Arbeiten im Angesicht des Dreigestirns
12.07.2022 RegionHüttenwartIn ist kein offiziell anerkannter Beruf, vielmehr eine Berufung. Wer eine Berghütte führen kann, war oft einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort. So erging es auch der Krattigerin Christine Stalder.
KATHARINA WITTWER
In den Bergen war Christine Stalder ...
HüttenwartIn ist kein offiziell anerkannter Beruf, vielmehr eine Berufung. Wer eine Berghütte führen kann, war oft einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort. So erging es auch der Krattigerin Christine Stalder.
KATHARINA WITTWER
In den Bergen war Christine Stalder schon als Kind mit der JO des SAC Niesen gerne. Klettern sowie Hochgebirgsoder Skitouren liebt sie immer noch, doch diesen Sommer werden ihre sportlichen Tage in alpinem Gelände schnell gezählt sein. Seit diesem Frühling hat sie nämlich vom SAC Lauterbrunnen die Lobhornhütte gepachtet– und hat dadurch keine Zeit mehr für Touren.
Von der Floristin zur Gastgeberin
«Ich habe schon vor vielen Jahren gesagt, ich wolle mal eine Hütte führen. Nun hat es geklappt», erzählt die Krattigerin im engen Ess- und Aufenthaltsraum der Lobhornhütte. Christine, das jüngste von drei Kindern, ging noch zur Schule, als ihre Eltern die Geltenhütte übernahmen. In den Ferien und an manchen Wochenenden half sie dort mit. Nun ist es genau umgekehrt. Ihre Eltern Ueli und Marianne sind inzwischen pensioniert und unterstützen ihre Tochter vor allem an Wochenenden.
Der berufliche Werdegang der 35-Jährigen hat wenig mit dem Gastgewerbe zu tun, ist sie doch ausgebildete Floristin. Die leidenschaftliche Blumenbinderin konnte 2009 sogar an den Berufsweltmeisterschaften in Calgary teilnehmen. Seither amtet sie als Prüfungsexpertin an Lehrabschlussprüfungen und den alle paar Jahre stattfindenden SwissSkills. Auch war sie in dieser Funktion schon an Schweizermeisterschaften tätig. Seit einigen Jahren arbeitet sie als Floristin im Hotel Palace in Gstaad. «In der Frühlingszwischensaison ist das Hotel geschlossen. In dieser Zeit war ich Gehilfin in der Finsteraarhornhütte.» Der Wunsch, selbst eine Hütte zu übernehmen, wurde immer grösser. «Mir war klar, dass es eine im Grünen sein muss – irgendwo, wo ringsum Blumen blühen.» Um gewappnet zu sein, absolvierte sie während der Corona-Zeit schon einmal den Hüttenwartkurs des SAC.
«Die erste grosse Bestellung war eine Herausforderung»
Eigentlich wollte Christine Stalder ihre neue Aufgabe langsam angehen und im Mai bloss an den Wochenenden öffnen. Wegen des schönen Wetters gingen jedoch viele Buchungsanfragen für werktags ein, sodass sie von Beginn an durchgehend für die Gäste da war. «Unter der Woche war ich meistens alleine. So konnte ich mich langsam eingewöhnen.» Über die Auffahrts- und Pfingstwochenenden und seit Beginn der Sommerferien herrscht Hochbetrieb. Familienangehörige und Freunde kommen für je zwei oder mehrere Tage zum Helfen. Die Saisonangestellte – eine gelernte Köchin – trat ihre Stelle Mitte Juni an.
Ein Blick in die Speisekarte überrascht. Die Auswahl an Mittagsverpflegung und Getränken ist gross, obwohl Helikopterflüge teuer sind und das Gewicht pro Rotation beschränkt ist.
