Ordnungshüter am Oeschinensee

  21.09.2021 Region

REPORTAGE Seit diesem Sommer ist an Wochenenden rund um den Oeschinensee ein Ranger unterwegs. Angestellt hat ihn die Alpschaft. Der «Frutigländer» hat ihn bei seiner Arbeit begleitet.

KATHARINA WITTWER
Samstag, gegen 16.30 Uhr. Ich bin von der Gondelbahn-Bergstation unterwegs zum Oeschinensee. Berge sieht man keine. Sie hüllen sich schon den ganzen Tag in Wolken. Wanderer und Spaziergänger zu zweit oder gruppenweise, mit und ohne Kinderwagen, kommen mir entgegen. Es ist Zeit, ins Tal zu fahren. Mehrmals werde ich ungefragt mit «Musik» beschallt, die aus tragbaren Lautsprechern dröhnt. Beim See halten sich nur noch wenige Personen auf. Jemand lässt eine Drohne kurven. Ein Profifotograf lichtet ein Brautpaar ab. Vielleicht sind es bloss Werbeaufnahmen.

Kurz vor 17 Uhr treffe ich Ranger Patric Rentsch. Am Schriftzug auf seinem T-Shirt erkenne ich ihn sofort. Seit Anfang der Saison ist er hier im Einsatz. «Sobald ich meine Uniform – Hemd und gleichfarbige Hose – habe, werde ich noch besser zu erkennen sein», sagt er zur Begrüssung.

Zu Rentschs Ausrüstung gehören Rucksack, Fernglas und seine holländische Schäfermischlingshündin Suna, die er stets an der Leine führt. In heiklen Situationen sei ein Hund vorteilhaft – auch als positives Beispiel. «Hat jemand seinen Vierbeiner nicht im Griff und ich fordere den Halter auf, das Tier an die Leine zu nehmen, sind wir beide Vorbild», erklärt er und hat sogleich ein Beispiel auf Lager. «Kürzlich ging ein freilaufender Hund in kurzer Zeit auf drei Artgenossen los – auch auf Suna. Da musste ich intervenieren!»

Weil kein Bilderbuchwetter herrscht und ständig ein kühles Lüftchen weht, ist es heute recht ruhig. Deswegen ist der Ranger erst am Nachmittag gekommen. Eine erste Runde hat er bereits hinter sich. «Auf der gegenüberliegenden Seeseite im abgesperrten Gebiet habe ich ein Camp entdeckt. Das gehen wir jetzt räumen.» Auf dem Weg dorthin sammeln wir Abfall ein. Plastiktüten hat er stets dabei. Glas- und PET-Flaschen, Getränkedosen, Masken, Verpackungsmaterial aller Art und sogar einen Einweggrill finden wir. Oft stösst Rentsch auf Windeln und Damenbinden, aber auch auf Schlafsäcke. Zimperlich dürfe er nicht sein, merkt der Ranger an. Einmal entdeckte er in einer Felsritze eine ganze Campingausrüstung. Womöglich wollte der «Sünder» später wiederkommen. Zigarettenstummel liegen so zahlreich am Boden, dass es unmöglich ist, sie alle einzusammeln.

Wir sind bei der Absperrung angekommen. Weil im Sommer viel Material vom Spitzen Stein talwärts rutschte, musste das Sperrgebiet aus Sicherheitsgründen vergrössert werden. Etwas umständlich schlüpfen wir unter den sechs Drähten des stabilen, anderthalb Meter hohen Zauns durch. «Sobald sich auch nur wenige Personen hier aufhalten, gibt es sofort Nachahmer», erfahre ich. Drei junge Männer haben zwischen Bäumen Planen gespannt, worunter sie nun gedenken, die Nacht zu verbringen. Ein Feuerchen brennt und darüber brutzeln auf einer Steinplatte Kartoffeln und eine selbst gefangene Forelle. Eine zweite wartet schon auf ihr heisses Schicksal.

