Der Ritter lernt, was Tochter Agnes schon kann
31.05.2022 Frutigen, KulturDie Premiere des Freilichtspiels «Agnes von der Tellenburg» rückt näher. Aber läuft alles nach Plan? Der Besuch eines ritterlichen Probeabends bot zum Teil überraschende Antworten.
Die Premiere des Freilichtspiels «Agnes von der Tellenburg» rückt näher. Aber läuft alles nach Plan? Der Besuch eines ritterlichen Probeabends bot zum Teil überraschende Antworten. GALERIE PETER ROTHACHER Mittlerweile ist auch Thomas Schneider eingetroffen. Er und Frédéric Engel werden «Mission» in der Mittelaltersaga reiten. Schneider ist zwar ein erfahrener Laienschauspieler, hat zuvor aber bloss zweimal auf einem Pferd gesessen. «Das kann man nicht reiten nennen», erklärt er. «Aber für die Rolle des Ritters von der Tellenburg lasse ich mich nun von Ernst Wälti dazu ausbilden.» Zum Beweis sitzt er – unter tatkräftiger Mithilfe von Wälti und Dünner – schon einmal auf und wirkt dann tatsächlich bereits recht ritterlich. Trotz aller Fortschritte meint er: «Zu einem Hobby wird mir das Reiten wohl kaum.» Unter den Augen des Autors Für viele überraschend ist nun sogar der Autor Gerhard Schütz mit seiner Frau Erika auf dem Burggelände angekommen. «Wir wollen heute erstmals einer Probe beiwohnen, um uns dann nach unseren Ferien von den Fortschritten zu überzeugen.» Er habe das Stück auf der Basis der Gotthelf-Sage aufgebaut, mit der Ritterstochter Agnes aber eine Frau ins Zentrum des Geschehens eingebaut (siehe Kasten). «Geschrieben habe ich die im Mittelalter angesiedelte Geschichte 2016. Später las ich dann in der Presse, dass der Verein Freilichtspiele Tellenburg ein entsprechendes Stück suche. Ich habe reagiert und stelle nun fest: Es passt perfekt hier hin.» Er sei sich bewusst, dass die Regie den Text laufend den Gegebenheiten anpassen werde. «Das Theaterstück wird sich bis zur Premiere weiterentwickeln und das Publikum hoffentlich begeistern. Erfolg oder Misserfolg – so ein Projekt stellt immer ein Risiko dar – dürften über die weitere Zukunft des Vereins entscheiden.» Um wichtige Schritte weitergekommen Die Rekrutierung der Laienschauspielerinnen und -schauspieler habe sich mühsam gestaltet, erklärt Schoch auf eine entsprechende Frage. «In der Region bestand ja noch nichts Derartiges.» Nach Lesungen im Dezember hat die Gruppe im Februar mit den eigentlichen Proben begonnen. Anfang Mai erfolgte der Schritt zur Burg, wo nun bei jedem Wetter geprobt wird. «Der heutige Einbezug der Pferde wird die Motivation erhöhen, und dasselbe wird im Juni mit der Kostümierung passieren. Wir sind auf Kurs!», meint Schoch. Eigenes Temperament bändigen Das bestätigt Beatrice Perren als Frau des Müllers: «Als ich zusagte, habe ich niemanden gekannt. Jetzt sind wir eine tolle Truppe und ich schätze die professionellen Anweisungen der Regie.» Dass ihr die dramatische Rolle liegt, beweist sie sogleich: Die Art, wie sie den grobschlächtigen Ritter verflucht, vermittelt dem Betrachter Hühnerhaut. Toll sieht im Abendlicht Nayeli Zaugg auf dem Schimmel aus. Die 14-Jährige reitet seit neun Jahren und fühlt sich als Agnes von der Tellenburg absolut wohl. «Das passt, denn ich agiere meistens wie die Ritterstochter selbstsicher und bin etwas stur. Am Anfang war ich in Anbetracht dieser Hauptrolle zwar mega aufgeregt, aber jetzt sehe ich mich bereits familiär integriert.» Nayeli Zaugg hat übrigens zuvor noch nie bei einer Theateraufführung mitgewirkt. «Meine Mutter hat mich darauf aufmerksam gemacht – und nun hats mich erwischt …» Weitere Informationen zum Stück und zum Online-Vorverkauf in unserer Web-Link-Übersicht unter www.frutiglaender.ch/web-links.html Zum Inhalt des Stücks Tellenburg» basiert auf der Sage «Der Ritter von Brandis». Diese ist Teil der Erzählung «Die Wassernot im Emmental von 1837» von Jeremias Gotthelf. In der von Gerhard Schütz