Ich habe einen schweren Fehler begangen: In den letzten Tagen habe ich viel zu viel Zeit in den (a)sozialen Medien verbracht. Was ich auf Twitter, Facebook & Co. zu sehen bekam, hat mich nachhaltig verstört. Die einen faseln sich einen neuen Weltkrieg herbei, andere wähnen sich in einer ...
Ich habe einen schweren Fehler begangen: In den letzten Tagen habe ich viel zu viel Zeit in den (a)sozialen Medien verbracht. Was ich auf Twitter, Facebook & Co. zu sehen bekam, hat mich nachhaltig verstört. Die einen faseln sich einen neuen Weltkrieg herbei, andere wähnen sich in einer Dikta tur und schmieden Pläne für den gewaltsamen Umsturz. Attentatsdrohungen gegen Regierungsmitglieder sind mittlerweile völlig normal, ebenso die absurden Juden- und Holocaustvergleiche (die fehlen ja nie). Was mich besonders erschreckt hat: All das kommt nicht nur von ein paar Durchgeknallten, die zu viel Trump inhaliert haben, sondern auch von Menschen, die ich bislang völlig anders eingeschätzt hatte – Bekannte, KMU-Besitzer, Vereinskollegen.
Leute, hört ihr euch eigentlich selbst reden? Lest ihr euch abends noch mal durch, was ihr morgens in eurem Telegramkanal gepostet oder auf Facebook geliket habt? Sorry, aber mir fällt dazu nur ein Begriff ein: demokratische Wohlstandsverwahrlosung.
Wegen der Corona-Massnahmen soll die Schweiz ein faschistisches Land sein? Merkwürdig. Ich sehe nur Menschen, die öffentlich die unglaublichsten Dinge vom Stapel lassen können. Ich sehe selbsternannte «Freiheitskämpfer», die ohne Bewilligung auf dem Berner Waisenhausplatz demonstrieren dürfen. Und die von der Polizei geschützt werden, während sie ungeniert die Hand zum Hitlergruss heben. Ich sehe funktionierende Parlamente, deren gewählte Mitglieder demokratisch Beschlüsse fassen. Und ich sehe ein Volk, das über diese Beschlüsse abstimmen kann, sobald genügend Bürger nicht damit einverstanden sind. Die allermeisten Bewohner des Planeten wären glücklich, wenn sie in einer solchen «Diktatur» leben dürften. Aber einer kleinen, lauten Minderheit aufrechter Eidgenossen scheint dieses Privileg nicht mehr bewusst zu sein.
Als ich wieder einmal kopfschüttelnd auf irgendwelche Twitter-Einträge starrte, hielt ein Kollege mir wortlos ein Zeitungsinterview unter die Nase. Eine Stelle hatte er angestrichen. «Legt euer Handy mit dem Social-Media-Feed weg und lest Geschichtsbücher», riet dort ein Historiker. Und ich dachte bei mir: Ja, das würde wohl manchem guttun.
MARK POLLMEIER
M.POLLMEIER@FRUTIGLAENDER.CH