«Ich will hier etwas bewegen»
09.04.2021 Frutigen, PolitikAm 13. Juni wählt Frutigen seinen neuen Obmann. Mit Urs Peter Künzi fordert ein weit gehend unbekannter Kandidat den aktuellen Gemeinderatspräsidenten heraus. Wer ist der Mann – und was ist seine Motivation?
MARK POLLMEIER
Urs Peter Künzi ist in Frutigen geboren ...
Am 13. Juni wählt Frutigen seinen neuen Obmann. Mit Urs Peter Künzi fordert ein weit gehend unbekannter Kandidat den aktuellen Gemeinderatspräsidenten heraus. Wer ist der Mann – und was ist seine Motivation?
MARK POLLMEIER
Urs Peter Künzi ist in Frutigen geboren und aufgewachsen, hier hat er auch die Primar- und Sekundarschule absolviert. Dann war er lange weg. Künzi besuchte das Seminar in Hofwil, wo er zum Primarlehrer ausgebildet wurde. Später studierte er Medizin, machte seinen Doktor, hängte noch ein Nachdiplom in Statistik dran und einen Master in Public Health. «Ich wollte entweder Urwalddoktor werden – oder Militärpilot», beschreibt der heute 65-Jährige seine Kindheitsträume. Geklappt hat beides nicht, doch die Verbindung von Medizin und Technik zieht sich wie ein roter Faden durch Künzis Berufsbiografie. Die eigentliche Frage aber ist: Wie kommt so einer auf die Idee, Obmann von Frutigen zu werden?
Massnahmenplan unter Verschluss
Es war wohl eine Mischung aus Zufall und Ortspolitik, die letztlich zu Künzis Kandidatur führte. nach langer Abwesenheit kehrte er vor zwei Jahren ins Dorf zurück, weil er sein Elternhaus an der Kanderstegstrasse übernommen hatte. Es war genau die Zeit, als man in Frutigen erstmals über Tempo 30 auf der Dorfstrasse diskutierte. Künzi fand die verringerte Geschwindigkeit richtig. «Ich war erfreut, als ich hörte, dass der Kanton auf diesem Strassenabschnitt Tempo 30 einführen will.» Umso überraschter sei er über die Kehrtwende des Gemeinderats gewesen. Der hatte sich Ende 2017 ebenfalls für Tempo 30 ausgesprochen. Ein gutes halbes Jahr später krebste der Rat jedoch zurück und hob seinen eigenen Entscheid wieder auf. Zu diesem Meinungsumschwung beigetragen hatte unter anderem eine Petition mit über 1300 Unterschriften. (Siehe dazu auch Artikel auf Seite 1.)
«Sehr speziell» nennt Urs Peter Künzi diese Geschichte. «Die Petition hatten auch viele Auswärtige unterschrieben, die gar nicht in Frutigen wohnen.» Die Abkehr von den Tempo-30-Plänen ärgerte ihn – und weckte sein Interesse an der Frutiger Lokalpolitik. Er sprach mit Gemeindevertretern, begann zu recherchieren, las sich ein. Er stiess auf das Zukunftsbild der Gemeinde Frutigen – und erfuhr, dass es dazu auch einen Massnahmenkatalog gibt. Der ist allerdings nicht öffentlich einsehbar. «Ich fand das merkwürdig», beschreibt Künzi seine Verwunderung. «Man macht ein Leitbild und definiert, wo man in ein paar Jahren stehen will. Aber die Massnahmen, wie man dahinkommen will, werden unter Verschluss gehalten.»
Politik als Tatsachenpolitik
Als Beispiel zitiert der Obmann-Kandidat einen Abschnitt zur Wohnqualität. «Frutigen ist für alle Bevölkerungsgruppen ein attraktiver Wohnort – insbesondere für Familien», so stehe es im Leitbild. «Die nächste Frage wäre doch: Was braucht es dazu?», denkt Künzi weiter und gibt die Antworten gleich selbst. «Zum Beispiel attraktive Freizeitangebote, gute Schulen, sichere Schulwege.» Was davon in Frutigen umgesetzt werde, könne er aber nicht überprüfen – die Massnahmen seien öffentlich ja nicht zugänglich. «Anscheinend muss ich erst Gemeinderatspräsident werden, damit ich die einsehen kann», sagt Künzi mit einer Mischung aus Spass und Ernst. In der Frutiger Politik fehle ihm oft die Transparenz, der Dialog mit dem Bürger. «Wäre ich Gemeinderatspräsident, würde ich das ändern.»
