einige Kilometer vom Flugplatz entfernt. Das Wochenende ist meist für gesellschaftliche Aktivitäten und die Kirche reserviert. Eingekauft wird oft bei den Händlern auf der Strasse, wichtig ist bei den warmen Temperaturen der Kühlschrank zu Hause, da sich Ameisen gern auf die Nahrungsmittel stürzen. Die Lage von Kampala am Viktoriasee sorgt ganzjährig für grüne Pflanzen, zudem regnet es regelmässig. «Es ist wirklich angenehm hier», sagt Martin Zimmermann.
Alle zwei Jahre kommt die Familie für einige Wochen in die Schweiz, auch nach Adelboden. Das sind jeweils wichtige Kontakte, da sich das weltweit vernetzte Hilfswerk mehrheitlich durch Spenden finanziert (siehe Kasten). Zudem ermöglichte dies den Söhnen Luca (17) und Noel (13), eine Beziehung zur Schweiz aufzubauen oder Schnupperlehren zu absolvieren. Die Rückkehr in die Schweiz ist angedacht, sobald der ältere Sohn seine Schulzeit im Sommer 2022 beendet hat. Dieser könnte so seine weitere Ausbildung in der Schweiz machen, was für Martin Zimmermann wichtig ist. Was seine eigene berufliche Zukunft angeht, hat er derzeit noch grosse Fragezeichen. Die Situation könne sich so schnell ändern, wie die Pandemie gezeigt habe.
MAF Schweiz
Das Mission Aviation Fellowship (MAF) ist ein internationales, christliches und gemeinnütziges Flugunternehmen. Mit 130 Kleinflugzeugen setzen sich 1300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in 26 Ländern dafür ein, dass Hilfe ankommt. Die Schweiz ist eines von 17 sogenannten Ressource-Ländern, die den Einsatz ermöglichen. Diese Länder stellen die Fachkräfte an und sind für deren administrative Betreuung zuständig. Sie sind für die Mittelbeschaffung besorgt – rund zwei Drittel des Gesamtbudgets. Ein Drittel wird durch Flugeinnahmen vor Ort beigesteuert. Für MAF Schweiz mit Sitz in Langenthal stehen 21 Fachkräfte aus der Schweiz in neun Ländern im Einsatz: Es sind Piloten und Mechaniker sowie ein Telekommunikationsfachmann. Sie alle leben mit ihren Ehepartnern oder Familien in den Einsatzländern Australien /Arnhemland, Osttimor, Papua-Neuguinea, Tansania, Guinea, Kenia, Uganda, Südsudan und Madagaskar. Sechs Trainees bereiten sich auf ihren Einsatz vor.
HSF
Mehr über die MAF und das Spendenkonto erfahren Sie in unserer Link-Übersicht unter www.frutiglaender.ch/web-links.html
Uganda
Uganda liegt inmitten Afrikas am Viktoriasee und ist umgeben von Ländern mit Kriegsgebieten, in denen MAF auch tätig ist. Das Land hat unter dem 20-jährigen Bürgerkrieg sehr gelitten, überall herrschen Leid und Armut. Sogar Kindersklaverei wird in Uganda betrieben, wie es auf der MAF-Website heisst. MAF fliegt in Uganda für viele Hilfsorganisationen, die helfen, das Land an verschiedenen Orten wieder aufzubauen und in die Normalität zu bringen. Dabei ist die Organisation mit ihren derzeit fünf in Kajjansi stationierten Flugzeugen als wichtiges Transportmittel für die Hilfswerke nicht wegzudenken. Dies auch in Anbetracht der erneuten Kriegswirren im Südsudan, aufgrund derer grosse Flüchtlingslager im Norden Ugandas entstanden sind.
HSF