Von Mutter Stalder eigenhändig angesetzter Holundersirup und sogar aufgebrühter Chai Latte (indischer Gewürztee mit Milch) sind zu haben. «Chai ist eine Herzensangelegenheit – ich trinke ihn nämlich sehr gerne. Punkto Zubereitung gibt es noch Optimierungspotenzial», schmunzelt Christine Stalder. Ihre Liebe zum Detail – zum Beispiel ein frisches Minzblatt aus dem hauseigenen Kräutergärtlein im Sirupglas – passt nicht so recht zu einem rationellen Tagesablauf. «In dieser Beziehung muss ich wohl noch einiges lernen.»
Die Abendmenus für die maximal 24 Übernachtungsgäste sind einfach, aber deftig. Je nach Stand der Vorräte wird rollend geplant. Geht etwas aus – was bei den Getränken bereits vorgekommen ist – kommt der Hüttenwartin die Kreativität zugute. «Die erste grosse Bestellung war eine Herausforderung. Ich hatte keine Ahnung, wie viel ich wovon benötige. Von meinen Vorgängern hatte ich zwar Anhaltspunkte erhalten, doch die Wünsche der Gäste sind nicht absehbar.»
Platzverhältnisse lassen keine Privatsphäre zu
Die Lobhornhütte mit ihrer einmaligen Aussicht auf Eiger, Mönch, Jungfrau und Co. ist zu Fuss von verschiedenen Seiten her gut erreichbar. Die Gegend mit dem malerischen Sulsseewli gilt als Kraftort. Kein Wunder, dass auf der Terrasse viele Passanten einkehren. In den äusserst engen Platzverhältnissen zu arbeiten, ist allerdings nicht jedermanns Sache. Jede noch so kleine Ecke ist mit Vorräten besetzt. Abstellflächen fehlen fast gänzlich. Alles, was nicht mehr benötigt wird, muss umgehend zurückgestellt werden. In der Küche gibt es kaum Platz – auch nicht für den Holzvorrat (gekocht wird hier mehrheitlich mit einheimischer Energie).
In der «Dependance» hat die Hüttenwartin ihr eigenes Zimmerchen, das sie in der Hochsaison mit einer Angestellten teilen wird. «Privatsphäre gibt es hier nicht, das muss man schon aushalten können. Im Aufenthaltsraum hören die Gäste, was wir in der Küche reden und umgekehrt», so Stalder. Die Nähe habe jedoch zweifellos auch ihr Gutes: «Es ergeben sich wertvolle Begegnungen und schöne Gespräche. Die Gäste geben mir viel!»
Ein Wandervorschlag
Im Zusammenhang mit der Lobhornhütte hat «Frutigländer»- Kolumnistin Yvonne Schmoker folgenden Wandertipp auf Lager: «Eine Überschreitung vom Saxettal über den Bällenhöchst ins Lauterbrunnental ist kombinierbar mit dem Besuch der Lobhornhütte – sei es für eine Übernachtung oder auch nur einen Zvieristopp. Mit dem Postauto erreicht man Saxeten und wandert zuerst gemütlich durch den Chratzeren-Wald, bevor es steil bergan durch die Schlipfwengen über Usserbällen zum Bällenhöchst geht. Der Abstecher zum Gipfel ist fast ein Muss, bietet er doch eine sagenhafte Aussicht über den Thuner- und Brienzersee bis übers Mittelland hin zum Jura und auf der anderen Seite auf die markanten Kalkbuckel der Lobhörner, Schwalmeren und auf die hohen Berge der Berner Alpen. Der Abstieg durch den schroffen Tschingel-Kessel unter der Sulegg durch führt dann schon bald vorbei am Sulsseewli zur wunderschön gelegenen Lobhornhütte. (Wer eine Hüttenübernachtung plant, wandert am zweiten Tag durch das einsame Saustal und über das Bietenhorn nach Mürren.) Nach Sulwald gelangt man über einen teils steilen alten Zügelweg. Mit der Luftseilbahn oder mit dem Trottinett erreicht man schliesslich Isenfluh, von wo aus man mit dem Postauto wieder nach Interlaken gelangt.
Streckenzusammenfassung: 1200 Höhenmeter Aufstieg / 800 hm Abstieg; 5 Stunden.»
REDAKTION / YVONNE SCHMOKER