Briefe und Päckli zwischen Motorsäge und Fadenmäher
26.08.2025 Reichenbach, KientalArbeitskleider, Motorsägen und Fadenmäher: Vieles leuchtet in knalligem Orange in der Wolf AG Reichenbach. Und zwischen all diesen Motoren und Maschinen blitzt ein wenig Gelb hervor: der neue Postschalter! Der gelbe Riese ist hier für die Kunden auf nicht mal einen ...
Arbeitskleider, Motorsägen und Fadenmäher: Vieles leuchtet in knalligem Orange in der Wolf AG Reichenbach. Und zwischen all diesen Motoren und Maschinen blitzt ein wenig Gelb hervor: der neue Postschalter! Der gelbe Riese ist hier für die Kunden auf nicht mal einen Quadratmeter geschrumpft. Wie verlief der Start in der neuen Partnerfiliale der Post? Ein Augenschein nach den ersten zwei Wochen.
RACHEL HONEGGER
«Ist das hier die Post?», fragt eine Kundin, welche die Wolf AG beim Bahnhof Reichenbach betritt. Tabea Ryter bejaht mit einem Strahlen. Für die Verkäuferin im Fachgeschäft für Motorgeräte und Kleinmaschinen ist das zusätzliche Angebot ihres Arbeitgebers ein Gewinn: «Für mich ist es nichts Neues, ich habe schon mal in einem Geschäft gearbeitet, welches eine Partner!liale der Post war.» Noch gilt es allerdings, gewisse Herausforderungen zu bewältigen.
Während Tabea Ryter geduldig dem einen Kunden einen Fadenmäher erklärt, wartet der andere schon beim Postschalter.
«Wenn wir mitten in einem Beratungsgespräch sind – bei uns als Fachgeschäft, da braucht es manchmal intensivere Beratung – und dann alle gleichzeitig kommen, da müssen wir noch reinwachsen, wie dies zu organisieren ist.» Aber grundsätzlich bringe der Postschalter vor allem Abwechslung in den Alltag und sei eine Bereicherung. Nun wird der Postkunde bedient.
Joni Ryter, die Namensverwandtschaft ist Zufall, betont zwar, dass er nur selten zur Post müsse. Und trotzdem bedauert er die Schliessung: «Bis jetzt konnte man gäng an den einen Ort im Dorf, um alles zu erledigen. Nun muss man noch in die andere Ecke ‹secklen›. Es wird alles nur noch kleiner, die Firmen wollen ihr Geld an anderen Orten einsetzen statt für den normalen Bürger. Aber wenn das für sie passt, wird das hier wohl schon funktionieren. Die Frage ist nur: Wie lange?» Er habe bis heute nicht gewusst, dass die neue Partner!liale bei der Wolf AG zu !nden ist. Das habe er erst realisiert, als er vor der alten Post stand und diese geschlossen war. Den Informationsflyer im Briefkasten, den hat Ryter nicht erhalten, sagt er. Sonst hätte er ihn bestimmt gesehen.
Noch herrscht Verwirrung im Dorf
Ähnlich scheint es auch anderen Dorfbewohnern zu ergehen. Der Flyer wurde wohl von vielen als Werbung taxiert und gar nicht beachtet. Dies bekommt nun Andrea Mägert, Inhaberin der Dorfpapeterie, zu spüren. Ihr Geschäft an der Bahnhofstrasse 20 hat die gleiche Hausnummer wie die Wolf AG an der Hauptstrasse 20. Und so wurde sie in der ersten Zeit nach der Postschliessung nahezu überrannt: «Die erste Woche war ein extremes Aufkommen hier, alle haben die Post bei mir gesucht und gedacht, es sei naheliegend, dass ich diese Aufgabe übernommen habe. Immer wieder auf’s Neue zu erklären: Nein, es ist nicht hier, es ist bei der Wolf AG, das war ärgerlich. Dummerweise ist die auch noch nicht beschriftet, es sieht niemand von weitem, dass dort jetzt die Post ist.»
Tatsächlich fehlen Leuchtschrift und Schilder der Post. Weil die Hauptstrasse in Kantonshoheit liegt, braucht es eine Baubewilligung für die Beschilderung. Und diese Bewilligung ist immer noch ausstehend.
Andrea Mägert bedauert ausserdem, dass der neue Schalter nun unten beim Bahnhof ist und nicht in ihrer Nähe. Sie hätte es begrüsst, wenn die Gemeinde den Service übernommen hätte. Etwas bereitet ihr nämlich Sorge: «Viele Frutiger kamen hier zur Post, weil die Parkmöglichkeiten praktisch waren. Und wenn sie dann sowieso hier waren, haben diese Leute auch ihre Einkäufe in der Bahnhofstrasse erledigt.» Mägert befürchtet, dass diese Kunden wegfallen, jetzt wo es nur noch eine Partner!liale gibt.
