Neun Nationalratskandidaten lieferten sich am Dienstagabend im «Adler» ein leidenschaftliches Wortgefecht zur Rente, zum Klima und zur EU. Dabei verschwammen zum Teil die Parteigrenzen.

BIANCA HÜSING
Was bringt eine überparteiliche Podiumsdiskussion wenige Wochen vor der Nationalratswahl? Eine der rund 70 Besucherinnen hat für sich selbst nach dem Anlass eine eher ernüchternde Antwort gefunden: «Man geht mit einer Meinung hin und kehrt mit derselben Meinung wieder heim.» Nicht so pessimistisch sahen das die Frutiger Ortsparteien, die das Podium gemeinsam organisiert hatten. Statt sich allein auf den eigenen Wahlkampf zu konzentrieren, gaben sie den Bürgern die Chance, einen Überblick über die politische Bandbreite zu gewinnen und «ihre» Kandidaten im Streitgespräch mit den Kontrahenten zu erleben. Dass sich dabei einige schlagfertiger zeigten als andere, lag in der Natur der Sache – sowohl langjährige Politiker als auch Neulinge traten gleichberechtigt gegeneinander an und stellten sich dem kritischen Publikum.

Vertreten waren alle Parteien, von denen es Ableger in Frutigen gibt (EDU, EVP, GLP, SP, SVP) mit je zwei Kandidat-Innen – bis auf die FDP, die der Einladung nicht gefolgt war.

«Überschätztes Thema mit Angstmacherei auf beiden Seiten?»
Es war vor allem der Struktur des Podiums zu verdanken, dass die Diskussion trotz der grossen Teilnehmerzahl nicht aus dem Ruder lief. Zu den drei 25-minütigen Themenblöcken Klimawandel, Rahmenabkommen und Rentenpolitik wurden immer nur fünf Vertreter gleichzeitig in die «Arena» geschickt. Die anderen Parteienvertreter sassen im Hintergrund, hielten sich aber stets bereit für Zwischenrufe. Nur einer musste ohne Ablöse durchdiskutieren: Der Spiezer EVP-Grossrat Markus Wenger. Sein Frutiger Parteikollege Hans Peter Bach war krankheitsbedingt ausgefallen.
Doch nicht nur die ungewöhnliche Form der Polit-Stafette sorgte für Ordnung. Moderator Toni Koller leistete in dieser Hinsicht ebenfalls ganze Arbeit. Wenn die Antwort eines Kandidaten dessen Partei-DNA zu widersprechen schien, hakte Koller nach. Von der SP wollte er zum Beispiel wissen, wie sie ihren sozialpolitischen Anspruch mit teuren Klimaschutzmassnahmen vereinbaren will. Auch mit Falschbehauptungen liess der Moderator niemanden davonkommen. So wies er SVP und EDU darauf hin, dass das umstrittene Rahmenabkommen mit der EU keine automatische, sondern eine dynamische Rechtsübernahme beinhalte und dass über Streitfragen nicht der Europäische Gerichtshof, sondern ein Schiedsgericht unter Beteiligung Schweizer Richter entscheiden werde.

Und manchmal schoss der einstige Radio-Profi auch in beide Richtungen zugleich: «Ist das Rahmenabkommen nicht ein überschätztes Thema mit Angstmacherei auf beiden Seiten?» Die Linken würden das Ende des Wohlstands heraufbeschwören, wenn kein Vertrag zustande komme. Die Rechten hingegen sähen gleich die Schweizer Demokratie in Gefahr, wenn das Abkommen durchkomme. So musste denn auch der Adelbodner Grossrat Jakob Schwarz (EDU) einräumen: Das Thema sei viel zu komplex, als dass schon jetzt klar wäre, wie es am Ende wirklich rauskomme.

Plötzlich sind fast alle grün
Trotz der gut geführten Debatte war es nicht ganz einfach, die Parteien entlang klassischer Konfliktlinien zu unterscheiden. Zwar fielen eindeutig zuordenbare Schlagworte wie «Zuwanderung» (SVP) und «Umverteilung» (SP). Doch beim Thema Klimaschutz war es die bürgerliche EDU, die den Anwalt der Ärmeren gab und daran erinnerte, dass sich nicht jeder eine neue Heizung oder eine Fotovoltaikanlage leisten könne. Die Sozialdemokraten hingegen klangen stellenweise wie die Grünen: «Das Klima nimmt keine Rücksicht darauf, wie weit die Schweiz mit ihren Massnahmen ist» (Vanessa Bieri).
Überhaupt scheint nahezu jede Partei die Klimapolitik für sich entdeckt zu haben – zumindest im Vorfeld der Wahl, wie die Diskutanten sich gegenseitig vorwarfen. Besonders engagiert legte sich Markus Wenger für den Klimaschutz ins Zeug – obwohl die EVP bislang nicht gerade als die klassische Umweltpartei bekannt war. Im Gegensatz zur GLP, die auch an diesem Abend ihre Programmatik vom wirtschaftlich verträglichen Klimaschutz verteidigte. Die EDU-Vertreter verorten ihr Engagement für den Planeten eher auf privater Ebene und halten nicht viel von Zwang. Die SVP bezeichnete das Thema zwar als Hype, kam aber gleichwohl nicht ganz umhin, sich damit zu profilieren. Seit Jahrzehnten setze sich die Partei für Wald und Boden ein, meinte der Weissenburger Grossrat Thomas Knutti.

