92 Seiten voller Vorschläge
08.09.2023 PolitikAGRARPOLITIK Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) hat seine Klimastrategie überarbeitet und dazu zwei weitere Bundesbehörden mit ins Boot geholt. Im Fokus des Konzeptpapiers steht die Ernährung – aber auch die Förderung widerstandsfähiger Pflanzen und ...
AGRARPOLITIK Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) hat seine Klimastrategie überarbeitet und dazu zwei weitere Bundesbehörden mit ins Boot geholt. Im Fokus des Konzeptpapiers steht die Ernährung – aber auch die Förderung widerstandsfähiger Pflanzen und der erneuerbaren Energien. Bindend ist bislang nichts davon.
BIANCA HÜSING
Die Klimastrategie 2050 zeigte Wirkung, bevor sie überhaupt veröffentlicht wurde – allerdings nicht in der von den Urhebern beabsichtigten Weise. Schon vor drei Wochen lag der «NZZ am Sonntag» offenbar ein Entwurf des 92-seitigen Papiers vor, das die Bundesämter für Landwirtschaft, für Umwelt (BAFU) und Lebensmittelsicherheit (BLV) gemeinsam erarbeitet hatten. «Der Bund plant die grosse Vegi-Offensive», titelte die Zeitung daraufhin: Die Bevölkerung solle weniger Fleisch essen und die Landwirtschaft weniger Vieh halten.
Kaum war die Nachricht in der Welt, schlug sie erwartbar hohe Wellen. Von «Blick» bis «Weltwoche» schrieben alle mehr oder weniger bei der «NZZ» ab. Der Schweizer Bauernverband witterte eine «Umerziehung» durch den Staat – und der Grossteil der vielen Online-Kommentare zum Thema stiess ins gleiche Horn.
So hatten sich BLW, BAFU und BLV die Reaktion auf ihre Arbeit wohl nicht vorgestellt. Kein Wunder, dass sie das Thema Fleisch am letzten Dienstag an einer Medienorientierung zur Klimastrategie lieber nicht zu prominent ansprachen.
Die Empfehlungen sind nicht neu
Stattdessen betonten sie vor allem eines: Gemeinsamkeit. Etwas grundlegend Neues sei die Klimastrategie nicht, vielmehr sei sie eine Weiterentwicklung der letzten Version von 2011. Das Besondere am neuen Dokument ist laut BLW-Direktor Christian Hofer, dass drei Bundesbehörden daran mitgewirkt hätten und überdies zahlreiche Anspruchsgruppen involviert gewesen seien – von Zulieferern und Produzenten über Umweltschützer bis hin zu den Grossverteilern. Die Klimastrategie 2050 nehme also nicht allein die Landwirtschaft in den Blick, sondern «das gesamte Ernährungssystem». Denn mit ihrem Lebensmittelkonsum tragen die Privathaushalte entscheidend zum schweizerischen Treibhausgasausstoss bei, mehr noch als der Verkehr. Ziel der Strategie ist es deshalb, nicht nur die Emissionen der Landwirtschaft um 40 Prozent zu senken, sondern auch jene der «Ernährung pro Kopf» um 67 Prozent. Die Grundlagen dafür wären im Prinzip sogar schon da. «Würden sich alle an die Empfehlungen der Lebensmittelpyramide halten, könnten die Emissionen um 50 Prozent reduziert werden», meinte der ebenfalls anwesende BLV-Vizedirektor Michael Beer – und kam damit doch noch aufs Fleisch und die im Vorfeld losgetretene Diskussion zu sprechen. «Die Empfehlung lag immer schon bei zwei bis drei Portionen pro Woche. Das hat aber leider nichts daran geändert, dass wir dreimal zu viel Fleisch essen.» Eine Reduktion wäre Beer zufolge gut für Gesundheit und Natur. Entsprechend den Zielen der Klimastrategie soll denn auch die Lebensmittelpyramide angepasst und um das Kriterium «Nachhaltigkeit» ergänzt werden.
«Keine Vorschriften»
Es geht also tatsächlich um Fleisch bzw. um den Verzicht darauf – aber eben nicht nur. Das Massnahmenpaket umfasst zum Beispiel auch die Erforschung und Förderung resilienter (also widerstandfähiger) Pflanzensorten, die mit dem veränderten Klima und dem wachsenden Schädlingsdruck besser zurechtkommen. Auch der Umgang mit Wasser und die Verfügbarkeit des knapper werdenden Guts sind Teil der Klimastrategie 2050. So soll etwa ein Leitfaden für die Planung und Subventionierung von Bewässerungsprojekten entstehen.
Zudem sollen erneuerbare Energien gefördert und eine betriebliche Energieberatung etabliert werden.
Was das Erreichen der drei Ober- und acht Teilziele angeht, setzen die Verantwortlichen vor allem auf Information und Sensibilisierung. Viel mehr können sie als Behörden auch nicht tun: Dafür, die Massnahmen in Gesetze zu giessen, wäre die Politik verantwortlich. Trotzdem betonte Christian Hofer noch einmal, dass es «keine Vorschriften» gebe, die «Tierhaltung weiterhin wichtig» sei und man auf die Eigenverantwortung und die Motivation der Beteiligten ziele.
«Insgesamt recht überzeugt»
Zu diesen Beteiligten zählt zum Beispiel die Nahrungsmittelindustrie. Als deren Vertreter äusserte sich Lorenz Hirt positiv zur Klimastrategie. Er werde «zwar nicht jedes Detail bejubeln», sei aber insgesamt «recht überzeugt vom Ergebnis». Lukas Kilcher, künftiger Direktor der landwirtschaftlichen Beratungszentrale Agridea, bezeichnete das Papier als «wertvollen Meilenstein zum Weitermachen» und hob seinerseits die branchenund behördenübergreifende Zusammenarbeit hervor. Nicole Ramsebner lobte im Namen der Vereinigung IP-Suisse «die klaren Worte der Klimastrategie, dass ein grosser Teil der Verantwortung im Handel und beim Konsumenten zu suchen sind». Wenn man etwa die Anzahl der Tiere auf den Betrieben reduziere, so müsste das Fleisch entsprechend mehr kosten – und der Konsument bereit sein, diesen Preis zu zahlen.
Unterschiedliches Echo
So einig sich die Beteiligten am Dienstag zeigten, so vielstimmig sind die Reaktionen nach der Veröffentlichung der Klimastrategie. Der Schweizer Bauernverband begrüsst zwar, dass bei den Themen Wasserzugang und Zucht auch eine Anpassung ans Klima vorgesehen sei. Kritisch sieht er hingegen den Versuch, den «Konsum zu lenken» und die Tierhaltung zu beschränken. Die Kleinbauernvereinigung und der Tierschutzverband Animal Rights halten die vorgeschlagenen Massnahmen für unzureichend. Überwiegend positiv äussern sich hingegen die Agrarallianz und die kantonalen Landwirtschaftsdirektoren.
Die vollständige «Klimastrategie Landwirtschaft und Ernährung 2050» finden Sie auf unserer Website www.frutiglaender.ch unter «Web-Links».