Vom Theatervirus befallen
03.09.2021 Frutigen, Porträt, Kultur, Aeschi, AeschiriedErika Schnidrig aus Frutigen und der Aeschiner Remo Grossen engagieren sich bei der aktuellen Theaterproduktion des Gymnasiums Interlaken. Nicht nur das Alter der beiden ist unterschiedlich, auch ihre Rollen sind es. Was beide verbindet, ist die Faszination fürs Theater. ...
Erika Schnidrig aus Frutigen und der Aeschiner Remo Grossen engagieren sich bei der aktuellen Theaterproduktion des Gymnasiums Interlaken. Nicht nur das Alter der beiden ist unterschiedlich, auch ihre Rollen sind es. Was beide verbindet, ist die Faszination fürs Theater.
KATHARINA WITTWER
Ihr erstes Theater-Erfolgserlebnis hatte Erika Schnidrig-Stähli in der ersten Klasse. «Wir führten ‹Der Wolf und die sieben Geisslein› auf. Ich spielte die Geissenmutter. Nach der Vorstellung erhielt ich Komplimente, weil ich so viel Text auswendig gelernt hatte.» Niemand ahnte, dass das Mädchen jeden Abend zu Hause das ganze Stück aufführte und dabei sämtliche Rollen spielte. Die Bretter, die die Welt bedeuten, haben die heutige Rentnerin nie mehr losgelassen.
Geige spielen war schon früh ein Traum von Erika. Es gab aber vorerst nur Blockflötenunterricht. Erst später wechselte sie zur Violine, was noch heute ihr liebstes Instrument ist. Sie ist Mitglied in verschiedenen Ensembles und begleitet gerne Kirchenchöre bei ihren Auftritten.
Kein Lateinunterricht für bloss ein Mädchen
Die musisch begabte Schülerin wollte in der Sekundarschule Latein, Algebra und Englisch als Freifächer belegen. «In Mathematik bist du sowieso gut und wegen bloss einem Mädchen wird Latein nicht angeboten», musste sie sich von ihrem Lehrer sagen lassen. «Du bist musisch begabt, drum gehe statt ins Gymnasium doch ins Seminar. Dort wird Handarbeiten geprüft, und in diesem Fach musst du noch besser werden», setzte er sie weiter unter Druck. Also fügte sie sich. Zumindest hatte sie das Glück, im Lehrerinnenseminar musisch gefördert zu werden.
Nach einem kurzen Intermezzo als Lehrerin an der Schule Winklen erfüllte sie sich ihren lang gehegten Wunsch: Sie studierte an den Universitäten Bern und Kiel Germanistik (im Hauptfach Neuere deutsche Literatur), Philosophie und zeitweise Musikwissenschaft, zudem bildete sie sich auf der Geige weiter.
Durchs Puppenspiel zurück zum Theater gefunden
Als junge Frau lernte Erika Schnidrig eine renommierte Puppentheaterspielerin kennen. Sie war vor deren Können derart fasziniert, dass sie bald selber an Schulen Handpuppenvorstellungen gab. «Die Mund-zu-Mund-Propaganda funktionierte einwandfrei – Werbung brauchte ich kaum zu machen.» Mit diesem Hobby finanzierte sie sich ihr Literaturstudium.
Schon während und nach dem Studium unterrichtete sie an den Seminaren in Thun und Spiez. Nachdem Lehrer-Innen an der pädagogischen Hochschule ausgebildet wurden, wechselte sie ans Schadau-Gymnasium Thun. Theater, Literatur und Musik spielten und spielen nach wie vor eine wichtige Rolle in ihrem Leben. Unter anderem half sie als Jugendliche mehrere Male bei den Schlossspielen in Spiez mit. «Dort profitierte ich von einem sehr guten Sprech- und Atemtechnikunterricht. Das kommt mir noch heute zugute.»
Als Deutschlehrerin am Gymnasium durfte sie mehrmals ein Theaterprojekt durchführen. «Ich bat um Unterstützung durch einen Theaterpädagogen, was mir gewährt wurde. In Matthias Rüttimann lernte ich einen äusserst begabten Regisseur kennen. Vor meiner Pensionierung bot ich ihm für seine künftigen Projekte am Gymnasium Interlaken meine Mitarbeit an. Seither hat er mich jedes Jahr für die Aufführung des Gymnasiums Interlaken engagiert.» Diese Ehre weiss sie zu schätzen.
«Ich spielte den Robinson»
Auch Remo Grossen aus Aeschi machte seine ersten Theatererfahrungen in der Unterstufe. In «Robinson Crusoe» spielte er die Hauptrolle. «Auch ich erhielt viele Komplimente, was mir natürlich gefiel. Dann machte ich zweimal beim ‹Alpentheater› mit. Das war eine megacoole Erfahrung. Ich war das jüngste Mitglied und voll integriert in die Theaterfamilie.»
Inzwischen besucht Remo das dritte Jahr am Gymnasium Interlaken und verkörpert bei seinem zweiten Projekt zum zweiten Mal die Hauptrolle. Hierfür «opfert» er gerne den schulfreien Mittwoch.
Fünf Schülerinnen und Remo Grossen hatten sich im Sommer 2020 für die Theatergruppe angemeldet, zudem war der Chor der PrimanerInnen bereit mitzuwirken. Weil der Chor Lust hatte, Woyzeck-Songs zu singen, fiel die Wahl auf das Sozialdrama «Woyzeck» von Georg Büchner. Wegen Corona war Singen dann nicht mehr erlaubt. Die für März vorgesehenen Aufführungen wurden verschoben und werden nun nachgeholt. An Stelle des Chors bereichert ein begabter Cellist des Gymnasiums die Aufführungen musikalisch.
«Es ist kein gewöhnliches Theater. Unter der Leitung von Matthias Rüttimann, Erika Schnidrig und der Choreografin Maja Brönnimann haben wir das Stück be- und erarbeitet», erklärt Remo Grossen. Die Frutigerin hat sogar Ton-Cluster für Glasharfe (klingende Gläser) komponiert. «Die tiefen Glasharfentöne untermalen die emotionale Schlussszene, so ähnlich wie in einem Horroroder Gruselfilm. Das finde ich genial. Ebenfalls toll ist das Bühnenbild», rührt Remo Grossen die Werbetrommel.
Schnidrig ist während den Aufführungen nicht auf der Bühne zu sehen. Die erfahrene Allrounderin hilft, wo es in letzter Minute dies und das zu tun gibt, und souffliert, falls die Schauspieler-Innen es wünschen.
«Woyzeck» in der Aula des Gymnasiums Interlaken: Mittwoch, 8., und Freitag, 10. September, jeweils 19.15 Uhr. Reservation obligatorisch unter: www.gyminterlaken.ch/theatergruppe