Ein Wegweiser zum Bildungsideal
03.12.2024 KanderstegGute Arbeitsbedingungen für LehrerInnen, Transparenz gegenüber den Eltern und ein erfolgversprechendes Lernumfeld für Kinder – so könnte man die neue Bildungsstrategie der Schulen Kandergrund / Kandersteg zusammenfassen. Aber was steckt konkret in dem ...
Gute Arbeitsbedingungen für LehrerInnen, Transparenz gegenüber den Eltern und ein erfolgversprechendes Lernumfeld für Kinder – so könnte man die neue Bildungsstrategie der Schulen Kandergrund / Kandersteg zusammenfassen. Aber was steckt konkret in dem Papier?
BIANCA HÜSING
Wer heutzutage Fachkräfte sucht, muss schon etwas mehr bieten als gute Gehälter – das gilt besonders für Schulen und erst recht für solche in der Peripherie. In Kandergrund und Kandersteg weiss man nur zu gut, was es bedeutet, wenn auf eine Ausschreibung keine einzige Bewerbung eingeht. Deshalb versucht man hier schon länger, mit besonders guten Arbeitsbedingungen zu punkten. «Den Lohn können wir ja zum Glück nicht beeinflussen», sagt Ivo Kratzer, Vize-Präsident der Schulkommission Kandergrund / Kandersteg. «Aber wir können dafür sorgen, dass die Lehrkräfte sich wertgeschätzt und ernst genommen fühlen.» Ein kleines Beispiel dafür sei der gemeinsame Jahresabschlussevent beider Schulhäuser, den die Kommission organisiert. Letztes Jahr gab’s ein Krimidinner, diesmal steht ein Vortrag in Mitholz auf dem Programm.
Schulleiterin Barbara Baer geht derweil im Berufsalltag auf die Wünsche ihrer KollegInnen ein. Sie werden dazu ermutigt, eigene Ideen einzubringen und umzusetzen. Auch persönliche Anliegen werden berücksichtigt. «Wenn jemand mal einen Sommer auf der Alp verbringen oder zur Unterrichtszeit an einem Workshop teilnehmen will, versuchen wir, das zu ermöglichen und nicht von vornherein zu sagen: Das geht nicht.» Auch in Zeiten des Lehrkräftemangels lasse sich das schon irgendwie organisieren. «Wir helfen uns gegenseitig», sagt Baer. Eine ideale Schulkultur – darauf arbeiten die beiden Gemeinden und ihre Schulleiterin hin. Als Leitfaden dient ihnen dabei die Bildungsstrategie 2024 – 2029.
Förderung schon im Kleinkindalter
Personalbedürfnisse sind aber nur ein Teil dieser Strategie. Insgesamt umfasst sie vier Handlungsfelder: SchülerInnen, LehrerInnen, Eltern und Rahmenbedingungen / Infrastruktur. Zu jedem dieser Oberthemen wurden Ziele und Massnahmen definiert – auch solche, die auf den ersten Blick nichts mit Schule zu tun haben. Punkto Sprach- und Sozialkompetenz von Kindern schlägt das Strategiepapier beispielsweise vor, den Besuch von Spielgruppen und Kitas zu fördern. Derlei fällt zwar in die Zuständigkeit der Gemeinden, soll letztlich aber auch der Schule zugutekommen. «Je früher man ansetzt, desto weniger Probleme hat man später», ist Baer überzeugt. In dieselbe Kerbe schlagen auch die Massnahmen zur Leseförderung. Hierfür lassen sich die Schulen von SeniorInnen unterstützen – nicht als Ersatz für Lehrkräfte, sondern als Ergänzung. Nächstes Jahr wird ausserdem ein Elternworkshop zum Thema Lesen angeboten. Die Förderung beginne und ende schliesslich nicht im Klassenzimmer, sondern sei zu Hause ebenso wichtig, betont Baer.
