Fünf Vorlagen, sechs «Duellanten»
25.01.2022 LandwirtschaftABSTIMMUNGEN Am Donnerstag führte die FDP Kandertal ein Online-Podium zum bevorstehenden Urnengang durch. Für fast jedes Thema waren zwei Hauptredner eingeplant – und die lieferten sich trotz des kleinen Publikums durchaus engagierte Wortgefechte.
BIANCA HÜSING
ABSTIMMUNGEN Am Donnerstag führte die FDP Kandertal ein Online-Podium zum bevorstehenden Urnengang durch. Für fast jedes Thema waren zwei Hauptredner eingeplant – und die lieferten sich trotz des kleinen Publikums durchaus engagierte Wortgefechte.
BIANCA HÜSING
Demokratische Willensbildung war noch nie so einfach. Wer in Zeiten von Corona eine Podiumsdiskussion besuchen will, muss im Prinzip nur seinen Laptop hochklappen. Obwohl der Zugang denkbar komfortabel ist und es nicht einmal eines Zertifikats bedarf, kranken virtuelle Veranstaltungen oft an schwacher Beteiligung. Das war auch beim Zoom-Anlass der FDP Kandertal nicht anders. Knapp 20 Teilnehmer waren am Donnerstagabend online – Mitwirkende inklusive. Dass trotzdem angeregte Diskussionen stattfanden, lag unter anderem an der Auswahl der Gäste. Dafür wand auch Flavia Wasserfallen (Nationalrätin SP) den Organisatoren ein Kränzchen: «Ich finde es sehr verdienstvoll, dass ihr eine Parteiveranstaltung mit unterschiedlichen Referenten durchführt und dadurch eine breite Meinungsbildung ermöglicht.»
Keine zwei Meinungen über Tierversuche
Auch der gewählte Diskussionsmodus trug dazu bei, dass die Zuschauer am Ball bleiben konnten und der Anlass nicht aus dem Ruder lief. Nach gut eineinhalb Stunden war Schluss – trotz grosser Themenfülle. Von dieser Zeit-Disziplin zeigte sich selbst Moderator Mathias Siegenthaler (Präsident FDP Berner Oberland) positiv überrascht.
Zu jeder der fünf Abstimmungsvorlagen (vier nationale, eine kantonale) waren zwei opponierende Politiker mit je fünf Minuten Redezeit und anschliessender Fragerunde eingeplant. Eine Ausnahme bildete die Initiative zum Tierversuchsverbot. Weil sich das Parlament einstimmig gegen die Vorlage ausgesprochen hatte, wurde Andreas Gafner als einziger Referent zu diesem Thema eingeladen. Der EDU-Nationalrat wies den Vorstoss als «Extremforderung» zurück. Das Verbot von Tierversuchen und darauf beruhenden Importgütern habe «verheerende Auswirkungen auf die Volksgesundheit» und koste Arbeitsplätze. Gafners Votum blieb unwidersprochen im virtuellen Raum stehen – eine weitere Ausnahme dieses Abends.
Wen trifft die Stempelsteuer?
Alle anderen Vorlagen boten mehr politischen «Zündstoff». Mit am eifrigsten wurde ausgerechnet jenes Thema diskutiert, das im Stimmvolk auf das geringste Interesse stossen dürfte: die Stempelabgabe. FDP-Nationalrätin Christa Markwalder und die erwähnte Flavia Wasserfallen lieferten sich ein Wortgefecht über Steuergerechtigkeit. Aus Markwalders Sicht ist die Emissionsabgabe «überholt» und «schädlich» für den Wirtschaftsstandort Schweiz. Sie strafe Firmen ab, die sich durch Eigenkapital krisensicher machen statt Kredite aufzunehmen, darunter viele kleinere und mittlere Unternehmen. Wasserfallen konterte, dass die Steuer vor allem grosse Beiteiligungsgesellschaften im Kanton Zug betreffe und dass KMU zurzeit «ganz andere Probleme» hätten. Überhaupt ziele die Politik der letzten Jahre immmer stärker darauf ab, Unternehmen zu entlasten und natürliche Personen zu belasten.
