Alle sollen Verantwortung übernehmen
14.10.2022 LandwirtschaftDas Schweizer Stimmvolk hat der Massentierhaltungsinitiative (MTI) mit 62 Prozent Nein-Stimmen eine klare Absage erteilt. Über eine Million Ja-Stimmen zeigten jedoch auch, dass das Anliegen grundsätzlich einige Sympathien geniesst. Der Schweizer Bauernverband plädiert nun ...
Das Schweizer Stimmvolk hat der Massentierhaltungsinitiative (MTI) mit 62 Prozent Nein-Stimmen eine klare Absage erteilt. Über eine Million Ja-Stimmen zeigten jedoch auch, dass das Anliegen grundsätzlich einige Sympathien geniesst. Der Schweizer Bauernverband plädiert nun für eine ganzheitliche E rnährungspolitik. Die Befürworter der Initiative wollen Grossverteiler stärker in die Pflicht nehmen.
An der Urne entschieden die Schweizer Stimmberechtigten am 25. September, wie Schweizer Bäuerinnen und Bauern in Zukunft mit ihren Nutztieren umzugehen haben. Die hiesige Landwirtschaft degeneriere zu einer bodenunabhängigen industriellen Tierproduktion mit viel zu hohen Stickstoffemissionen – so hatten die Initianten argumentiert. Das Futter insbesondere von Hühnern und Schweinen müsse auf den bereits knappen Ackerflächen zusätzlich produziert werden. Entsprechend sollte die Initiative den Weg für eine Schweizer Landwirtschaft bereiten, die den Bedürfnissen der Tiere Rechnung trage und gleichzeitig die natürlichen Ressourcen schone.
Tierwohl-Labels mit tiefen Marktanteil
Die Gegner monierten stets, die Initiative gefährde die Versorgungssicherheit der Schweiz, eine geringere eigene Produktion würde die Abhängigkeit vom Ausland noch vergrössern. Mit einem Nein zur Initiative helfe man dagegen, die Versorgung der Schweiz mit einheimischen Lebensmitteln zu sichern. Das Land verfüge schon heute über ein einzigartig strenges Tierschutzgesetz und die Konsumentinnen und Konsumenten hätten bereits die Wahl, sich an der Ladenkasse für mehr Tierwohl zu entscheiden. Sie würden diese Möglichkeit aber nur begrenzt nutzen. Sprich: Die entsprechenden Labels hätten nach wie vor einen sehr tiefen Marktanteil. Das Abstimmungsresultat fiel schliesslich recht deutlich aus: Fast 1,8 Millionen Stimmberechtigte lehnten die Initiative ab. Dagegen legten 1,06 Millionen Stimmberechtigte ein Ja in die Urne.
66 Prozent Ja-Stimmen in Bern
Die Initiative scheiterte indes nicht nur am Volkswillen, sondern bereits am Ständemehr. 25 Kantone lehnten die Massentierhaltungsinitiative ab – einzig im Halbkanton Basel-Stadt gab es ein Ja für das Anliegen.
Wie so oft bei Landwirtschaftsinitiativen offenbarte die Abstimmung einen Stadt-Land-Graben: In den Städten Zürich, Genf und Lausanne betrug der Ja-Anteil jeweils 53 Prozent, in Luzern sogar 54 Prozent. Am grössten war die Zustimmung mit 66 Prozent in der Stadt Bern.
Das Anliegen ist nicht begraben
Sowohl Befürworter als auch Gegner sind sich bewusst, dass die Diskussionen rund um Tierhaltung und Tierproduktion in der Schweiz so schnell nicht abreissen werden. Beide Lager sehen dies aber auch als Chance. So liess der Schweizer Bauernverband verlauten, dass sich Bio-Lebensmittel und andere tierfreundliche Labels über eine markante Steigerung des Absatzes bei tierischen Produkten freuen dürfen. Zahlreiche Bauernbetriebe würden wohl ihre Tierhaltung umstellen, wenn alle Ja-Stimmenden das entsprechende Angebot in Zukunft auch nutzen würden. Die Ablehnung der Massentierhaltungsinitiative sei insofern auch eine Chance, den Worten Taten folgen zu lassen. Die Schweizer Landwirtschaft stehe bereit, die dafür nötigen Bestellungen zu liefern.
Die Verantwortung der Grossverteiler
Auch die Befürworter an vorderster Front betonten, der öffentliche Diskurs zur Initiative habe gezeigt, dass es Zeit sei für eine progressive Agrarpolitik – eine Politik, welche auch die Bedürfnisse der Tiere in der Landwirtschaft konsequent sicherstelle. Der aktuelle Stand sei mit der Abstimmung zwar zementiert worden, vielfach habe man an den Problemen in den Schweizer Ställen vorbeipolitisiert. Mit der Kampagne sei aber auch ein längst überfälliger Dialog in Gang gekommen. Auch die Schweizer Landwirtschaft sei nun angehalten, den beschönigenden Behauptungen zur Tierhaltung Taten folgen zu lassen. Zudem müssten in Zukunft vermehrt die Grossverteiler in die Pflicht genommen werden und ihre Verantwortung stärker wahrnehmen. Als Schnittstelle zum Konsumenten könnten sie massgeblich zu einer Veränderung beitragen.
RENATE HODEL, LID.CH / REDAKTION