Der kultivierte Knochenarbeiter

  10.08.2021 Interview, Region, Tourismus

Nach neun Jahren tritt Urs Pfenninger als Tourismusdirektor ab – seine Kündigung erfolgte mit einigen Nebengeräuschen. Im Gespräch blickt er zurück auf die Meilensteine seines Schaffens, betont die Vorteile der Destinationsverdichtung und erörtert, worauf die neue Führung besonders achtgeben sollte.

JULIAN ZAHND
Eines stellt Urs Pfenninger gleich zu Beginn klar: Sein letztes Interview als Tourismusdirektor soll keine persönliche Abrechnung sein. Selbstverständlich ist diese Haltung nicht, denn seine letzten Monate als Geschäftsleiter der Tourismus Adelboden-Lenk-Kandersteg AG verliefen nicht gerade harmonisch. Am Ende lag Pfenninger mit einigen gewichtigen Aktionären der Destination derart über Kreuz, dass er zusammen mit dem gesamten Verwaltungsrat zurücktrat.

Doch Pfenningers Tätigkeit im Tal war weit mehr als dieses feurige Finale, zuvor trieb er die Tourismusentwicklung im Tal seit 2013 unermüdlich voran. Als er seine Stelle als Direktor von Adelboden Tourismus antrat, sagte ihm manch einer eine Zukunft von einem, maximal wenigen Jahren voraus. Grund mag unter anderem sein Naturell sein: Der Unterländer erscheint stets modisch gekleidet, denkt gross und verpackt seine Ideen in sorgfältig geformte Sätze. Für manchen Talbewohner wirkte er daher eher als Fremdkörper. Er selbst sah das stets anders: Als «urbaner Bergler» verstand er sich, als Brückenbauer. Diese Herausforderung reizte ihn, trieb ihn an. Seinen Vorabkritikern setzte er letztlich einen Durchhaltewillen entgegen, der neun Jahre lang anhielt.

Seit 2018 ist Urs Pfenninger Direktor der TALK AG, die damals im Zuge der kantonalen Verdichtungsstrategie der Tourismusdestinationen gegründet wurde. Bevor er seinen Sessel am 16. August räumt, lässt er sein Wirken im Tal nochmals Revue passieren.

«Frutigländer»: Urs Pfenninger, bei Ihrem ersten Interview mit dieser Zeitung liessen Sie sich 2013 auf Tschenten fotografieren, die Arme ausgebreitet, als wollten Sie gleich abheben. Wie würden Sie Ihre Flugbahn der letzten neun Jahre beschreiben?
Urs Pfenninger:
Da ich selbst schlecht fliege, ziehe ich als Vergleich lieber den Bartgeier heran, in dessen Geschichte ich mich recht gut wiedererkenne. Nach seiner Aussetzung gewann dieser Vogel relativ rasch an Flughöhe, obwohl er immer wieder gegen den Wind segeln musste. Irgendwann steuerte er auf eine Region zu, wo die Luft etwas bleihaltiger war als erwartet. Daraufhin suchte er sich bessere Flugbedingungen und schlug einen Kurswechsel ein.

Sie blieben der Region länger treu, als das am Anfang viele angenommen hatten.
Das ist richtig. Die Halbwertszeit eines Tourismusdirektors beträgt durchschnittlich drei Jahre, sagt man.

Warum so wenig?
Ein Tourismusdirektor ist kein Leistungsträger, er vertritt lediglich den Tourismus mit professioneller Arbeit, guten Argumenten und versucht, die Region mit zukunftsträchtigen Ideen voranzubringen. Diese mangelnde Verankerung führt einerseits dazu, dass der Amtsträger für manche Leute austauschbar ist. Bringt der Direktor zudem seine eigene Sichtweise in die Debatte mit ein, die nicht immer der Meinung der massgeblichen Leistungsträger entspricht, kann das Reibung erzeugen.

Womit wir wieder beim Kurswechsel angelangt sind. Was hat letzten Endes zu Ihrer Kündigung geführt?
Letztlich hatten nicht alle dieselbe Vorstellung davon, welche Funktion die Tourismus Adelboden-Lenk-Kandersteg AG erfüllen sollte. Einige stellten sich die Destination als reine Marketingorganisation vor. Im Wesentlichen würde dies bedeuten, dass wir lediglich Angebote bewerben, die von den lokalen Leistungsträgern konzipiert wurden. Eine Destination muss meines Erachtens aber heute weit mehr sein als das. Die TALK AG hat sich denn auch von der reinen Marketing- hin zur Tourismusentwicklungsorganisation bewegt. Wir gehören hier zu den Ersten, die diesen Wandel durchgemacht haben. Mittlerweile ist dieses Modell auch andernorts angekommen.

