Der verfaulte Galgen
10.08.2021 Frutigen, GesellschaftGESCHICHTE Bis ins 19. Jahrhundert hinein war der Tod durch Hängen eine durchaus gängige Strafmethode. Auch in Frutigen stand ein Galgen – bis er verrottete und unbrauchbar wurde. Noch heute erinnern Flurnamen an das düstere Bauwerk.
Ein Galgen hatte schon immer etwas ...
GESCHICHTE Bis ins 19. Jahrhundert hinein war der Tod durch Hängen eine durchaus gängige Strafmethode. Auch in Frutigen stand ein Galgen – bis er verrottete und unbrauchbar wurde. Noch heute erinnern Flurnamen an das düstere Bauwerk.
Ein Galgen hatte schon immer etwas Schauerliches und trotzdem Faszinierendes an sich – früher natürlich viel mehr als heute. Hinrichtungen am Galgen wurden seinerzeit nach einem genau vorgeschriebenen Ritual vollzogen. Sie waren öffentlich. Berichten zufolge zogen sie immer ein grosses Publikum an. Es ist deshalb nicht überraschend, dass diese Hinrichtungsstätten vielerorts als Flurnamen im Gedächtnis geblieben sind. So auch in Frutigen: Wo das «Galgeli» oder der «Galgihubel» liegen, ist allgemein bekannt.
Für die Abschreckung
Der Galgen bestand aus zwei mächtigen Pfosten, die oben mit einem Querbalken verbunden waren. Er blieb immer stehen, auch wenn er, wie in Frutigen, jahrelang nicht gebraucht wurde. Sein Anblick sollte wohl der Abschreckung dienen. In Frutigen erfolgte die letzte Hinrichtung am Galgen im 18. Jahrhundert. Zwar wurden 1823 noch zwei Brüder aus Kandergrund wegen der Ermordung eines dritten Bruders hingerichtet – aber nicht durch Hängen, sondern durch Erdrosseln und anschliessendes Rädern.
Im Frühling 1830 brach der Firstbalken des Galgens wegen Fäulnis ein. Oberamtmann von Tavel, der damals auf der Tellenburg residierte, fragte die Regierung der Gnädigen Herren, ob er den Galgen entfernen lassen dürfe, da er unbrauchbar geworden sei. Er bekam die gewünschte Erlaubnis, sollte aber dafür sorgen, dass der Richtplatz «fernerhin mit der bisherigen Dienstbarkeit belastet bleibe, allfällige Hinrichtungen auf demselben vollziehen zu lassen, und das daherige Recht der Regierung heiter [ausdrücklich] vorbehalten bleibe». Dieses Recht zur Benutzung des Richtplatzes sollte vor allem auch das Recht einschliessen, die Leichname der Hingerichteten zu begraben. Diese bekamen zwar vor der Hinrichtung den Beistand des Pfarrers, aber kein kirchliches Begräbnis auf dem Friedhof.
Die belastete Parzelle
Das Landstück, auf dem der Galgen stand, war in Privatbesitz und gehörte damals dem Amtsschreiber von Känel (nach heutiger Nummerierung ist es die Parzelle 374). Es wurde also mit einer Dienstbarkeit belastet. Bei der nächsten Handänderung im Jahr 1834 lautete der Vermerk im Grundbuch: «Die Regierung habe bei der Bewilligung der Fortschaffung des Galgens, so vordem hierauf gestanden, noch die Rechtsamme vorbehalten, in Fällen von Hinrichtung verurtheilter Malefikanten [Missetäter], die Kadaver auf der alten Stelle des Hochgerichts zu verscharren.» Vom Galgen ist nicht mehr die Rede, denn ab 1831 war im Kanton Bern vorgeschrieben, Hinrichtungen mit dem Schwert zu vollziehen.
Der Richtplatz in Frutigen wurde jedoch nicht mehr beansprucht, weil hier niemand mehr hingerichtet wurde. Anderswo im Kanton Bern gab es noch zahlreiche Hinrichtungen, die letzte im Jahr 1861. Dann wurde die Todesstrafe abgeschafft. Die Dienstbarkeit auf dem «Galgeli»-Grundstück war also nicht mehr nötig und wurde gestrichen. Heute ist die Parzelle nicht mehr damit belastet.
Steine deuten auf eine Plattform hin
Wo genau stand eigentlich dieser Galgen? In seinem Buch «Das Frutigland» verortete Pfarrer Karl Stettler die Richtstätte auf einem vorspringenden Hügel oben am Galgenweidli. Zudem ist bekannt, dass sie sich auf der Parzelle 374 befand. Diese Informationen begrenzen den Standort auf etwa Punkt 2 615 885/ 1 159 040 der Landeskarte. Dort befindet sich zwar nicht direkt ein vorspringender Hügel, aber doch eine schwache Abflachung oberhalb einer Halde. Diese Stelle ist wie ein Amphitheater gegen Süden, Osten und Norden umgeben von Hügelflanken, auf denen viel Platz für das Hinrichtungspublikum war.
Heute ist der Richtplatz mit einem verbuschten Jungwald bestockt. Früher war der ganze «Galgihubel» unbewaldet, der Galgen sollte vom Dorf aus sichtbar sein. Auffallend ist, dass auf dem Bord unterhalb des ehemaligen Richtplatzes eine Menge Steine herumliegen, die kaum auf natürlichem Weg dorthin gelangt sein können. Denn weder ist dort ein ehemaliges Bachbett noch ein Steinschlaggebiet. Es muss sich also um Überreste eines Bauwerks handeln, vielleicht einer ehemaligen Plattform des Galgens – ähnlich wie die Steine, die sich auf dem vordersten, dem «Jakobshügel» finden. Sie sind Überreste eines um 1900 dort errichteten, bald wieder aufgegebenen Wirtshauses.
HANS EGLI, FRUTIGEN
Quellen: Staatsarchiv Bern; Karl Stettler, «Das Frutigland».