Viel Inhalt, wenig Diskussion
23.11.2021 Kandersteg, PolitikDie Gemeindeversammlung musste am Freitagabend eine Menge Informationen verarbeiten. Kaum komplex war die Entscheidungsfindung bei den einzelnen Geschäften, debattiert wurde nicht. Selbst die Wahlen waren letzlich eine eindeutige Angelegenheit.
JULIAN ZAHND
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Die Gemeindeversammlung musste am Freitagabend eine Menge Informationen verarbeiten. Kaum komplex war die Entscheidungsfindung bei den einzelnen Geschäften, debattiert wurde nicht. Selbst die Wahlen waren letzlich eine eindeutige Angelegenheit.
JULIAN ZAHND
Die Gemeindeversammlung war vielschichtig im wahrsten Sinne: 122 Personen hatten sich angemeldet. Da sie aufgrund der luftigen Corona-Bestuhlung nicht alle in den Gemeindesaal passten, musste rund die Hälfte von ihnen in der Turnhalle im Untergeschoss Platz nehmen, was den Ablauf der Veranstaltung aber kaum beeinträchtigte.
Vielschichtig war der Anlass auch inhaltlich. Und beleibt: Knapp 100 Informationsfolien projizierte der Beamer während des Abends auf die Leinwand. Wären die Traktanden allesamt noch vor Ort verhandelt worden – die Gemeindeversammlung hätte wohl problemlos bis Mitternacht gedauert.
Eine Verschuldung, die nicht schmerzt
Einen erheblichen Teil des Abends beanspruchte das Budget 2022, über das die Gemeindeversammlung zu befinden hatte. Es sieht ein Defizit im Gesamthaushalt von 160 000 Franken vor. Die Gemeinde plant Nettoinvestitionen in der Höhe von rund 750 000 Franken, was in etwa den Beträgen der Vorjahre entspricht. Der Selbstfinanzierungsgrad liegt bei 93 Prozent, wodurch die Verschuldung der Gemeinde nur unwesentlich steigt. Bereits heute ist Kandersteg im kantonalen Vergleich sehr hoch verschuldet, wie Reinhard Höllstin, Gemeinderat im Ressort Finanzen, Verkehr und Sport, betonte. Von einer hohen Schuldenlast spricht man ab einem Betrag von 2000 Franken pro EinwohnerIn. Die Gemeinde lag 2020 bei knapp 4000 Franken pro Person. «Dieser Betrag ist zwar ausserordentlich, tut uns aber nicht weh», relativierte Höllstin. Grund dafür sind die tiefen Zinsen. Diese müsse man allerdings im Auge behalten, wie er anhand verschiedener Szenarien aufzeigte. Bei einer Erhöhung des Zinssatzes auf 2 Prozent würden sich die jährlichen Schuldzinsen für die Gemeinde von heute 43 000 Franken in den nächsten fünf Jahren auf fast das Doppelte erhöhen. Das Szenario sei aber nicht unbedingt realistisch, Höllstin bezeichnete es denn auch als «krass».
Dennoch verzichtet die Gemeinde auch in diesem Jahr auf eine Steuererhöhung – unter anderem auch, um für NeuzuzügerInnen attraktiv zu bleiben. Das Budget 2022 wurde letzlich ohne Gegenstimme angenommen.
Verdoppelung der Kurtaxen wird möglich
Ebenfalls ein grosser Brocken war die Teilrevision des Kurtaxenreglements. Diese ist nötig, weil im Zuge der Reorganisation der Talk AG neue Leistungsvereinbarungen ausgearbeitet werden müssen. Um künftige Projekte wie den Gratis-ÖV für Gäste oder das Gästezentrum im Bahnhof stemmen zu können, musste die Stimmbevölkerung zudem die Möglichkeit schaffen, den Satz zu erhöhen. Heute liegt er bei drei Franken pro erwachsene Person und Nacht, was bislang dem im Reglement festgelegten Maximum entsprach. Der Gemeinderat wollte dieses Maximum zunächst auf 4.50 Franken anheben. Der Verein Kandersteg Tourismus hielt diese Erhöhung aber für zu gering und beantragte der Versammlung einen Maximalbetrag von sechs Franken pro Nacht. Ansonsten sei der Plafond schon bald wieder erreicht, was eine erneute Reglementsänderung nach sich ziehen würde. Da der Gemeinderat diesen Vorschlag ebenfalls guthiess, fand er bei der Abstimmung eine klare Mehrheit: Nur zwölf Personen lehnten ihn ab. Die tatsächliche Erhöhung wird letzlich in der Kurtaxenverordnung festgelegt. Der Gemeinderat strebt eine «moderate» Anhebung der Sätze per 2023 an.