umgeschriebenen Fassung steht eine junge Frau im Mittelpunkt: Agnes, die Tochter des Ritters Eberhard von der Tellenburg. Die Lage spitzt sich weiter zu, als die Kander über die Ufer tritt und sich die Talbevölkerung vor den Fluten auf dem Burghügel in Sicherheit bringt. Agnes hilft dort zusammen mit Freundinnen, die Verletzten und Erschöpften zu betreuen. Von der Müllersfamilie hat einzig die Frau überlebt. Sie verflucht in der Folge den Ritter, worunter er dereinst gar nach seinem Tode noch zu leiden haben wird. Doch vorerst geht die Geschichte mit Agnes von der Tellenburg weiter: Sie verlässt ihren Vater und flieht des Nachts auf ihrem Schimmel von der Burg – in ein Kloster, wie sie ausrichten lässt. Ein Abschied für immer? Von wegen …! PRR
Der «Frutigländer» erhielt letzte Woche Zutritt zu einer Theaterprobe und tauchte ein ins mittelalterliche Geschehen, wo sich die Ritter in der Regel hoch zu Ross präsentieren. An diesem Tag aber sind um kurz vor 19 Uhr erst zwei tierische Hauptdarsteller parat: die Vollblutaraber «Mission» von Ernst Wälti und «Quecko» von Susanna Dünner. «Für die Reiterszenen braucht es Pferde, die Publikum und Lärm gewohnt sind», erklärt Wälti. Sein 19-jähriges Ross ist entsprechend ausgebildet. «Mit meinem Braunen habe ich sehr erfolgreich über 2000 Kilometer wettkampfmässiges Distanzreiten bestritten. Dank Barockreiten und Freiheitsdressur – beispielsweise an der BEA – sind wir zudem absolut publikumserprobt.» Dünners prächtiger Schimmel mit ähnlichem Talent ist für Agnes von der Tellenburg (Nayeli Zaugg) bestimmt: «Die beiden Pferde stehen im selben Stall und harmonieren entsprechend gut.»
Unterdessen sind weitere Akteure eingetroffen, unter ihnen Beatrice Rösti (Schminken und Kostüme), die noch ein Tier mitgebracht hat: eine stattliche Wildsau. «Ich habe des Ritters Jagdtrophäe aus Teilen dreier Tiere zusammengesetzt», erklärt Rösti. «Gefüllt und ausgestopft ist das so gut gelungene Ergebnis mit einem speziellen Packpapier.»
Vereins- und OK-Präsident Faustus Furrer sieht nun, wie Produktionsleiter Rolf Schoch und Regisseurin Nathalie Trachsel sowie alle mittlerweile eingetroffenen Theaterleute die beiden erstmals ins Geschehen involvierten Pferde mit Applaus begrüssen. Anschliessend gehts ans gemeinsame Aufwärmtraining: Turn- und Stimmübungen sind angesagt.
Mit der Musik der Spielleute Martin Frick (Laute) und Tochter Melina (Flöte) beginnt jetzt die Probe mit der Szene des auf der Jagd verletzten Ritters. Jammernd und fluchend wird er auf einem Karren zur Burg gebracht. «Im Mittelalter gabs wohl kaum eine Handbremse», stoppt die Regisseurin eine entsprechende Aussage. Der angesprochene weisshaarige Knecht zeigt sich leicht gereizt und meint: «Es het gheisse, mi chönn säge was me wöll – itz ischs wider nid rächt. I gah de öppe hei …» Doch das Geschehen beruhigt sich sofort und es wird konzentriert weitergespielt – selbst als später Regen einsetzt und der Priester wie ein begossener Pudel dasteht. «Alle haben ihre eigene Mentalität und ihr eigenes Temperament, das kommt auch beim Spielen zur Geltung. Wir werden aber immer mehr zu einer grossen Familie», erklärt die Regisseurin.
Während der Ritter seine Knechte, die Bauern und das Volk drangsaliert, liegt ihm einzig sein eigenes Wohl und dasjenige der Tochter am Herzen. Für ihn – seine Frau ist längst tot – steht fest, dass sie einen wohlhabenden Ritter zu Mittelalter kaum etwas zu sagen hatten, entwickelt sich Agnes zunehmend zur Rebellin. Sie sträubt sich gegen die Heiratspläne und erträgt ihres Vaters Zorn und Brutalität nicht mehr. Diese zeigen sich exemplarisch gegenüber dem Müller, der ihm bei der Wildsaujagd eigentlich das Leben gerettet hat. Weil der Ritter beim Kampf mit der kräftigen Sau aber doch an einem Auge verletzt worden ist, lautet sein Befehl: «Auge um Auge – blendet den Müller!»