Covid-Gesetz: Der Feind ist das Virus

  30.11.2021 Landwirtschaft

Der Feind ist das Virus

Im Tal gibt es eine breite Gegnerschaft gegen das Covid-Gesetz, doch die schweizweite Mehrheit stützt ein zweites Mal die Politik von Regierung und Parlament. Alle Beteiligten täten nun gut daran, aus ihren politischen Schützengräben zu steigen. Es gibt aktuell Sinnvolleres, als weitere Energie mit gehässigen Debatten zu vergeuden.

Fast nie geht es bei Abstimmungen nur um nüchterne Sachthemen. Mitverhandelt werden auch Weltanschauungen und moralische Fragen, stets garniert mit den damit verbundenen Emotionen. Auch beim Referendum über das Covid-Gesetz ging es um mehr als nur um ein paar Rechtsartikel. Räumt man den übrigen Ballast beiseite, so stand am Ende die Frage im Raum, ob der Staat so handeln darf, wie er es aktuell tut – ob also die Entscheide von Regierungen und Behörden noch mit der Bundesverfassung vereinbar sind.

Wäre diese Frage im benachbarten Ausland gestellt worden, so hätte man sie dort auf juristischem Wege klären können. Das jeweilige Verfassungsgericht oder der Verfassungsgerichtshof hätten dann darüber geurteilt, ob die Bestimmungen des Covid-Gesetzes angesichts der Lage verhältnismässig sind.

In der Schweiz gibt es kein solches Verfassungsgericht, aus gutem Grund. Hierzulande unterliegen Bundesgesetze dem fakultativen Referendum. Nicht ein kleines Gremium von Verfassungsrechtlern, sondern das Volk entscheidet letztlich darüber, ob ein Gesetz gültig ist.

Das hat das Volk auch am vergangenen Sonntag getan. Mit einer hohen Stimmbeteiligung sprachen sich 62 Prozent der Bürgerinnen und Bürger für das Covid-Gesetz aus und bestätigten damit den Kurs von Regierung und Parlament. Trotz des hitzigen Abstimmungskampfes lag der Ja-Stimmen-Anteil schweizweit sogar leicht höher als beim ersten Referendum über das Covid-Gesetz im vergangenen Juni.

Wer nun weiterhin von einem verfassungswidrigen Gesetz redet, wer gar das Abstimmungsergebnis nicht anerkennt, wie das am Sonntagnachmittag die Jugendbewegung «MASS-VOLL!» tat, der muss sich fragen lassen, welches Staats- und Demokratieverständnis er hat. Um es noch einmal zu betonen: Die Schweiz ist das einzige Land, das innert weniger Monate zweimal über die (vergleichsweise moderate) Corona-Politik seiner Regierung abstimmen konnte. Bei aller Kritik, die man an dieser Politik anbringen kann: Mehr demokratische Legitimität gibt es in keinem politischen System der Welt.

Ohnehin hilft es niemandem, sich noch wochenlang mit dem vergangenen Wochenende zu beschäftigen. Bundesrat Alain Berset hat es am Sonntagabend auf den Punkt gebracht: Dem Virus ist das Schweizer Abstimmungsergebnis herzlich egal. Zielführender wäre es also, den Blick nach vorne zu richten. Wenn das Land die kommenden Wochen einigermassen unbeschadet überstehen will, müssen nun alle ihren Beitrag leisten.

Konkret heisst das: Die Kritiker des Gesetzes, die so viel von Spaltung geredet haben, sollten ihre Niederlage akzeptieren, wie es demokratischen Gepflogenheiten entspricht. Auch das eigene Verhältnis zu Wissenschaft und Forschung zu überdenken, würde dem einen oder anderen vielleicht ganz gut zu Gesicht stehen.

Wer sich dagegen auf der Seite der Gewinner sieht, sollte sich bewusst machen, dass letztlich nichts gewonnen ist. Das Virus ist da, und es ist agiler als je zuvor. Für selbstgefällige Zufriedenheit besteht also kein Anlass, weder moralisch noch medizinisch. Mittlerweile sollte auch der Letzte begriffen haben, dass es in einer Pandemie keine Sieger gibt – und dass niemand immer recht hat.

Die Politik schliesslich muss weiterhin um die bestmöglichen Lösungen ringen, gerade in Bereichen, die verfassungsrechtlich heikel sind. Manchmal geht es dabei schlicht um gesetzgeberisches Handwerk. So hat es das Parlament versäumt, die Anwendung des Zertifikats direkt im Covid-Gesetz genauer zu regeln. Hätte man hier von vorneherein stärkere Leitplanken gesetzt, wäre die Diskussion um die angebliche Allmacht des Bundesrats wohl weniger schrill ausgefallen. Generell müssen sämtliche Massnahmen laufend evaluiert werden. Auch 20 Monate nach Beginn der Corona-Krise funktioniert zu vieles noch zu schlecht. Was aber nichts bringt, sollte abgeschafft oder endlich verbessert werden.

Schon jetzt ist absehbar: Die Debatte über den richtigen Weg aus der Pandemie wird auch künftig nicht geräuschlos abgehen, weder in den Parlamenten noch im Privaten. Das ist in Ordnung, es ist das Wesen demokratischer Debatten. Eines jedoch sollten sich die Kontrahenten dabei stets vor Augen führen: Der Feind ist nicht der politische Gegner oder die Andersdenkende. Der Feind war und ist das Virus.


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