«Der Bund spart am falschen Ende»
08.08.2023 RegionSCHIESSEN Die Subventionen für die Gewehrpatrone 11 werden gekürzt. Der Preis für diesen Munitionstyp verdoppelt sich dadurch – was vor allem Sport- und ältere Schützen trifft. Die Vereine im Tal reagieren unterschiedlich, begeistert ist aber ...
SCHIESSEN Die Subventionen für die Gewehrpatrone 11 werden gekürzt. Der Preis für diesen Munitionstyp verdoppelt sich dadurch – was vor allem Sport- und ältere Schützen trifft. Die Vereine im Tal reagieren unterschiedlich, begeistert ist aber keiner.
BIANCA HÜSING
Das Schiesswesen ist kein Sport wie jeder andere. Besonders in der Schweiz ist es symbolisch aufgeladen, aus Sicht vieler Schützen steht es für Tradition und militärische Wehrhaftigkeit. Und das nicht ohne Grund: Die Schützenvereine entlasten die Armee in der Schiessausbildung und halten Armeeangehörige ausserdienstlich im Umgang mit der Waffe fit. Um diesen Auftrag erfüllen zu können, werden die Vereine subventioniert. Für obligatorische Schiessübungen und Ausbildungskurse erhalten sie Entschädigungen und Gratismunition. Für andere Anlässe können sie die Munition vergünstigt beziehen. Konkret betrifft das die Gewehrpatrone 90 (GP 90) und die GP 11. Weil Letztere aber längst nicht mehr als Standardmunition der Armee verwendet wird, will der Bund die Subventionen verringern. Viele Vereine müssen deshalb bald tiefer in die Tasche greifen: Ab Januar 2024 soll die GP 11 nicht mehr 30 Rappen pro Schuss kosten, sondern 60 – und damit doppelt so viel.
Angemessenes Gesamtpaket aus Sicht des SSV
Den Beschluss hat der Bundesrat auf Empfehlung der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK) gefasst. Diese hatte sich über die Subventionspolitik im Schiesswesen gebeugt und dabei festgestellt, dass nebst Armeeangehörigen auch Freizeitschützen von der staatlichen Förderung profitieren. Obwohl diese Praxis «im Hinblick auf das militärische Ausbildungsziel zu weit» gehe, möchte die EFK grundsätzlich daran festhalten. Das freiwillige Schiesswesen sei schliesslich ein wichtiges finanzielles Standbein für die Vereine. Gleichwohl verortet die EFK ein Missverhältnis in der Munitionsförderung. Die GP 11 kommt vor allem beim Standardgewehr der Sportschützen und beim ehemaligen Ordonnanzgewehr Stgw 57 zum Einsatz. Damit erfüllt sie keinen direkten militärischen Zweck mehr, wird aber stärker subventioniert als die GP 90 – die Munition für die aktuelle Armeewaffe Stgw 90. Für die GP 11 wurden 2019 Subventionen in Höhe von 6,5 Millionen Franken gezahlt, für die GP 90 nur 3,5 Millionen. Um hier Einsparungen vorzunehmen und die Subventionspolitik stärker nach den Bedürfnissen der Armee auszurichten, verlangt der Bund künftig mehr Geld pro GP-11-Patrone.
Der Schweizer Schiesssportverband (SSV) reagiert darauf vergleichsweise entspannt. Freude bereite ihm die Munitionsteuerung zwar nicht, wie er in einer offiziellen Stellungnahme festhält. «Wenn man jedoch das Gesamtpaket betrachtet, fällt die Bilanz unserer Meinung nach angemessen aus.» Tatsächlich konnte der Verband dem Bund Zugeständnisse entlocken. So sollen die Vereine künftig höhere Abgeltungen fürs Feldschiessen, fürs obligatorische Programm und für die Ausbildung von Jungschützen erhalten. Aus Sicht des SSV ist es nun an den Vereinen, faire Lösungen für ihre Mitglieder zu finden – zum Beispiel, indem sie die Mehrkosten durch finanzielle Umlagerungen abfangen, statt sie komplett auf die Schützen abzuwälzen. Was aber halten die Vereine im Tal davon?
Schwächung des Schiesswesens?
Hört man sich bei den Präsidenten um, so fallen die Reaktionen auf den Bundesbeschluss recht unterschiedlich aus. Manche bringen ein gewisses Verständnis auf, andere wittern darin den Versuch, das Schiesswesen zu schwächen. Letzteres glaubt zum Beispiel Melchior Pieren. Der Präsident der Adelbodner Strubelschützen hält die Munitionsteuerung für unbegründet und glaubt, dass die vor allem Oberländer Vereine schwer treffen könnte. «Wir haben sehr viele Mitglieder über 50, die noch mit dem Stgw 57 schiessen, und die werden sicher nicht alle aufs Stgw 90 umstellen.» Dabei sei die Preisverdopplung besonders für Pensionierte im Portemonnaie spürbar. Pieren fürchtet einen Mitgliederschwund für die Vereine. Von der Reaktion des SSV ist er ebenso enttäuscht wie von der Tatsache, dass sich von den kantonalen und regionalen Verbänden bislang noch niemand gross dazu geäussert habe.
