Eine «stotzige» Strassenplanung
16.04.2024 Frutigen, Reichenbach, KientalEine neue Alperschliessung soll die Bewirtschaftung eines grossen Sömmerungsgebiets an der Niesenflanke sicherstellen. Über die 5,5 Kilometer lange Tafelenstrasse wurde im Schulhaus Winklen öffentlich informiert, der Baubeginn steht aber noch nicht fest.
...Eine neue Alperschliessung soll die Bewirtschaftung eines grossen Sömmerungsgebiets an der Niesenflanke sicherstellen. Über die 5,5 Kilometer lange Tafelenstrasse wurde im Schulhaus Winklen öffentlich informiert, der Baubeginn steht aber noch nicht fest.
HANS RUDOLF SCHNEIDER
Etliche der Alpschaften im Frutigland sind mittlerweile durch Strassen und Strässchen erschlossen. Die Bewirtschaftung wird dadurch erleichtert und sichert auf diese Weise auch die weitere Bestossung durch die Landwirte.
«Wir wollen nur die heutige Nutzung erhalten, mehr nicht», betont Beat Lörtscher zum kürzlich vorgestellten Projekt der Alperschliessung Sattla – Eggweid – Bündi – Schlossweid. Er ist Präsident der Tafelenweg-Genossenschaft und Mitinitiant des Projekts. Die neue Strasse soll oberhalb von Wengi auf der Niesenseite von Sattla über die Eggweid bis auf die Alp Bündi und über die Lehenweid bis in die Schlossweid hinaufführen. Der grösste Teil davon liegt auf Boden der Gemeinde Reichenbach. Heute führt ab Sattla nur ein Fussweg zu den Alphütten, für Transporte und Notfälle sind umgebaute Motorräder und überalterte Materialseilbahnen im Einsatz. Der Weg wird heute durch die Tafelenweg-Genossenschaft unterhalten, die Seilbahnen durch Private.
Wer profitiert vom Projekt?
Der Planungsperimeter an der Niesenflanke umfasst insgesamt 727 Hektaren. Von der gut 5,5 Kilometer langen und im Schnitt 3 Meter breiten geplanten Erschliessungsstrasse würden 98 Grundstücke, 50 Eigentümer und 13 Sömmerungsbetriebe mit 400 Normalstössen (Sömmerung einer Grossvieheinheit während 100 Tagen) profitieren. Die Vorteile liegen auf der Hand: Für die betroffenen Sennen und Liegenschaftsbesitzer würden sich die Wegzeiten dank der Strasse wesentlich verkürzen. Auch schwerere Transporte und die effizientere Nutzung von Maschinen im Tal und auf der Alp wären möglich. Ganz grundsätzlich geht es um den Weiterbestand der Alpbetriebe mit ihren Käsereien.
Was soll entstehen?
Einen Meilenstein für die Realisierung bedeutete die amtliche Umweltverträglichkeitsbescheinigung vom letzten Oktober. Sie wurde nach nach viereinhalb Jahren Planung und mehreren Runden durch die Instanzen sowie den daraus folgenden Projektanpassungen und -auflagen ausgestellt.
Weil durch die grossen Einschnitte für die Strasse im steilen und unwegsamen Gelände voraussichtlich sehr viel überschüssiges Material abgeführt werden muss, sind zwei Auffüllungen von je über 10 000 Kubikmeter vorgesehen. Kunstbauten werden, wo immer möglich, mit Blocksteinen erstellt. Es warten aber auch einige Grabenquerungen, was die Anpassung einer bestehenden Brücke über den Gunggbach sowie Neubauten von Furten über den Heitibach und den Chumibach erfordert. Baulich ist das Projekt eine Herausforderung, wie der im Bau von Alperschliessungen erfahrene Frutiger Ingenieur Walter Hostettler von der Ramu Ingenieure AG deutlich aufzeigte. Rücksicht muss zudem auf Trockenstandorte genommen werden. Die Erschliessung der Alp Bündi über eine 1,3 Kilometer lange Zufahrt ist ebenfalls ins Gesamtprojekt aufgenommen worden, muss aber vollständig von privater Seite finanziert werden.
Wer bezahlt?
Die Genossenschafter werden für ihre Strasse tief in die Tasche greifen müssen. Stand 2020 sind insgesamt 4,9 Millionen Franken nötig. Davon werden Bund und Kanton zwei Drittel übernehmen. Im Endeffekt verbleiben den Liegenschaftsbesitzern Kosten von 1,6 Millionen Franken. Je nach Distanz der Alphütte oder des Stalls zur vorbeiführenden Strasse muss jeder mehr oder weniger Geld zum Bau beisteuern. In den Kostenverteiler wurden zudem Aspekte wie Parzellengrösse, Lage und Art der Bewirtschaftung einbezogen, wie Peter Germann von der Schatzungskommission im Schulhaus Winklen erläuterte. Beat Lörtscher machte zudem Hoffnung, dass von der Berghilfe und anderen Organisationen noch Beiträge zu erwarten seien. Ingenieur Hostettler hielt auf eine entsprechende Frage aus dem Publikum fest, dass beim Strassenbau die Preise momentan eher im Sinken seien und er von maximal 4,9 Millionen Franken ausgehe. Der kurvenreiche Bau wird ökologisch begleitet, Ersatzaufforstungen für die notwendigen Rodungen sind bereits vertraglich mit Landeigentümern festgehalten. Lörtscher – selbst Landbesitzer im Perimeter – ist überzeugt, dass die Genossenschafter bei den jetzt anstehenden Entscheiden mitziehen.
Wann geht’s los?
Die entsprechenden Unterlagen für das Strassenprojekt liegen bis zum 23. April in Papierform bei der Bauverwaltung der Gemeinde Reichenbach öffentlich zur Einsicht auf. Das ganze Dossier umfasst über 50 einzelne Dokumente, was die Komplexität des Auflageprojekts aufzeigt. Diverse Amtsstellen seien dabei involviert, erläuterte Roger Stucki von der Abteilung Strukturverbesserungen und Produktion des Kantons am Infoanlass. Als weitere Hürden könnten auf die Initianten allenfalls Einsprachen warten, zudem muss im Verlauf des Jahres aus der Tafelenweg-Genossenschaft die neue Weggenossenschaft Tafelenstrasse gegründet werden.
Der Baubeginn wird frühestens 2026 oder 2027 erwartet, nachdem das Detailprojekt unter Berücksichtigung allfälliger Auflagen ausgearbeitet worden ist. «Die Realisierung in mehreren Etappen wird dann einige Jahre in Anspruch nehmen», erklärt Beat Lörtscher. Auf einen Terminplan lässt er sich aufgrund seiner Erfahrung nicht festlegen, denn «das allererste Telefonat in dieser Angelegenheit habe ich 2016 geführt».