Der Funke hat gezündet
27.07.2021 Frutigen, KulturZeitweise wurden über 50 Prozent aller in der Schweiz verkauften Zündhölzer im Kandertal produziert. Der bedeutende Wirtschaftszweig hatte für die Region und ihre Menschen Vor- und Nachteile, wie die am Samstag eröffnete Ausstellung in Kanderbrück deutlich ...
Zeitweise wurden über 50 Prozent aller in der Schweiz verkauften Zündhölzer im Kandertal produziert. Der bedeutende Wirtschaftszweig hatte für die Region und ihre Menschen Vor- und Nachteile, wie die am Samstag eröffnete Ausstellung in Kanderbrück deutlich aufzeigt.
HANS RUDOLF SCHNEIDER
Er hatte die falschen Schuhe an, diejenigen mit Gummisohlen. Das wurde Robert Maurer 1962 zum Verhängnis. Als die Zündmasse für die Köpfe der Zündhölzchen in der Fabrik in Kanderbrück überkochte und sich entzündete, blieben seine Sohlen am Boden kleben. Die Feuerwehr musste ihn aus den Flammen holen, im Inselspital wurden die schweren äusseren Verbrennungen behandelt. Doch gegen die inneren Verätzungen gab es wenig Hilfe. Robert Maurer starb neun Monate nach dem Unfall. Seine Beisetzung war wie ein Staatsbegräbnis. 17 Kränze und 70 Blumenschalen wurden ans Grab gebracht – dabei hätte die arme Familie wohl eher Geld benötigt.
Roberts Tochter Margrith Fuchs-Maurer erzählte in einem kurzen Videointerview an der Museumseröffnung von ihren Erinnerungen an den Unfall. Solche Vorkommnisse, die bekannten Vergiftungen vieler Arbeiter durch Phosphor, die Kinderarbeit sowie Brände und Explosionen sind die eine Seite der Zündholzindustrie im Frutigland. Die andere war die damals willkommene Verdienstmöglichkeit für die arme Bevölkerung in der Fabrik oder bei der Spanschachtelproduktion in Heimarbeit.
In originaler Umgebung
Diese gegensätzlichen Aspekte werden in der Ausstellung umfassend beleuchtet, mit detaillierten Texten und Ausstellungsstücken vom «Schachteli» bis zur mechanischen Produktionsmaschine. Dass das Museum in den Räumlichkeiten der ehemaligen Zündholzfabrik entstanden ist, hat mit der Besitzerfirma HTB Brügger zu tun, welche die Initiative ergriff und dann auch bei der Umsetzung mithalf. Von der Kulturgutstiftung Frutigland recherchierten Arthur Grossen und Hans Egli die Geschichte, suchten Zeitzeugen, führten Interviews, während Präsident Ruedi Egli sich vor allem um den Aufbau der Ausstellung kümmerte und die Broschüre «Die Zündholzindustrie im Frutigland» realisierte. Die Exponate in den originalen Fabrikräumen geben dem Museum einen sehr authentischen Rahmen.
750 Millionen Hölzchen pro Woche
Man muss gar nicht so alt sein, um sich an die Schachteln mit den farbigen Aufklebern zu erinnern, vor allem «Tourist»- Hölzchen waren überall zu finden – und doch sind dies heute schon oder nur noch Museumsobjekte. Zur Erinnerung: Bereits 1865 wurden pro Woche im Frutigland 25 Millionen Hölzchen hergestellt. Den Höhepunkt erreichte dieser Industriezweig in den 1880-er Jahren, als es hier 24 dokumentierte Fabriken gab. 1923 wurden 750 Millionen Hölzchen pro Woche hergestellt, und zwar über die Hälfte in selbst entwickelten «Komplettmaschinen» in Kanderbrück. «Man stelle sich einen Unternehmer heute vor, der von einem Gut des täglichen Gebrauchs einen Marktanteil von über 50 Prozent in der Schweiz hat …», sagte Arthur Grossen in seinem Eröffnungsvortrag. Heute ist mit der Pyro Willen GmbH nur noch eine einzige Firma auf diesem Gebiet aktiv.
Bekannte Namen waren präsent
An der Eröffnung mit den geladenen Gästen am Freitag waren mit Samuel Moser (Schiefertafelfabrik Frutigen AG), Oscar und Manfred Kambly (Biscuitfabrik in Trubschachen), Hans Peter Zuber (Grosssohn von Josef Brägger) und Thomas Gyseler auch direkte Nachfahren der damaligen Frutiger Fabrikanten anwesend. Die Kulturgutstiftung konnte auch sonst auf grosse Unterstützung beim Aufbau der Ausstellung zählen. Und wie Stiftungsratspräsident Ruedi Egli am Sonntagabend erfreut feststellte, zog das Eröffnungswochenende viele interessierte Besucher an. Zahlreiche Personen aus nah und fern sowie Lehrkräfte erkundigten sich nach Besichtigungen und Führungen. Offensichtlich haben die Initianten mit diesem Thema bei vielen einen Funken entzündet.
Bis am Samstag, 31. Juli, ist die Ausstellung inklusive Videovorführung jeweils von 14 bis 19 Uhr geöffnet, anschliessend ist das Museum jeden ersten Samstag im Monat von 14 bis 17 Uhr zu besichtigen. Auf Anfrage sind Gruppen ab sechs Personen willkommen. Weitere Informationen gibt es unter www.frutiglaender.ch/web-links.html