Auch das Reglement zur Erhebung der Tourismusförderungsabgabe (TFA) muss infolge der Umstrukturierung in der Tourismusorganisation einer Teilrevision unterzogen werden. Die Versammlung hiess die Änderungen ohne Widerspruch gut.
Klarer erster Wahlgang
Das dritte zeitintensive Traktandum beinhaltete an diesem Abend die Gemeinderatswahlen. Sieben Personen kandidierten für die sechs frei werdenden Sitze, unter ihnen vier Bisherige. Da auf Anhieb genau sechs Kandidierende das absolute Mehr von 61 Stimmen erreichten, blieb es bei einem Wahlgang. Das neue Gremium besteht aus:
• Franziska Ryter (118 Stimmen)
• Sebastian Bichsel (111 Stimmen)
• Sara Loretan (110 Stimmen)
• Heinz Steiner (neu, 105 Stimmen)
• Verena Packmor (94 Stimmen)
• Willy Minnig (neu, 93 Stimmen)
Verpasst hat die Wahl hingegen die 29-jährige Schamanin und Musikerin Jaclyn Lubrano. Sie erhielt 36 Stimmen. Gemeindepräsidentin Barbara Jost und Gemeinderätin Franziska Ryter dankten der Bewerberin für die Kandidatur, die eine echte Wahl erst ermöglicht hatte. Dass eine solche nicht selbstverständlich ist, zeigten die übrigen Wahlen: Sowohl die Gemeindepräsidentin Barbara Jost als auch Gemeinderatspräsident René Maeder und die Mitglieder der Schulund der Rechnungsprüfungskommission wurden still gewählt.
Fahrverbot beim Oeschinensee: Die Gemeinde gehört zu den Einsprechern
Weiter wählte die Gemeindeversammlung die Firma MSM Treuhand AG als externe Revisionsstelle für die nächsten drei Jahre. Das Kuhrecht «Ueschiberg» ging für günstige 70 Franken an den einzig Bietenden (die offizielle Schatzung liegt bei 330 Franken).
Im Traktandum «Verschiedenes» erhielten die fünf (von insgesamt neun) anwesenden Jungbürger auf der Bühne den Bürgerbrief ausgehändigt und damit das Recht, künftig am politischen Prozess teilhaben zu können. Zudem wurden die beiden scheidenden Gemeinderäte Selina Kämpfer und Reinhard Höllstin sowie das langjährige Schulkommissionsmitglied Susanna Studer verabschiedet. Weiter informierte die Gemeinde, dass die Bauverwaltung seit Mitte Oktober von Brigitte Märki im Mandatsverhältnis geführt werde. Märki war früher bereits in Frutigen tätig.
Wie es um das jüngst verhängte Fahrverbot beim Oeschinensee stehe, wollte eine Bürgerin zum Schluss der Sitzung noch wissen. Gegen das Verbot gingen zahlreiche Einsprachen ein – auch vonseiten der Gemeinde. Man bekämpfe das Verbot nicht grundsätzlich, betonte Gemeinderätin Franziska Ryter auf Anfrage. Vielmehr möchte man eine Aufweichung erwirken. «Denkbar wäre etwa, dass das Verbot während der Randzeiten nicht gilt.» Wie realistisch diese Wünsche sind, ist derzeit noch offen. Die Reaktion der Gegenseite steht nach wie vor aus.