Am 15. Mai wird über die weitere Beteiligung der Schweiz an der europäischen Sicherheitsagentur Frontex befunden. Wie profitieren wir als Schengen-Mitglied davon? Und welche Rolle spielen Menschenrechtsverletzungen für die Gegner?

HANS RUDOLF SCHNEIDER
Frontex tönt ein bisschen nach Konfrontation. So beurteilen es auch die Kreise, die erfolgreich das Referendum gegen die stärkere Beteiligung der Schweiz an dieser europäischen Organisation ergriffen haben. Am 15. Mai wird das Geschäft dem Stimmvolk zur Entscheidung vorgelegt. Formal geht es um eine höhere finanzielle und personelle Beteiligung am Schutz der Schengen-Aussengrenzen. Für die Schweiz als Mitgliedsland ist dies quasi obligatorisch, um weiterhin auch von den Dienstleistungen profitieren zu können. Der Bundesrat, der Ständerat und eine knappe Mehrheit des Nationalrates haben dem Geschäft zugestimmt. Da die Arbeit dieser europäischen Agentur für Grenz- und Küstenwache teils heftig umstritten ist, wurde das Referendum ergriffen – massgebend war das Migrant Solidarity Network. Gegen mehr Beteiligung sind vor allem linke und grüne Seiten sowie Menschenrechtsorganisationen. Mitte-Rechts befürwortet die Vorlage. Gespalten war im Parlament die SVP – letzten Samstag fassten die Delegierten nun die Ja-Parole. Die EU-kritische Partei unterstützt somit eine europäische Organisation, was so gar nicht ihrem normalen Verhalten entspricht.

Gegner kritisieren Gewalt
Immer wieder werden gegen die Frontex-Beamten Vorwürfe laut, dass sie im Umgang mit Migranten deren Grundrechte verletzen würden. Illegale Rückführungen und Abweisungen von Flüchtlingen an den Grenzen und insbesondere an den Mittelmeerküsten würden zumindest geduldet oder sogar unterstützt. Menschenrechtsverletzungen seien quasi an der Tagesordnung, es laufen derzeit mehrere Ermittlungsverfahren gegen die Organisation. Für das Referendumskomitee ist deshalb klar, dass diese Organisation und deren «gewaltvolle» Migrationspolitik nicht mit Schweizer Unterstützung ausgebaut werden dürfe. Von aktuell 24 würde der Beitrag bis 2027 auf jährlich gut 60 Millionen Franken steigen, von heute sechs Vollzeitstellen schrittweise auf 40. Zur Einordnung: Das Budget 2022 der Frontex beträgt 750 Millionen Franken.

Andere Sicht der Befürworter
Im Gegensatz dazu argumentieren die Befürworter vor allem mit den Beziehungen zur EU und der Sicherheit. Ins Feld geführt wird beispielsweise der Zugang zu europäischen Fahndungssystemen zur Kriminalitätsbekämpfung. Die Teilnahme an den Schengen-Dublin-Verträgen, die diese Zusammenarbeit regeln, diene der Schweiz, also müsse sie auch ihren Anteil dazu beitragen. Der Ausbau soll für mehr Personal an den Grenzen sorgen und auch die Mitgliedsländer bei der Rückführung von Asylsuchenden in ihre Herkunftsländer unterstützen. Um die Einhaltung der Grundrechte von Migrantinnen und Migranten zu überwachen, soll die Anzahl von Beobachtern erhöht werden. Aktuell sind auch Frontex-Beamte in den Nachbarländern der Ukraine eingesetzt, um diese bei den Flüchtlingsankünften zu unterstützen.

Was passiert bei einem Nein?
Diese Abstimmung verschiebt nicht nur bei der SVP Grenzen: Ein Nein an der Urne brächte auch die europafreundliche SP in die Zwickmühle, obwohl sie diese Parole selber herausgegeben hat. Sollte das Stimmvolk die Vorlage ablehnen, würden nämlich die Schengen-Dublin-Verträge auslaufen. Die Schweizer Grenzen müssten wieder systematisch selber überwacht und kontrolliert werden und unsere Reisefreiheit in Europa würde eingeschränkt. Stärker gewichtet werden muss aber wohl die wegfallende Zusammenarbeit bei Sicherheits- und Migrationsfragen. Eine weitere – auch nur teilweise – Kooperation wäre bei einer Ablehnung vom Goodwill der anderen Länder abhängig. Dieser ist aber mehr als fraglich, hat sich die Schweiz in letzter Zeit doch kaum Freunde in den europäischen Gremien gemacht.

In den kommenden Ausgaben erscheinen weitere Texte zu den bevorstehenden Abstimmungen.

Was ist Frontex?

So wird die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache bezeichnet. Sie wurde 2004 gegründet und beschäftigt derzeit gut 2000 Beamte. Die Agentur hat als Aufgabe die Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Kontrolle der Aussengrenzen des EU-Raumes respektive des Schengenraumes. Grundsätzlich sind die Grenzländer verantwortlich für die Sicherung, werden aber bei bestimmten Aufgaben von der Frontex unterstützt. Diese umfassen die grenzüberschreitende Kriminalität und die Steuerung der Migrgrationsflüsse. Konkrete Schwerpunkte sind der Drogen-, Waffen- und Menschenhandel sowie die Kontrolle von Personen, die in Europa Asyl beantragen wollen.
Seit 2008 ist die Schweiz Mitglied des Schengenraums, seit 2011 unterstützt sie auch als eines von 26 Ländern die Frontex. Dies hat insofern Bedeutung, als innerhalb des Schengenraums auf systematische Grenzkontrollen verzichtet und im Sicherheitsbereich eng und koordiniert zusammengearbeitet wird sowie beispielsweise eine administrative Entlastung durch gegenseitig anerkannte Asylanträge besteht.

HSF

Zusammenarbeit beim Grenzschutz?

Image Title

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Ja. Ich benötige ein Abo.

Article

Image Title