Lange Brücke, lange Bewilligungszeit

  13.06.2023 Frutigen

WILLINGEN (DE) Im Laufe des Jahres soll die längste Fussgängerhängebrücke Deutschlands eröffnet werden. Gebaut wird sie von der Firma Swissrope AG aus Frutigen, mehrere andere Unternehmen aus der Region sind an dem Projekt beteiligt. Der «Frutigländer» hat die Baustelle Mitte Mai exklusiv besuchen können.

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KATHARINA WITTWER
Die Frutiger Firma Swissrope von Theo und Kevin Lauber sowie Etienne Supersaxo hat schon mehrere Hängebrücken gebaut und ist weltweit führend in dieser Branche. Vor nunmehr fünf Jahren erhielt sie den Auftrag, im deutschen Willingen (Bundesland Hessen, nahe der Grenze zu Nordrhein-Westfalen) die damals längste geplante Fussgängerhängebrücke zu bauen.* «Unsere Auftraggeber drängten», erzählt Juniorchef Kevin Lauber Mitte Mai auf der Baustelle. «Wir sollten so rasch wie möglich mit den Vorarbeiten beginnen.»

Langwieriges Bewilligungsverfahren
Ganz so schnell konnten die Brückenbauer dann dann aber doch nicht loslegen. «Wir haben zweifellos ausreichend Erfahrung und waren überzeugt von unseren Berechnungen», so Lauber. Auch hatte die Firma bereits im Schwarzwald eine – allerdings deutlich kürzere Hängebrücke – gebaut. «All das bedeutete aber noch lange nicht, dass auch das Projekt im hessischen Sauerland einfach so möglich war.» Als Bremsklotz erwies sich vor allem die deutsche Bürokratie. Unzählige Stellen und Ämter mussten ins Bewilligungsverfahren einbezogen werden – und alle beschritten dabei Neuland. Immerhin: Mit der Zeit wuchsen das Verständnis für die ungewohnte Materie und das Vertrauen in das Können der Schweizer.

Bevor ein Tunnel, eine Bergbahn oder eine Hängebrücke gebaut werden kann, muss die Beschaffenheit des Untergrundes bekannt sein. 2019 führte die Firma Burn Spezialbau AG aus Adelboden in Deutschland Sondierbohrungen durch. Zum Vorschein kam solides Schiefergestein. Doch erst zwei Jahre später wurde eine provisorische Baubewilligung erteilt, die das Ausführen der ersten Arbeiten ermöglichte. Eine Handvoll Burn-Spezialisten war ab Februar 2022 im Sauerland an der Arbeit. Während dreier Monate wurde gebohrt, gepfählt, Verankerungen wurden angebracht und die Fundamente betoniert.

Arbeit für «harte Kerle»
Die Behörden zweifelten, ob die vorgesehenen vier Tragseile mit einem Durchmesser von je 70 mm dem Eigengewicht der Brücke und den Windböen standhalten würden. «Also mussten wir neue Berechnungen erstellen und spezielle Klemmen entwickeln», erzählt Kevin Lauber.
Im Spätsommer letzten Jahres installierte die Zurbrügg Seilbahnen und Montagen GmbH aus Frutigen die Tragseile. In der Schweiz wird das erste, dünne Seil oft mit einem Helikopter von einer Talseite zur anderen geflogen. Wegen der geringeren Helikopterdichte und der grösseren Distanzen zum nächsten Standort wäre ein solcher Flug in Deutschland kaum finanzierbar gewesen. Deshalb wurde ein Kunststoffseil von 5 mm Durchmesser zu Fuss durch das Tal gezogen.

Nachdem im Dezember 2022 endlich die definitive Baubewilligung erteilt worden war, hätte die Montage noch vor Weihnachten beginnen sollen. Weil jedoch zu viel Schnee lag, musste der Start verschoben werden.

Seit dem 27. März 2023 sind nun acht «harte Kerle» – teilweise von anderen Firmen «angemietet» – in Willingen tätig. Die drei Fahrzeuge beim Bauinstallationsplatz verraten, woher die Spezialisten kommen: Bern, Wallis und Obwalden. Rotierend während jeweils zwei Wochen sind sie täglich zehn Stunden in luftiger Höhe beschäftigt. Anschliessend gehts jeweils für ein verlängertes Wochenende nach Hause.

Die Sicherheitsausrüstung der Arbeiter wiegt inklusive Helm zehn Kilogramm. Mit Werkzeug und Material schleppen die schwindelfreien Männer bis zu 30 Kilogramm Gewicht mit sich und müssen damit auch arbeiten.

Überrannt von Fernsehstationen
Der Bau der besonderen Brücke erweckte grosse mediale Aufmerksamkeit. «Wegen der unzähligen Anfragen von Fernsehstationen mussten wir einen Pressestopp verhängen.» Man sei schliesslich zum Arbeiten vor Ort und wolle nicht ständig für Medientermine unterbrochen werden. «Beim ‹Frutigländer› machen wir hingegen gerne eine Ausnahme», grinst Kevin Lauber.

Auch wenn er zu Hause ist, kann der junge Fachmann selten auf der faulen Haut liegen. Als Baustellenleiter ist er dafür verantwortlich, dass das notwendige Material rechtzeitig angeliefert wird, die Rapporte nachgeführt werden und Reparaturen am eigenen Werkzeug und Material erledigt sind. Noch ist ungewiss, wann die Hängebrücke eröffnet werden kann – sollte die Abnahme durch die verschiedenen Prüfer so lange dauern wie das Bewilligungsverfahren, bestimmt nicht vor Herbst 2023.

* Während der Planungsphase wurde in Tschechien eine noch ewas längere Fussgängerhängebrücke gebaut.

Mehr Infos über Willingen und den Brückenbau, darunter zwei TV-Beiträge, finden Sie unter www.frutiglaender.ch in der Rubrik Web-Links.


«Das besondere Naturerlebnis»

Mit diesem Slogan wirbt Willingen Tourismus bereits für den «Skywalk» (Himmelsspaziergang), der im Lauf dieses Jahres eröffnet werden soll. Die Hängebrücke verbindet den Ettelsberg mit dem komplett bewaldeten Musenberg auf der gegenüberliegenden Seite des Strycktals. Ein- oder Ausstieg ist beim Startplatz zur Mühlenkopfschanze – der höchsten Skisprungschanze der Welt. (Noch grössere Schanzen sind allerdings in der Kategorie der Skiflugschanzen zu finden.)

Daten zur Hängebrücke:
Länge 668 Meter
Höhe über Talboden 100 m
Höhe ü. M. 738 m
Gewicht 120 Tonnen
Kosten rund 4 Millionen Euro
Preis Passage p. P. voraussichtlich 11 Euro

WI


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