Die Schliessung war nicht abzuwenden
Sie selbst hätte in ihrer Papeterie die Postdienstleistung gerne angeboten. Allerdings konnte sie die gestellten Anforderungen schlicht nicht erfüllen und hätte auch kaum genügend Platz gehabt.
So erging es auch den anderen Geschäften an der Bahnhofstrasse, erklärt Gemeinderatspräsident Martin Gerber (SVP). Er hat für die Gemeinde mit der Post die Verhandlungen geführt und war an vorderster Front in den Prozess involviert. «Wir von der Gemeinde haben die Bedingung gestellt, dass die Partner- !liale an der Bahnhofstrasse sein müsste. Aber da hat die Post leider keine Option gefunden. Jetzt ist der Partner nicht so zentral, wie wir es uns gewünscht hätten, aber immerhin noch nahe des Zentrums. Und wir sind froh, dass wir wenigstens diese Lösung haben.» Denn eines war klar: Die Schliessung kommt sowieso. Auch wenn die Gemeinde abgelehnt hätte, so hätte es maximal eine Verzögerung von ungefähr einem halben Jahr gegeben.
Hört man sich im Dorf um, so ist der Tenor überall der gleiche: «Schade!» – das ist noch die harmloseste Rektion.
Isabel Durand ist mit ihrer kleinen Tochter im strömenden Regen im Dorf unterwegs. Auf die Post angesprochen, platzt es spontan aus ihr heraus: «Es ist ein Riesenseich! Wenn es zumindest den Briefkasten noch gäbe. So viele würden hier gerne einen Brief einwerfen und können das nun nicht mehr. Das wäre das Minimum gewesen, was man hätte stehenlassen dürfen. Wir Reichenbacher sagen von der Bahnhofstrasse, sie sei unser Einkaufszentrum. Und da gehört für mich die Post einfach dazu! Grad gestern sah ich, wie eine alte Frau kam, ihren Brief einwerfen wollte und den Briefkasten gesucht hat. Da musste ich ihr sagen, dass sie jetzt das ganze Dorf hochlaufen muss oder runter zur Wolf
AG.»
Ein emotionaler Schritt
Natürlich sei ein solcher Schritt auch für ihn als Gemeinderatspräsident emotional, erzählt Gerber: «In erster Linie setzte ich mich für die Bevölkerung ein und grad für die älteren Leute ist diese Schliessung schwierig. Aber wenn man die Zahlen sieht, die uns die Post präsentiert hat, und wenn man es neutral betrachtet, dann muss man schon sagen: Dieser Schritt war nötig. Ich denke, wir haben eine gute Lösung gefunden.»
Auch Gemeindepräsident Beat Schranz (FDP) sieht die Vorteile: «Man kann nicht einfach eine Filiale weiterführen, die Verluste schreibt. Und wichtig ist für die Bürger vor allem, dass sie noch täglich ihre Post bekommen und die Möglichkeit haben, sie ebenfalls täglich aufzugeben. Das ist positiv für uns und nun müssen wir schauen, ob das wirklich funktioniert.»
Dass es funktioniert, hofft vor allem auch Dominik Zurbrügg, Inhaber der Wolf AG und Anbieter der Partner!liale: «Für mich war sofort klar, das machen wir! Aber natürlich haben wir viele Male am runden Tisch gesessen, bis die Verhandlungen mit der Post abgeschlossen waren. Es ist ein Geben und Nehmen. Wir müssen beispielsweise 35 Stunden in der Woche geöffnet haben und dürfen keine Betriebsferien machen.»
Verlust für die einen, Gewinn für die anderen
Dafür rechnet Zurbrügg damit, durch den Postservice Laufkundschaft zu gewinnen, welche sonst nicht vorbeikäme. «Das ist der Vorteil für uns. Aber natürlich müssen wir schauen, wie es läuft. Jetzt nach zwei Wochen ist dies noch nicht einzuschätzen, das sehen wir in etwa zwei Monaten.»
Die Chancen stehen wohl gut, dass seine Angestellte Tabea Ryter mit ihrem Charme und ihrer gewinnenden Art die Dorfbewohner doch noch von der neuen Lösung überzeugen kann.
Und schlussendlich darf man in Reichenbach wohl auch dankbar sein, dass es für gewisse Post-Dienstleistungen überhaupt noch eine Lösung gibt.
Die Reaktion der Post lesen Sie hier