Die grossen Kraftwerkpläne der BKW

  20.06.2023 Region

HISTORISCHES Energieengpässe befürchtete man angesichts der wachsenden Industrialisierung bereits nach dem Zweiten Weltkrieg. Die BKW sondierte deshalb für ein Wasserkraftprojekt, das aber von der Oberländer Bevölkerung erfolgreich bekämpft wurde. Teil des Vorhabens wäre ein Atomkraftwerk am Thunersee gewesen.

HANS RUDOLF SCHNEIDER
Die Schweiz will sich möglichst unabhängig vom Energieimport machen. Gerade im Winter wird dies zur Herausforderung. An eigenen Quellen für elektrischen Strom sind vor allem Windkraft und Sonnenenergie ausbaufähig. Bei der Wasserkraft ist das Potenzial in der Schweiz schon gut ausgeschöpft, es gibt aber immer noch Ausbaumöglichkeiten. Auch die Umsetzung grosser Visionen dauert Jahre, wie die Projekte der Kraftwerke Oberhasli AG (KWO) im Grimselgebiet zeigen. Die Wirtschaft, der Umweltschutz und die Politik machen ihren Einfluss geltend, dazu kommen die gesetzlichen Rahmenbedingungen.

Solch weitläufige Wasserkraftwerksysteme sind nicht neu. Schon in der Nachkriegszeit wurde von Energieknappheit geredet. Das eidgenössische Wasserwirtschaftsamt führte zwischen 1947 und 1957 diverse Studien durch, unter anderem über die Nutzbarmachung der Gewässer zwischen der Wasserscheide Wallis / Bern und dem Thunersee einerseits und zwischen dem Engstligen- und dem Lauterbrunnental andererseits. In diesem Gebiet waren damals ausser in Kandergrund und Spiez nur Kraftwerke mit geringerer Produktionsmenge vorhanden. Die BKW veranlasste eigene Studien und nahm Verhandlungen mit verschiedenen Seiten auf. Irgendwann wuchs der Druck, mit den Ideen an die Öffentlichkeit zu treten.

Die konkreten Ideen von damals
Informationen zum Projekt lassen sich der BKW-Hauszeitschrift von Ende 1962 entnehmen. Folgendes war geplant (vgl. auch mit der abgebildeten Karte):
• Im Weststrang werden die Abflüsse aus dem Engstligtal unterhalb Adelbodens, aus dem Kandertal unterhalb Kanderstegs, aus dem Kiental bei der Alpenruh, aus dem Spiggengrund sowie aus dem Suldtal gesammelt und in das Ausgleichsbecken bei der Suldsäge geleitet.
• Im Oststrang wird die Weisse Lütschine bei Trachsellauenen, also unterhalb des Naturschutzreservates der Schmadribachfälle, gefasst und zusammen mit den Abflüssen der Sefinen-Lütschine, des Mürren- und Ägertenbaches sowie des Saus- und Saxettales direkt ins Wasserschloss der Zentrale Därligen geleitet.
• Vom Wasserschloss der Zentrale Därligen gelangt das Wasser beider Stränge durch den Druckschacht in das unterirdische Kraftwerk Därligen. Nutzbare Höhe: 520 Meter.
• Um das Wasser besser zu nutzen, ist ein Kraftwerk Suld mit einem Speichersee Gamchi vorgesehen. Diesem fliessen zudem die Abflüsse aus dem obersten Einzugsgebiet der Kander und aus dem Sousbach zu. Das Wasser fliesst nach dem Kraftwerk Suld in das Ausgleichsbecken Suld und anschliessend in die Zentrale Därligen. Im Werk Suld kann eine Höhendifferenz von 640 Metern genutzt werden.
• Mit Pumpen soll an Wochenenden und in der Nacht Wasser in den Speichersee Gamchi gepumpt werden, um werktags 1100 Millionen Kilowattstunden zu erzeugen.
Die Jahresproduktion der ersten Etappe – noch ohne Pumpen – wurde mit 814 Millionen Kilowattstunden angegeben, rein mit der Nutzung der natürlichen Gefälle. Dies entsprach einem Drittel des damaligen Jahresbedarfs der BKW. Gerechnet wurde mit einem jährlich wachsenden Mehrbedarf von 100 Millionen kWh.

AKW in Därligen
Geplant war, die Anlage im Endausbau als Pumpspeicherwerk zu nutzen. Die für die Pumpen benötigte Energie hätte in einem weiteren Schritt durch ein ebenfalls in Därligen gebautes Atomkraftwerk erzeugt werden sollen. In dieser Periode projektierte die BKW bereits das AKW Mühleberg und beschäftigte sich intensiv mit dieser in der Schweiz neuen Technik.