Was ist der Unterschied zwischen der Tourismusorganisation von früher und jener von heute?
Im Tourismus spielen viele verschiedene Akteure mit teilweise unterschiedlichen Einzelinteressen eine Rolle. Früher war die ganze Strukturierung viel kleinteiliger. Im Zuge der Destinationsverdichtung sind 2018 vier lokale Tourismusorganisationen und zwei Marketingorganisationen zu einer Destination zusammengewachsen. Um den Tourismus weiterzuentwickeln, ist es wichtig, eine zentrale Stelle zu haben, welche die Einzelinteressen bündelt und auch Gesamtvisionen hat.

Welche Projekte sind die wichtigsten, die die TALK AG realisiert hat?
Ganz wichtig ist mir die Steigerung der digitalen Kompetenz unserer Partner. Dafür haben wir z. B. für Ferienwohnungsvermieter oder Hotelangestellte Schulungen, sogenannte Pop-up-Academy-Kurse, organisiert. Gut sichtbar ist das im Zusammenhang mit dem umgebauten Tourist Center realisierte Mountain Lab in Adelboden. Letzteres ist ein passendes Beispiel für unser ganzheitliches Denken: Das Mountain Lab ist nicht bloss ein Ort, wo man seinen Laptop aufschalten und etwas arbeiten kann. Es ist Ausdruck einer neuen Facette des Tourismus: der Verbindung von Arbeit und Freizeit, respektive Ferien. Für unsere Region bietet das völlig neue Möglichkeiten und davon können alle profitieren. Ein Leuchtturm wird auch das neue Gästezentrum in Kandersteg sein.

Während meiner Tätigkeit als Tourismusdirektor setzte ich stark auf den Dreiklang Kunst-Kultur-Kulinarik, der unsere eindrücklichen Natur- und Kulturlandschaften ideal ergänzen kann. Wir haben ebenfalls verschiedene passende und saisonverlängernde Events ins Leben gerufen wie beispielsweise die Genusswochen «à la Carte», das «E-Bike for your life»-Festival oder die «Classic Car»-Tage. Und zwar stets so, dass alle Orte der Destination davon profitieren konnten.

Was haben Sie konkret unternommen, um die kleinteiligen Strukturen zu überwinden?
Die Förderung der Zusammenarbeit und die Stärkung der touristischen Strukturen sind mir zentrale Anliegen: Die von mir initialisierte Hotelkooperation Frutigland hat dazu geführt, dass verschiedene Betriebe in der Region näher zusammenrückten. Wichtige Themen waren beispielsweise auch die bessere Zusammenarbeit der Kulturinstitutionen oder der künftig in der digitalen Gästekarte inkludierte Gratis-ÖV im Tal oder auch das Vorantreiben des Themas Bike, zuletzt mit E-Bike-Ladestationen in der ganzen Destination. Als Präsident aller Berner Destinationen trieb ich zudem verbesserte ÖV- resp. Fernverkehrsanschlüsse gerade fürs Berner Oberland voran und machte mich für eine kantonale Gästekarte mit destinationsübergreifenden Angeboten stark.

Die TALK AG arbeitet oft auch im Hintergrund, ihr Wirken wird nicht immer sichtbar.
Für Aussenstehende ist tatsächlich oft nicht ersichtlich, wie viel Arbeit mit dem Aufbau eines digitalen Erlebnisplaners, einer neuen Website oder Buchungsplattform verbunden ist. Da muss viel Knochenarbeit geleistet werden, das ist klar. Auch der Aufbau einer soliden Organisationsstruktur mit schlanken administrativen Prozessen ist mit viel Arbeit verbunden. Die Entwicklung und Vernetzung der Marke «Vogellisi» etwa erforderte sehr viel Koordinationsarbeit, die man von aussen nicht sieht.