Ruhig und mit einer gewissen Lässigkeit spricht Patric Rentsch die Männer in verschiedenen Sprachen an. Man einigt sich darauf, die Konversation in Englisch zu führen. Der Ranger stellt sich vor und erklärt auf sympathische Art, weshalb sie hier nicht bleiben dürfen. Sie seien eben von Holland hierhergefahren und hätten auf der Karte diesen See gesehen, wo sie die Nacht zu verbringen gedachten, rechtfertigen sich die drei. «He Jungs, zum Planen gehört auch, sich auf der Website schlauzumachen, dann passiert euch sowas nicht,» rät Patric Rentsch und gibt Tipps, wo in Kandersteg sie ihr Zelt aufschlagen dürfen. «In einer Stunde ist das hier bitte geräumt», fordert er sie auf. Indem er ihnen eine Nachkontrolle ankündigt, macht er deutlich, dass er nicht mit sich spassen lässt. So nebenbei fragt er nach einem Fischerpatent. «Wir haben eines – für Deutschland», so die Antwort.

Bald begegnen wir einem nicht mehr ganz jungen Paar auf Bikes. Auf die Frage des Rangers, ob sie sich der Strassensperrung bewusst seien, kommt eine leicht gehässige Antwort: «Wir sind den Wanderweg hochgeradelt.» Dies wiederum führt zur Ermahnung, auf Fussgänger Rücksicht zu nehmen. «Biker antworten meistens aggressiv», so die Erfahrung des Rangers. Später gibt es mit den beiden ein Wiedersehen aus der Ferne. Ihr Benehmen schliesst eindeutig auf ein schlechtes Gewissen.

Inzwischen ist es 18 Uhr und das Restaurant geschlossen. Zwei Männer sitzen am Tisch. Die aufgeschnallten Schlafsäcke verraten ihr Vorhaben für die kommende Nacht. Geduldig erklärt Rentsch, weshalb übernachten auf privatem Grund ohne ausdrückliche Erlaubnis des Eigentümers nicht gestattet ist. «Wie würdest du reagieren, wenn jemand ungefragt in deinem Vorgarten campieren wollte?» Mit dieser Vergleichsfrage stösst er auf Verständnis. Auch mit ihnen sucht Rentsch eine Lösung, wie sie in der langsam anbrechenden Dunkelheit sicher ins Tal kommen und wo sie eine Übernachtungsmöglichkeit finden. Hündin Suna wird zum Gesprächsthema, was die Situation auflockert – einer der Gesprächspartner bekennt sich nämlich als Fan holländischer Schäferhunde.

Die Runde durch die Weide bringt keine Überraschungen: Auf keinem der lauschigen und vor neugierigen Blicken geschützten Plätzchen hält sich jemand auf. Das liegt womöglich an den kühleren und feuchteren Nächten im September. «Am See und hier mussten schon Goa- und Raver-Partys aufgelöst werden», erzählt er. Zurück am Seeufer sucht Rentsch mit dem Fernglas das Gelände ab und stellt fest, dass die drei jungen Holländer den Platz geräumt haben und verschwunden sind. Irgendwo im Wald steigt ein Räuchlein auf. Nun zweifelt er, ob sich der mühsame Weg dorthin lohnt. Es könnte auch eine Gruppe sein, die gemütlich brätelt und den Platz anschliessend verlässt oder bereits verlassen hat. Rentsch lässt es bleiben.

Ein beängstigendes Geräusch lässt mich aufhorchen. Gestein stürzt vom Spitzen Stein zu Tale. Die Sperrzone hat ihre Berechtigung. Um 20.30 Uhr kommen wir unten in Kandersteg an. Je früher es Nacht wird, desto eher hat Patric Rentsch Feierabend.

Was motiviert ihn, als Ranger zu arbeiten? «Ich bin gerne bei jedem Wetter mit meinem Hund draussen. Die Natur allgemein und das Gebiet hier liegen mir sehr am Herzen. Dieser Beruf ist für mich die perfekte Kombination aus Arbeit und Leben. Ich liebe den Umgang mit verschiedenen Menschen.» Dies sind einige seiner Gründe, weshalb er kürzlich die einjährige, berufsbegleitende Ausbildung in Angriff genommen hat (siehe Kasten unten). Obwohl Rentsch erst seit Kurzem im Einsatz ist, könnte er über seine Erlebnisse bereits ein dickes Buch schreiben.


