Des Gemeindeschreibers «Ferienhäuschen»
11.03.2022 Aeschi, Aeschiried, KrattigenAn mehreren Orten im Kanton Bern stehen etwas abseits alte Häuschen, die bis unters Dach gemauert, weiss getüncht und mit winzigen Lüftungsfenstern versehen sind. So auch in Aeschi und Krattigen. Was hat es mit den kleinen Gebäuden auf sich? Unsere Autorin ist dieser Frage ...
An mehreren Orten im Kanton Bern stehen etwas abseits alte Häuschen, die bis unters Dach gemauert, weiss getüncht und mit winzigen Lüftungsfenstern versehen sind. So auch in Aeschi und Krattigen. Was hat es mit den kleinen Gebäuden auf sich? Unsere Autorin ist dieser Frage nachgegangen. Als Quelle dienten ihr auch persönliche Erinnerungen.
SONJA STEUDLER
«Kummer Willis Ferienhäuschen», so nennen alteingesessene Krattiger das Häuschen immer noch, das ein wenig versteckt hinter Büschen ganz für sich alleine auf dem Rüdelmoos steht. Und auch in der Schule bekam ich den Spruch vom Feriendomizil des Gemeindeschreibers öfters zu hören. Ich bin in Krattigen aufgewachsen und Kummer Willi ist mein Vater. Er war über dreissig Jahre lang der Krattiger Gemeindeschreiber.
Und so ist mir auch das kleine Häuschen bestens bekannt. Ich begleitete meinen Vater als Kind regelmässig dorthin, wenn es galt, irgendwelche älteren Akten zu suchen. Im kleinen weissen Häuschen hinter den Büschen war nämlich seinerzeit das Archiv der Einwohnergemeinde untergebracht und auch jenes der Burgergemeinde.
Ein klein wenig beklemmend war das Gefühl in dem winzigen Gebäude mit den dicken Mauern und der schweren Tür jeweils schon für mich. Als kleiner Knopf wollte ich mir jedenfalls lieber nicht vorstellen, dass plötzlich die Türe zuginge und ich da drin eingesperrt wäre. Zu sehr erinnerte mich der Raum mit den winzigen, hoch angebrachten Fensterchen an ein Gefängnis. Aber mein Vater war ja stets da und ausreichend Licht zum Wühlen in den Akten hatte man ohnehin nur, solange die Türe offen stand. Licht dringt durch die kleinen Lüftungsfenster nämlich praktisch keines.
Gemäss Bauinventar des Kantons Bern wurde das Gebäude ums Jahr 1925 errichtet. Es ist als erhaltenswert eingestuft und gilt als gutes Beispiel seiner Baugattung. Im Beschrieb ist sogar von einem «hübschen Pavillon» die Rede. Dies liegt wohl auch am elegant erscheinenden, geknickten Walmdach mit den Biberschwanzziegeln.
Neue Nutzungsmöglichkeiten
Im Krattiger Archiv werden keine Akten mehr gelagert. Mit dem Neubau der Gemeindeverwaltung im Jahr 2000 wurde auch Platz für ein modernes Archiv direkt im Verwaltungsgebäude geschaffen. Nach der Pensionierung nahm sich Willi Kummer dann Zeit, die alten Akten alle zu sortieren. Wichtige und erhaltenswerte Dokumente fanden ihren Platz im neuen Gemeindearchiv und das alte Archivhäuschen hatte ausgedient.
Hier zog nun die Musikgesellschaft Krattigen mit ihrem Instrumentenlager ein. Da das Klima in den alten Mauern jedoch für die heiklen Blasinstrumente nicht wirklich geeignet ist, werden nur Instrumente eingelagert, welche ausschliesslich zu Dekorationszwecken, z. B. bei Konzerten oder am Musiktag, dienen.
Praktisch identisches Gebäude in Aeschi
Hinter dem Feuerwehrmagazin im Mustermattli steht auch in Aeschi ein solches Häuschen. Erbaut wurde es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Im Gegensatz zu seinem «Geschwisterchen» in Krattigen gilt es jedoch im kantonalen Bauinventar als schmucklos funktionales Beispiel. Als erhaltenswert ist es dennoch eingestuft worden.
Ob dem Altgemeindeschreiber von Aeschi, Res von Känel, wie seinem ehemaligen Amtskollegen aus Krattigen auch der Besitz eines «Feriendomizils» in seiner Gemeinde angedichtet wurde, ist ihm selbst nicht bekannt. Und auch sonst kann er auf Anfrage nicht viel zu besagtem Gebäude sagen, ausser, dass es ebenfalls zum Aufbewahren von Akten gedient hat.
Und auch in Aeschi wurde im Zuge der Renovierung der Gemeindeverwaltung Mitte der 1980er Jahre das alte Archiv aufgehoben. Dabei kamen gemäss der Auskunft des Finanzverwalters Fritz Portenier sogar ganz alte Gemeinderatsprotokolle zum Vorschein. Die ältesten datieren aus dem Jahr 1825. Einige davon hat die Gemeinde Aeschi restaurieren lassen.Das Aeschiner Archivhäuschen ist nun schon seit etlichen Jahren an einen einheimischen Gewerbebetrieb als Lagerraum vermietet.
Brandschutz für Gemeindeakten
Es ist wohl kein Zufall, dass im Kanton Bern mehrere Gemeindearchive im ähnlichen Stil in ganz massiver Bauweise errichtet wurden. Es ist anzunehmen, dass dies ein Auftrag einer übergeordneten Behörde war. Und auch der Standort jeweils etwas ausserhalb des Ortskerns ist damals sicherlich bewusst gewählt worden. Ein Brand im Dorf hatte in früheren Zeiten nicht nur für direktbetroffene Bewohner schwerwiegende Folgen. Auch wichtige Akten und Dokumente wurden unter Umständen unwiederbringlich zerstört. Fehlte das Originaldokument, gab es keine Möglichkeit mehr, ein exaktes Duplikat zu erstellen. Mit der Errichtung der relativ sicheren Archivgebäude konnte diese Gefahr eingedämmt werden.