Könnte dies mit ein Grund dafür sein, dass die TALK AG für manche Leute ein undurchsichtiges Konstrukt war?
Wir informierten stets vollumfänglich an Vorstandssitzungen der Tourismusvereine oder an anderen Treffen. Auf der Website listen wir zudem regelmässig die wichtigsten Kennzahlen unserer Tätigkeit auf. Damit sind wir transparenter als sämtliche unserer Vorgängerorganisationen. Daran kann es also nicht liegen. Tatsächlich spürte ich aber hie und da Skepsis. Verstärkt wurde diese sicher durch die nicht vollständig integrierte Lenk-Simmental Tourismus AG. Im Nachhinein beurteile ich auch den raschen Umzug der Geschäftsstelle von Adelboden nach Frutigen als übereilt. Dieser nährte in Adelboden das Gefühl, dass dem gewichtigsten Tourismusplayer etwas genommen wird. Manche Leute fanden daraufhin, ich sei im Lohnerdorf nicht mehr sichtbar – obwohl ich ja weiterhin in allen örtlichen Gremien dabei war.

Wie würden Sie eigentlich Ihr persönliches Verhältnis zur Region beschreiben? Sie treten ja nicht gerade als typischer Bergler in Erscheinung.
Ich erinnere mich tatsächlich an Gespräche, in denen ich unter anderem auf mein Erscheinungsbild angesprochen wurde. Letztlich sind das aber nur Äusserlichkeiten. Gleich nach meinem Start in Adelboden besuchte ich beispielsweise sämtliche Alpschaftsversammlungen und führte mit den Präsidenten persönliche Gespräche, um den Puls zu fühlen und die Wichtigkeit ihrer Arbeit auch für den Tourismus zu unterstreichen. Das wurde sehr geschätzt und blieb bei manchen haften.

Die typischen Bergler sind wohl etwas knorrig, aber aufrichtig sowie durch und durch liebenswert. Ich hatte und habe zahlreiche schöne Begegnungen. Die Region gefällt mir bis heute ausserordentlich gut und birgt viel Potenzial.

Welche Form von Tourismus ist für das Tal denn am besten geeignet?
Lange Zeit waren die Bergbahnen die zentralen Treiber des Tourismus, im Zuge des Klimawandels und veränderter Bedürfnisse braucht es aber mehr Stützen. Diese zu institutionalisieren, ist nicht ganz einfach, gerade weil ein Angebot für sich gesehen nicht sehr einträglich ist. Ein ganzer Bike-Sommer auf der Lenzerheide bringt beispielsweise ungefähr so viel ein wie drei Spitzentage im Winter.

Dennoch sehe ich gute Perspektiven. Eine Bergregion wie das Frutigland oder Simmental ermöglicht Unterländern im Frühling die Flucht vor Pollen und im Sommer die Flucht vor Hitze. Das ist ein langfristiges Kapital. Diese Art des Wohlbefindens ist kostengünstig für alle Beteiligten, denn es bedarf keiner teuren Investition.

Ganz ohne Investitionen geht es wohl aber nicht …
Nein, es braucht gewisse Leuchttürme, die weitherum Aufmerksamkeit erzeugen. Ich spreche hier aber nicht von Disneyland, sondern von qualitativ hochwertigen Bauten. Ein gutes Beispiel hierfür findet sich in Adelboden: Das «Gruebi» mit seinem einmaligen Musikpavillon ist in meinen Augen das schönste Freibad des Landes!

Die Destination Adelboden-Lenk-Kandersteg steht nun vor einem Umbruch. Was wird sich ändern?
Die künftigen Verantwortlichen sprechen von mehr Partizipation und mehr Basisdemokratie. Das tönt gut. Allerdings könnte es auch sein, dass genau das Gegenteil eintritt. Meine Stelle und die meines Stellvertreters werden vorerst nicht neu besetzt. Es fehlt also eine klare Führung, womit der Handlungsspielraum des neuen Verwaltungsrats wächst.

Unter anderem die Bergbahnen sind im neuen Verwaltungsrat gut vertreten. Da diese einen wesentlichen Teil zur touristischen Wertschöpfung beitragen: Ist es ein Problem, wenn die Bahnen die Fäden ziehen?
Nicht zwingend, nein. Ich sehe lediglich eine gewisse Gefahr darin, dass die kleinen Tourismusjuwelen, die keine Selbstläufer, aber immer wichtiger sind, auf der Strecke bleiben, wenn dominante Eigeninteressen die Strategie bestimmen. Hier gilt es, vorsichtig zu sein und ganzheitlich zu denken.

Sollte Ihr Posten eines Tages nun doch neu besetzt werden: Welche Eigenschaften müsste Ihr Nachfolger mitbringen?
Schön, wenn es eine Nachfolgerin wäre (lacht). Es braucht Fingerspitzengefühl und den Mut, eigenständig zu denken und sich den Mund nicht verbieten zu lassen.


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