Es geht darum, die Natur zu schützen

In den letzten Jahren und speziell im Corona-Sommer 2020 hat der «Menschenauflauf» in der Natur teilweise beängstigende Ausmasse angenommen. Oft fehlt der neuen Besucherklientel jeglicher Bezug zu Flora, Fauna – und zum Eigentum von Drittpersonen. Rücksicht nehmen ist für viele ein Fremdwort. Hat jemand ein lauschiges Plätzli entdeckt, ist in raschem Tempo mit dem Bike über Feld und Wald gerast oder hat im Freien eine Party mit lauter Musik gefeiert, wird dies in Sekundenschnelle in den sozialen Medien verbreitet und zieht umgehend Nachahmer an.
Die Mitglieder der Alpschaft Oeschinen haben diesem teilweise wilden Treiben bisher ziemlich machtlos zugesehen. Kontrollieren und Polizei spielen gehört nicht zu den Aufgaben von Älplern und Gastwirten. Deshalb hatte man schon länger überlegt, einen Ranger anzustellen. Genau zur richtigen Zeit trat Patric Rentsch, Ranger in Ausbildung, an Christoph Wandfluh heran. Gemeinsam erarbeiteten die beiden ein Pflichtenheft, das in dieser Saison als Pilotprojekt zur Anwendung kommt.

Den Landeigentümern und der Alpschaft geht es primär darum, die empfindliche Landschaft zu schützen. «Overtourism» (Übertourismus) ist an verschiedenen Reisezielen zu einem Problem geworden, so auch am Fusse der Blümlisalp. An einigen Orten auf der Welt ist die tägliche Besucherzahl inzwischen beschränkt worden, so zum Beispiel am Caumasee bei Flims oder für die Besteigung des Vulkans Pico auf den Azoren. Am Oeschinensee mit mehreren Zugängen ist so etwas nicht durchsetzbar. «Die Natur für die nächste Generation erhalten, lautet unser Credo. Tief im Herzen wissen wir, dass wir damit das Richtige tun», so Wandfluh.

KATHARINA WITTWER


ZUR PERSON

Patric Rentsch ist am Neuenburgersee aufgewachsen. Sein Vater kommt aus Sigriswil, die Mutter aus Kandersteg. Von ihr hat er die Liebe zum Gebiet rund um den Oeschinensee geerbt. Nach der Handelsschule in französischer Sprache war er als Aussendienstmitarbeiter im Sportartikelhandel tätig. Inzwischen arbeitet er selbstständig in der Surf- und Snowboard-Branche. Der 39-Jährige wohnt mit seiner Hündin Suna in Biel, weilt jedoch regelmässig in der Ferienwohnung seiner Familie in Kandersteg. Rentsch erwägt, einen Kurs als freiwilliger Fischereiaufseher zu besuchen und möglicherweise auch das Jagdpatent zu erlangen.

WI


Berufsbild RangerIn

Das Berufszentrum Wald in Lyss (BWL) bietet einen einjährigen, berufsbegleitenden Ranger-Lehrgang an. Anforderungen für die Zulassung sind Freude und Interesse an Natur und Umwelt, am Umgang mit Menschen und an Kommunikation allgemein. Unterrichtet und geprüft werden u. a. Umweltbildung, nachhaltiger Tourismus, Besucherlenkung, rechtliche Grundlagen, Kommunikation, Konfliktmanagement und Deeskalation. Zusätzlich muss eine Abschlussarbeit verfasst und präsentiert werden.
Ranger werden in Gebieten eingesetzt, wo (zu) viele Touristen die Natur gefährden oder ihr Schaden zufügen. Primäre Aufgabe ist die Aufklärung, immer in der Hoffnung, dadurch die Besucher zu sensibilisieren. Im äussersten Fall dürfen Ranger Personen mit renitentem Benehmen anzeigen. Je nach Anstellungsverhältnis sind sie zusätzlich fürs Leeren der Abfalleimer und den Unterhalt von Fusswegen zuständig oder bieten Führungen an.

WI

Weitere Informationen zur Ranger-Ausbildung finden Sie in unserer Web-Link-Übersicht unter www.frutiglaender.ch/web-links.html


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