An einer Medienkonferenz im August 1964 orientierte die BKW über ihre Zukunftspläne: Priorität hatte das Wasserkraftwerk Oberland, inklusive einer späteren Erweiterung mit einem AKW Därligen. Kostenpunkt: 400 Millionen Franken. An zweiter Stelle war die Schaffung einer bernischen Kraftzentrale im Seeland vorgesehen, die in Verbindung mit der im Bau befindlichen Shell-Raffinerie in Cressier gestanden hätte. An dritter Stelle folgte das Atomkraftwerk Mühleberg. Dessen Realisierung war aber technisch und finanziell mit Risiken und Unsicherheiten verbunden, also wurden auch Ölkraftwerke in die Planung einbezogen.

Sorgen um die Wasserfälle
Diese Pläne riefen insbesondere Naturschützer auf den Plan, aber auch die Politiker im Berner Oberland. Diverse Zeitungsberichte dokumentieren in der Folge den Kampf um das Kraftwerk. Kurz nach der BKW-Medienorientierung führte der Naturschutzverein Berner Oberland eine Exkursion ins Kiental durch. Ingenieur Minnig wurde eingeladen und erklärte das Vorhaben der BKW. In der NZZ wurde berichtet: «Den Ausführungen des Projektverfassers war zu entnehmen, dass eine rund 200 Meter hohe Staumauer von noch unbestimmtem Typ an der engsten Stelle der Kieneschlucht vorgesehen ist, ferner eine Strasse über die Bundalp zur Mauerkrone sowie ein Weg durch die Flühe zur Gspaltenhornhütte des SAC. Der Stausee, dessen Wasserspiegel auf rund 1800 Metern zu liegen kommen würde, soll rund 90 Millionen Kubikmeter Wasser zu fassen vermögen. Bereits sind gewisse Vorarbeiten aufgenommen worden. So wurde per Helikopter eine Bohranlage auf die Gamchialp geflogen, und in der Kiene steht der Wassermesser schon in Aktion.» Im Oberland machte man sich Sorgen wegen der Störung des natürlichen Wasserhaushalts und wegen der Beeinträchtigung des Fremdenverkehrs als Folge des Wasserentzugs und des Verschwindens von Wasserfällen.

Eine «nicht wiedergutzumachende Katastrophe»
Der Widerstand dauerte an und festigte sich, während die BKW weiterplante. Im November 1964 fand in Frutigen auf Einladung der Freisinnig-Demokratischen Partei, der Sozialdemokraten und der Bauern-, Gewerbe- und Bürger-Partei ein von rund 400 Personen aus der ganzen Talschaft besuchter Diskussionsabend statt. Dieser entwickelte sich gemäss Zeitungsnotiz zu einer eigentlichen Kundgebung gegen die Kraftwerkbauten. Der Co-Referent, Oberförster Kilchenmann aus Frutigen, sprach von einer «nicht wiedergutzumachenden Katastrophe», die eintrete, wenn es nicht gelinge, die geplanten Arbeiten zu verhindern.

Sämtliche anwesenden Vertreter der interessierten Gemeinden versicherten, dass sie geschlossen hinter dem «Oberländischen Bund zur Erhaltung unserer Gewässer» (OBEG) stehen, wie die Medien berichteten. Ein Kampffonds wurde ins Leben gerufen. Dieser Bund wurde unter anderem von alt Oberrichter Hans Eduard Bühler aus Frutigen mitbegründet und war quasi die Vorgängerorganisation der heutigen Pro Natura.

Diverse Gutachten pro Kraftwerk
Die kantonale Baudirektion beauftragte verschiedene Fachleute damit, Gutachten über die zu erwartenden Folgen auszuarbeiten. Professor Schnitter, Direktor der Versuchsanstalt für Wasserbau und Erdbau an der ETH, lieferte 1966 als Erster seine Resultate über die Auswirkungen auf das Geschiebe ab. Zusammenfassend stellte er fest, die Untersuchungen hätten gezeigt, dass das Kraftwerk in der projektierten Konzeption ausgeführt werden könnte, ohne dass daraus im Hinblick auf das Flussregime nachteilige Folgen erwachsen würden. Allerdings müssten mit baulichen und betrieblichen Massnahmen schwerwiegende Folgen für die Flussbette eingedämmt werden. Entsprechend der starken Geschiebeführung der Lütschine und der Kander sowie der im Vergleich zu anderen Alpentälern dichten Besiedlung sei der Aufwand bedeutend und mit enormen Kosten verbunden. Auch Erkundungen vor Ort zeigten einige Schwierigkeiten für den Bau auf.

Der Brunnen auf der Aeschiallmend
Im BKW-eigenen Archiv sind zahlreiche Pläne, Dossiers und technische Gutachten vorhanden, die einzelne Aspekte wie die Probebohrungen dokumentieren. Fakt ist, dass sich der Widerstand im Oberland im Laufe der Zeit nicht verringerte und die BKW dieses grosse Projekt 1973 schliesslich auf unbestimmte Zeit sistierte.

Heute sind offenbar noch einige verschlossene Bohrlöcher zu finden, und auf der Aeschiallmend erinnert eine Plakette an einem Brunnen an den geschlossenen und am Ende auch erfolgreichen Oberländer Widerstand gegen das Mega-Kraftwerkprojekt – mit denpassenden Worten «Oberländer, bleibt wachsam».


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