Einen ersten Schritt in diese Richtung hat Künzi nun getan. Er hat seine Schriften nach Frutigen geholt und seine Kandidatur eingereicht. Schwer gefallen ist ihm beides nicht. «Ich bin Frutiger, das Dorf liegt mir am Herzen. Ich möchte hier etwas bewegen.»
Die PräsidentInnen sämtlicher Frutiger Ortsparteien hat er bereits angeschrieben und Gespräche angeboten – auch der SVP. «Ich habe da keine Berührungsängste», kommentiert Künzi sein Vorgehen. Er selbst gehöre keiner Partei an und sei finanziell unabhängig. «Politik verstehe ich vor allem als Tatsachenpolitik. Dass sich der Bremsweg bei doppelter Geschwindigkeit im Quadrat verlängert, ist zum Beispiel so eine Tatsache», schlägt er noch einmal den Bogen zur Tempo-30-Debatte.
Die Jüngeren ins Boot holen
Über seine Wahlchancen macht sich der politische Quereinsteiger keine Illusionen. Ihm sei bewusst, dass er in Frutigen kein grosses Netzwerk habe, gibt Künzi zu. Doch der scheinbare Nachteil könne auch sein Gutes haben. «Wer nicht vernetzt ist, ist auch in keinem Netz gefangen.» Im Dorf nicht allzu fest verbandelt zu sein, könne auch ein Vorteil sein.
Den zeitlichen Aufwand im Amt des Obmanns schätzt Urs Peter Künzi auf eine 40- bis 50-Prozent-Stelle. Eine abschreckende Wirkung hat dieses Pensum offenbar nicht auf ihn. «Ich bin ja pensioniert, ich hätte die Zeit und die Energie, mich diesem Job zu widmen.» Dass er auch Respekt vor dem Amt hat, gibt der Obmann-Kandidat freimütig zu. «Ganz klar: Ich müsste mich einarbeiten, herausfinden, wo die Gemeinde steht, mit den Leuten ins Gespräch kommen.» Letzteres sei ihm besonders wichtig. Ein Gemeinderatspräsident müsse kommunikativ sein, ein offenes Ohr für die Anliegen der Bürger haben, findet Künzi. Sinnvoll wären feste Tage, an denen die Tür des Gemeindehauses offensteht. «Ich weiss, dass das sehr aufwendig ist, aber so sollte es eigentlich sein.» Gerade die Jüngeren müsse man doch ins Boot holen, die Familien. «Die müssten sich organisieren. Es geht doch um ihre Zukunft und die ihrer Kinder.»
Ein ungünstiger Zeitpunkt
Über die Frutiger Zukunft hat Künzi sich schon einige Gedanken gemacht. Dass Siedlungspolitik und Raumplanung wichtige Themen bleiben werden, ist ihm bewusst. Ebenso, dass man in der Verkehrsfrage wohl nicht auf eine Umfahrung zu hoffen braucht. «Da wird auf absehbare Zeit nichts passieren. Da müssen andere Lösungen her.»
Neben dem politischen Alltagsgeschäft nimmt er auch die grossen Entwicklungen in den Blick, denen niemand entkommen wird. «Die Digitalisierung und ihre Auswirkungen werden allgemein unterschätzt», ist Künzi überzeugt, ebenso der Klimawandel. «Wir haben zwei Flüsse in Frutigen. Allein schon deswegen wird uns das betreffen.» Auch die Folgen der Corona-Pandemie beschäftigen ihn. «Wie geht es weiter, wenn wir das Ganze erst einmal hinter uns haben? Wie können wir diese Krise verarbeiten, auch gesellschaftlich, in einem Dorf wie Frutigen? Müssen wir uns vielleicht schon auf das nächste Ereignis dieser Art vorbereiten?»
Eigentlich wäre nun der Wahlkampf der Ort, an dem man all diese Fragen diskutieren könnte. Doch der Zeitpunkt ist denkbar ungünstig. «Grössere Anlässe oder Podiumsdiskussionen werden bis Juni wohl nicht möglich sein», gibt sich Künzi realistisch. «Aber immerhin hat Frutigen nun zwei Kandidaten zur Auswahl.»