Nimmt ein Medikament Corona bald seinen Schrecken?
21.01.2022 Coronavirus, GesundheitZwei Jahre Pandemie, Delta, Omikron und scheinbar kein Ende in Sicht: So rasch im letzten Jahr ein Impfstoff gegen das Virus zur Verfügung stand, so schwer tat man sich bisher mit der Entwicklung wirksamer Medikamente. Doch nun zeigt sich ein Silberstreif am Horizont.
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Zwei Jahre Pandemie, Delta, Omikron und scheinbar kein Ende in Sicht: So rasch im letzten Jahr ein Impfstoff gegen das Virus zur Verfügung stand, so schwer tat man sich bisher mit der Entwicklung wirksamer Medikamente. Doch nun zeigt sich ein Silberstreif am Horizont.
Mit Omikron verändern sich die «Spielregeln» der Pandemie. Die Virusvariante befällt auch viele Geimpfte und Genesene, die Fallzahlen explodieren und schnellen höher denn je. Glücklicherweise sind die Verläufe zurzeit eher mild. Doch das muss nicht bei jeder Corona-Variante der Fall sein, und so rückt eine Frage in den Fokus: Welche Medikamente können in Zukunft zur Behandlung und zur Vermeidung schwerer Verläufe eingesetzt werden?
Aktuell ist die Medikamentenpalette überschaubar und beschränkt sich weitgehend auf die intensivmedizinische Behandlung Schwerkranker. Die bisher zugelassenen Mittel sind teuer und müssen in der Klinik verabreicht werden. Ein Medikament für den Einsatz im ambulanten Bereich könnte die Belastung der Spitäler drastisch reduzieren. Nun setzt man grosse Hoffnungen in ein neuartiges Medikament mit dem Handelsnamen Paxlovid (Wirkstoff: Nirmatrelvir).
Covid-19 – die erste Behandlung in Form einer Tablette
Paxlovid erhielt am 22. Dezember 2021 in den USA eine Notfallzulassung und Ende 2021 in Grossbritannien eine bedingte Zulassung. Seit dem 10. Januar 2022 prüft die Europäische Arzneimittelbehörde EMA die Marktzulassung für die Behandlung positiv getesteter Patienten ab zwölf Jahren mit milden bis mittelschweren Symptomen und einem grossen Risiko für einen schweren Verlauf.
Das Bundesamt für Gesundheit BAG verhandelt seit Ende Dezember 2021 mit dem Hersteller «bezüglich einer möglichen Anwendung von Paxlovid in der Pandemiebekämpfung in der Schweiz». Mittlerweile hat das US-Pharmaunternehmen Pfizer auch ein Zulassungsgesuch bei Swissmedic gestellt. Die Zulassung könnte nun relativ rasch erfolgen, weil Labor- und klinische Studien sowie Qualitätsdaten bereits vorgängig in einem rollenden Verfahren (rolling review) geprüft werden.
Das Medikament besteht aus zwei Wirkstoffen und muss über fünf Tage geschluckt werden. Die orale Einnahme, zweimal täglich drei Tabletten, ermöglicht eine Behandlung von Covid-Patienten bereits vor einer Hospitalisierung und soll helfen, diese zu verhindern.
Für eine erfolgreiche Therapie ist der rechtzeitige Beginn in der Frühphase, wenn die Viruslast besonders hoch ist, entscheidend. Wird das Medikament zu spät eingesetzt, kann die Virusvermehrung nicht mehr massgeblich beeinflusst werden. Da die frühen und leichten Symptome einer Corona-Infektion denen einer gewöhnlichen Erkältung ähneln, wird die Krux darin liegen, die «echten» Covid-19-Patienten rechtzeitig zu erkennen.
Zu den beschriebenen Nebenwirkungen gehören eine Beeinträchtigung des Geschmackssinns, Durchfall, Bluthochdruck und Muskelschmerzen. Wegen möglicher Wechselwirkungen mit anderen Wirkstoffen sind eine erhöhte Aufmerksamkeit und eine gute ärztliche Aufklärung nötig. Gewisse Patienten, die entsprechende Therapien für Grunderkrankung benötigen, könnten das neue Medikament nicht vertragen.