Eigentlich nicht als Redner zu diesem Thema vorgesehen, schaltete sich Jürg Grossen (Nationalrat glp) in die Debatte ein. Als Mitgründer eines Start-ups sei er selbst von der Abgabe betroffen, da er Eigenkapital in das risikoreiche Unternehmen investieren musste: «Obwohl du noch nichts verdient hast und noch nicht weisst, ob deine Idee Erfolgsaussichten hat, bekommst du als erstes eine Rechnung vom Staat.» Auch wenn «das eine Prozent» wohl niemanden umbringe, sei diese Steuer «komplett falsch» und innovationshemmend.
Medienförderung? Ja, aber ...
Auch beim Thema Mediengesetz nahm Grossen eine gewisse Sonderstellung ein. Anders als seine Partei lehnt er die Vorlage ab – und zwar nicht, weil er gegen Medienförderung wäre, sondern weil das Gesetz zu stark auf Print ausgerichtet sei. Statt die Papierproduktion und Frühzustellung noch stärker zu fördern, sollte man aus Grossens Sicht die Digitalisierung der Zeitungen vorantreiben. Die Medienbranche habe eine sehr konservative Grundhaltung und müsse sich bewegen.
Konrad Maurer, Geschäftsführer der Berner Oberland Medien AG, widersprach dem nicht grundsätzlich. Der Umstieg auf Online sei aber ein «harziger Prozess», für den die Branche Unterstützung brauche. Es sei äusserst schwierig, zahlende Online-Kunden zu generieren. Die jahrelange Praxis vieler Medienunternehmen, ihre Inhalte gratis im Netz zur Verfügung zu stellen, räche sich heute. Zudem betonte Maurer, dass von dem Gesetz vor allem kleine Zeitungen mit einer Auflage von weniger als 10 000 profitieren würden. Für diese sei die Unterstützung «überlebenswichtig».
Der Einfluss der Werbung
Weil es zu jeder Vorlage zwei Gegenspieler brauchte, nahmen einige Politiker naturgemäss etwas mehr Raum ein als andere. Bei den Themen Tabakwerbeverbot und Motorfahrzeugsteuer kamen daher ebenfalls Flavia Wasserfallen und Jürg Grossen zum Zuge. Sie «duellierten» sich jeweils mit SVP-Grossrat Thomas Knutti. Wasserfallen sprach sich für die Initiative zum Tabakwerbeverbot aus und hob unter anderem die milliardenschweren Gesundheitskosten hervor, die das Rauchen verursache. Das vom Parlament beschlossene Tabakproduktegesetz sei «ungenügend» und nicht dazu imstande, Jugendliche hinreichend vor dem Einfluss der Tabakindustrie zu schützen. Aus Knuttis Sicht dagegen ist die Initiative zu rigoros. Sie greife in die Wirtschaftsfreiheit ein und habe wahrscheinlich nicht einmal den Effekt, den die Initianten sich davon versprechen: «Ich glaube nicht, dass Werbung hauptausschlaggebend dafür ist, dass Jugendliche mit dem Rauchen anfangen.»
Die Rolle der Landbevölkerung
Wie schon beim Thema Mediengesetz schlug Jürg Grossen auch hinsichtlich der Motorfahrzeugsteuer eine ökologische Stossrichtung ein. Man könne die Klimaziele nicht erreichen, indem man einfach alles so lasse, wie es ist. Auch die Landbevölkerung müsse ihren Teil der Verantwortung tragen: «Wir sehen doch selbst die Gletscher vor unseren Augen schmelzen», mahnte der Frutiger. Die Vorteile des neuen Gesetzesvorschlags bestünden darin, dass nun auch der CO2-Ausstoss von Fahrzeugen berücksichtigt werde – und dass das Geld mittels Steuersenkung direkt an natürliche Personen zurückfliesse. Beides stellte Thomas Knutti in Abrede. Die geplante Steuersenkung für natürliche Personen sei ein «Etikettenschwindel» und mache sich allenfalls bei Gutverdienern bemerkbar, nicht aber bei Landwirten. Die Erhöhung der Fahrzeugsteuer treffe dagegen insbesondere den ländlichen Raum spürbar. Ausserdem gebe es keinen anderen Kanton, der die Fahrzeugsteuer am CO2-Ausstoss bemesse. Der SVP-Grossrat weist die Gesetzesvorlage als «völlig ungerecht» zurück. Sie sei nur ein weiteres Instrument, Autofahrer zu «schröpfen».