Auch Johann Hänni vom Schützenverein Frutigen hat den Eindruck, dass dem Schiesssport zunehmend Steine in den Weg gelegt werden. Nach der kostspieligen Sanierung der Kugelfangkästen werde nun auch noch die Munition massiv verteuert. In seinem Verein betreffe das immerhin rund 15 von 80 Aktivmitgliedern, die noch mit dem Stgw 57 schiessen. Mit Austritten rechnet Hänni aber nicht, zumal der SV Frutigen versuchen werde, die Mehrkosten nicht auf die Schützen abzuwälzen. Die Massnahmen, mit denen der Bund den Vereinen entgegenkommt, sind für Hänni «ein Tropfen auf dem heissen Stein. Beim Feldschiessen und beim Obligatorischen wird sowieso vor allem mit dem Stgw 90 geschossen.»
«Aufregen nützt nichts»
Martin Steiner, Präsident der Schützengesellschaft Reichenbach, freut sich durchaus über die angekündigten Zusatzentschädigungen fürs Feldschiessen, fürs Obligatorische und für die Jugendausbildung. «Bei uns stehen demnächst grössere Investitionen an, da kommt uns das Geld schon gelegen.» Was die Verteuerung der GP-11-Munition angeht, zeigt Steiner sogar Verständnis. «Mit Blick auf die Schusszahlen der Armee finde ich das absolut nachvollziehbar. GP 11 wird viel weniger verschossen, aber trotzdem stärker subventioniert als GP 90.» Für die Vereine sei der Bundesbeschluss zwar «e chly Seich», aber auch nicht besonders tragisch. In Reichenbach nutzen rund 14 aktive Schützen GP 11, darunter auch der Präsident selbst. Die meisten seien aber auf die neueren Patronen umgestiegen.
Mitgliederschwund fürchtet auch Kurt Minnig von der SG Kandersteg nicht. «Am ehesten sind die Sportschützen von der Preiserhöhung betroffen – und die sind vom Schiessen so angefressen, dass sie sicher nicht aufhören werden.» Die wenigen älteren Mitglieder mit Stgw 57 würden ohnehin nicht viel schiessen. Trotzdem überlege der Verein, einen Teil der Mehrkosten selbst zu tragen.
Anders die Suldtalschützen Aeschi: «Wir werden die Preiserhöhung wohl überwiegend an die Schützen weitergeben müssen, welche die GP-11-Munition nutzen, da wir auf die Einnahmen aus dem Munitionsverkauf angewiesen sind. Ausserdem wäre es nicht fair, wenn die Stgw-90-Schützen mit dafür aufkommen müssten», sagt Vizepräsident Dominik Eggen. Bei den SS Aeschi ist das Durchschnittsalter relativ hoch, ein Grossteil der Aktiven schiesst hier mit GP 11. «In den letzten Jahren hat es einen starken Trend zum Stgw 57 gegeben», so Eggen, der selbst auch ein solches Gewehr nutzt. Insofern sei sein Verein durchaus betroffen. Insgesamt sieht er der Änderung aber – wie auch Steiner und Minnig – eher gelassen entgegen. Ihr Tenor: «Aufregen nützt sowieso nichts.»
Ein ohnehin schon teurer Sport
Auf Christian Kummer kommen demnächst sehr viel höhere Munitionskosten zu. Der Präsident der SG Krattigen gehört zu den aktivsten Sportschützen im Tal und gibt pro Jahr rund 2500 Schuss mit der GP-11-Munition ab. «Wirklich Angefressene wie ich werden sicher weitermachen, aber vielleicht ein bisschen reduzieren», meint er. Denn die Ausrüstung für diesen Sport sei insgesamt schon sehr teuer. Kummer bedauert den Bundesbeschluss. «Der Preisaufschlag trifft vor allem ältere Schützen, die mit dem Stgw 57 schiessen und in letzter Zeit viel in die Aufrüstung ihrer Sportgeräte investiert haben, sowie diejenigen, die mit einer Sportwaffe schiessen. Viele dieser GP-11-Schützinnen und -schützen sind als Schützenmeister oder Jungschützenleiter seit Jahren im Verein tätig und leisten ehrenamtlich grosse Arbeit für die Nachwuchsausbildung – und so auch für die vordienstliche Schiessausbildung der Armee.» Der Präsident ist überzeugt, dass diese Massnahme längerfristig zu einem Mitgliederrückgang in den Vereinen führen wird. Zudem sei dies Teil einer Entwicklung, zu der auch schon die Sanierung der Kugelfänge und die erhöhten Lärmschutzauflagen gehörten. «Irgendwann wird es für die Vereine schwierig, das alles zu stemmen – und das in einer Zeit, in der das ausserdienstliche Schiessen wieder an Bedeutung gewinnen sollte», spielt er auf den Krieg in der Ukraine an. «Die 3,5 Millionen Franken (bei einem Armeebudget von 5,6 Milliarden) spart der Bund definitiv am falschen Ende.»
Ob die Subventionskürzung tatsächlich umgesetzt wird, ist noch nicht ganz ausgemacht. Zurzeit ist eine Motion des Ständerats Werner Salzmann (SVP) hängig, die den Bund zur Umkehr auffordert.