Auch in Sachen Rentenpolitik herrschte erstaunliche Einigkeit. Auf die Löcher in der AHV-Kasse würden fast alle Parteien mit einer flexiblen Erhöhung des Rentenalters reagieren – bis auf die SP, die in dieser Frage ihrer Linie treu bleibt und das Geld durch Reichensteuer und Nationalbankengewinne auftreiben will.

Selbstloser Einsatz für die Partei?
Nach mehr als 90 Minuten ging ein leidenschaftlicher, insgesamt aber fairer Schlagabtausch zu Ende. Im Anschluss mussten die Politiker noch auf die teils hitzigen Beiträge aus dem Publikum reagieren – etwa zu höheren Benzinpreisen, zum Wasserzins oder gar zum Kommunismus. Moderator Toni Koller sprach denn auch von einem «guten, aber nicht wahnsinnig harmonischen Abschluss».

Insofern hat die Veranstaltung ihr Ziel erreicht: Zur Diskussion anzuregen – und im Idealfall auch zum Wählen. Dass sich einer der hier vorgestellten Politiker durchsetzen wird, ist indes unwahrscheinlich. Für die 24 Berner Sitze im Nationalrat bewerben sich 651 Kandidat-Innen. Zieht man die Sitze der Bisherigen ab, bleiben sogar nur noch zwei. Umso bemerkenswerter ist es, wie passioniert sich die Teilnehmer des Frutiger Podiums für ihre Parteien eingesetzt haben.

Die DiskutantInnen im Überblick (alphabetisch)

Als Holz- und Solarbauunternehmer bewegt sich Marc Allenbach (GLP) zwischen Pragmatismus und Idealismus. Das Kernanliegen des 43-Jährigen Reichenbachers ist es denn auch, den Klimaschutz mit Wirtschaftsinteressen in Einklang zu bringen.

Seit Kurzem steht Vanessa Bieri der SP Frutigland vor. Trotz ihrer noch jungen politischen Karriere gibt sich die 23-Jährige selbstbewusst: Sie will die Mehrheitsverhältnisse im Nationalrat ändern und für Umweltschutz und Geschlechtergerechtigkeit kämpfen.

Ueli Egger (61) ist kurzerhand für Ursula Zybach eingesprungen. Der Hünibacher ist Co-Präsident der SP Kanton Bern und hat unter anderem als Lehrer in Frutigen gearbeitet. Sein Ziel: Die bürgerliche Mehrheit stürzen sowie faire Renten und Löhne etablieren.

Andreas Gafner will den Einsatz von Pestitziden in der Landwirtschaft weiter reduzieren – darauf achtet der einstige Oberwiler EDU- Gemeindepräsident auch in seinem eigenen Betrieb. Ausserdem plädiert der 48-Jährige für eine Stärkung von Familien.

Politisiert wurde Annelies Grossen (49, GLP) 1986 durch das Reaktorunglück von Tschernobyl. Heute sieht die Frutiger Gemeinderätin im Klimawandel die grösste Bedrohung und erwartet daher einen sorgsameren Umgang mit der Natur.

Im Grossen Rat setzt sich Thomas Knutti (SVP) für eine Gleichstellung ländlicher Gemeinden und gegen den Wolf ein. Ein Kernthema ist für den 46-jährigen Weissenburger ausserdem die Zuwanderung. Sein Credo: «Die Schweiz muss die Schweiz bleiben.»

Grossrat Jakob Schwarz (EDU) setzt in Sachen Klimapolitik auf Eigenverantwortung. Der 53-jährige Adelbodner will zudem das Raumplanungsgesetz stärker an die Bedürfnisse der Landbevölkerung anpassen und die sogenannte Heiratsstrafe abschaffen.

Für den «Erhalt der Schöpfung» macht sich der Spiezer Grossrat Markus Wenger (62, EVP) stark und fordert mehr Massnahmen gegen den Klimawandel. In seinem Fensterbau-Unternehmen setzt er auf regionale Produkte und Chancengleichheit.

Fabian Wyssen gehört dem Vorstand der Jungen SVP Kanton Bern an. Der 20-jährige Frutiger stellt sich gegen das Rahmenabkommen mit der EU sowie gegen Asyl- und Sozialhilfemissbrauch. Ausserdem steht er «ein für die ältere Generation, die unser Land gross gemacht hat».

Mehr Informationen über die Nationalratskandidierenden finden Sie in unserer Web-Link-Übersicht unter www.frutiglaender.ch/web-links.html

Ein politischer Stafettenlauf

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