Mit der «Corona-Pille» entstehen unreife und funktionsunfähige Viren
Für seine Vermehrung ist das Virus auf den Stoffwechsel des Wirts angewiesen. Bei der Vermehrung in den befallenen Körperzellen werden einerseits virustypische Eiweisse (Strukturproteine), andererseits eine Reihe von Proteinen und Enzymen produziert, die das Virus in seine funktionsfähige Form bringen. Der neuartige antivirale Wirkstoff Nirmatrelvir stört die Virusneubildung über die Hemmung eines der zentralen Nicht-Strukturproteine. Damit fehlen dem Virus entscheidende Bausteine für seine endgültige Reifung. In der Folge entstehen defekte und weniger infektiöse Coronaviren.
Die Kombination mit dem HIV-Medikament Ritonavir (das selbst unwirksam gegen Corona ist) führt zu einer Wirkverstärkung: In der Leber verlangsamt Ritonavir den Abbau des Anti-Corona-Wirkstoffs Nirmatrelvir. Dieser kann dadurch tiefer dosiert werden und steht dem Körper über längere Zeit in höheren Konzentrationen zur Verfügung.
Ermutigende Studienresultate lassen aufhorchen
Gemäss den bisher veröffentlichten Daten des Herstellers Pfizer reduziert Paxlovid, wenn es spätestens drei Tage nach den ersten Symptomen eingenommen wird, Hospitalisationen und Tod bei Hochrisikopatienten erfolgreich um 89 Prozent. Auch bei Erwachsenen ohne Vorerkrankungen und mit normalem Risiko sei der Einsatz des Medikaments sinnvoll. Gemäss vorläufigen Studienergebnissen soll das Risiko für Spitalaufenthalte um bis zu 70 Prozent tiefer liegen.
«Das Medikament ist extrem vielversprechend, weil es in der frühen Gabe den schweren Verlauf von Covid deutlich abschwächen kann», konstatiert der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Professor Manuel Battegay, Chefarzt Infektiologie am Universitätsspital Basel, spricht von einer «berechtigten Therapiehoffnung», und für den Infektiologen Andreas Widmer stellt Paxlovid einen «Durchbruch bei medikamentösen Corona-Therapien dar».
Kein Ersatz für die Impfung
Bisher wurde das neue Medikament erst bei einer vergleichsweise kleinen Anzahl Patienten eingesetzt. Die Notfall- beziehungsweise befristeten Zulassungen beschränken sich zurzeit auf Risikopatienten. Erfüllen sich die hohen Erwartungen und etabliert sich Paxlovid in den kommenden Monaten als effiziente Therapieoption, wird das «Corona-Gespenst» seinen Schrecken verlieren.
Die Verringerung schwerer Verläufe kann zu einer deutlichen Entlastung des Gesundheitswesens und insbesondere der Intensivstationen führen. Paxlovid wird jedoch in absehbarer Zeit kaum zu einer Therapieoption für die breite Bevölkerung werden. Fachleute warnen denn auch schon vor falschen Hoffnungen: Das Medikament wirkt nicht prophylaktisch als Schutz vor einer Infektion und wird kein Ersatz für die Impfung werden.
Karl Lauterbach schaut jedenfalls optimistisch in die Zukunft: «Durch eine Kombination von immer wirksameren Impfstoffen und Behandlungsmöglichkeiten wird Covid-19 zu einer Krankheit, die ihren Schrecken verlieren wird.»
BEAT INNIGER, OFFIZIN-APOTHEKER FPH, ADELBODEN
Weitere Informationen erhalten Sie online unter www.frutiglaender.ch/web-links.html
Die Börse als «Fiebermesser» der Forschung
Die Zulassung eines neuen Wirkstoffs eröffnet nicht nur der Medizin neue Perspektiven, sie zieht auch die Börse in ihren Bann. Kann sich eine innovative, erfolgsversprechende Behandlung durchsetzen, locken für Pharmaunternehmen und deren Investoren satte Gewinne. Finanzanalysten haben ihre Ohren stets ganz nah am Puls der Entwicklung, und Finanzportale vermelden Studienresultate entsprechend rasch, insbesondere wenn ein neues Medikament gegen eine weltweit grassierende Pandemie die Bühne betritt.
So erschienen vergangenen Dezember die euphorischen Schlagzeilen auch im Fall von Paxlovid: «Wird Pfizer jetzt zur Kursrakete?» oder «Paxlovid – Pfizer-Aktie schnellt auf Rekordhoch». Ebenso schnell kann ein Aktienkurs aber wieder absacken, sollten sich die erwarteten Erfolge nicht einstellen.
BI