«Rucksacktage» und Elternworkshops
Die Eltern bilden denn auch ein eigenes Handlungsfeld innerhalb der Bildungsstrategie. Sie mit ins Boot zu holen, ihnen die Schulkultur und die Unterrichtsinhalte näherzubringen, sei für den Bildungserfolg der Kinder zentral – und nicht zuletzt auch für das Arbeitsklima für LehrerInnen. «Nach der Einführung des Lehrplans 21 gab es häufiger Kritik. Die Abschaffung der Hausaufgaben war für viele Eltern ein rotes Tuch», erinnert sich Kratzer. «Sie wussten nicht mehr, was ihr Kind eigentlich so lernt.» Die Schule Kandergrund / Kandersteg hat darauf mit der Einführung eines «Rucksacktags» reagiert. In regelmässigen Abständen nehmen die Kinder etwas mit nach Hause, an dem sie gerade arbeiten, um es den Eltern zu erklären. Auch Workshops zu verschiedenen Bildungsinhalten sollen helfen, Transparenz herzustellen und Vertrauen zu festigen.
Hinter der Bildungsstrategie steht der Gedanke, dass es zum Aufziehen eines Kindes eine ganze Gemeinschaft braucht. Deshalb arbeitet die Schule für verschiedene Anlässe mit Vereinen, Kirchen und der Jugendarbeit zusammen. Demnächst ist in Mitholz ein kleines Schwingfest geplant. Der Wettkampf soll zwar in erster Linie Spass machen, dient aber auch der Gewaltprävention.
Mehr Zeit für die Kernaufgabe
Grundsätzlich hat die Bildungsstrategie auch eine strukturgebende Funktion – und das hat wiederum historische Gründe. Bis in die frühen Nullerjahre gab es für Volksschulen im Kanton Bern keine Schulleitungen, wie sie heute üblich sind – das galt entsprechend auch für Kandergrund / Kandersteg. Die Schulkommission hatte nicht nur bildungsstrategische Aufgaben, sondern auch eine Aufsichtsfunktion im Schulalltag – als Laiengremium, notabene. Es fehlte das professionelle, pädagogisch geschulte Bindeglied zwischen Politik und Lehrerkollegium. Als es dieses Bindeglied dann gab, wusste die Kommission nicht mehr so recht, was sie zu tun hatte. Um die Aufgabenbereiche sauber voneinander abzugrenzen, entwickelte sie 2016 die erste Bildungsstrategie. Die hatte aber noch gewisse Schönheitsfehler. «Wir haben damals die Lehrkräfte zu wenig miteingebunden, und auch die Entwicklungsziele fürs Kind kamen zu kurz», so Kratzer. «Jetzt steht das Kind ganz klar im Zentrum.»
Nicht alles in diesem Papier ist neu. Manches wird schon längst umgesetzt, anderes ist so selbstverständlich, dass es eigentlich keiner Erwähnung bedürfte. Elternabende zum Beispiel. Dann wieder gibt es Ziele, die vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels illusorisch wirken. Denn wie will man Kinder «individuell und bedarfsgerecht» fördern, wenn man schon froh sein kann, genug Personal für den ganz normalen Unterricht zu haben? Hier kommt wieder Barbara Baers Präventionsgedanke zum Tragen: Greifen all die Einzelmassnahmen ineinander, knirscht es insgesamt weniger im Getriebe, heisst: Lehrende haben mehr Zeit für ihre Kernaufgabe, wenn sie sich nicht mit unzufriedenen Eltern oder streitenden SchülerInnen befassen müssen.
«Als ich davon erfuhr, leuchteten meine Augen»
Nicht zuletzt soll die Bildungsstrategie auch gute Lehrkräfte ins Tal locken, die sich mit den Zielen identifizieren können. Dafür steht die Schulleiterin höchstpersönlich Patin: «Die Bildungsstrategie hat mit dazu beigetragen, dass ich mich 2023 auf die Stelle beworben habe. Als ich davon erfuhr, leuchteten meine Augen», sagt die Kanderstegerin Barbara Baer, die zuletzt zwölf Jahre lang an der Tagesschule Hilterfingen gearbeitet hatte. Noch bevor sie ihren neuen Job in Kandergrund / Kandersteg angetreten war, wirkte sie bereits am Strategiepapier mit. Das langfristige Ziel der Schule ist es, den Unterricht immer mehr in Richtung individueller und leistungsgerechter Förderung weiterzuentwickeln – «und das entspricht genau meinem Bildungsideal», so Baer.
Einen Link zur Bildungsstrategie finden Sie unter www.frutiglaender.ch im Bereich Web-Links.