Einst wirtschaftlicher Machtfaktor, heute vor allem Traditionspflege

  07.10.2022 Region

Auch in der Schweiz wachten Herrscher und Obrigkeit lange darüber, an welchen Orten Märkte stattfinden durften, vor allem im Umfeld wichtiger Städte wurde genau hingeschaut. Abgelegene Gegenden wie das Frutigland hatten in dieser Hinsicht Glück: Hier liess man die Leute meist gewähren.

MARK POLLMEIER
Zwei grosse Sprachgruppen gibt es in Westeuropa: die romanischen Sprachen, zu denen etwa Französisch und Italienisch gehören, und die germanischen Sprachen, also Deutsch, Englisch und die skandinavischen Sprachen.

In vielen Fällen gibt es innerhalb dieser Sprachgruppen ähnliche Begriffe für die gleiche Sache. Nehmen wir etwa den Mond. Der heisst in den romanischen Sprachen luna, lua oder lune – die Verwandtschaft ist deutlich zu erkennen. Im germanischen Sprachraum dagegen ähnelt die Bezeichnung dem uns bekannten Begriff Mond: moon, måne oder maan.

Natürlich gibt es von dieser Regel auch Ausnahmen, und zu diesen gehört der Begriff Markt. Ob im Französischen (marché), im Englischen (market), in Dänemark oder Norwegen (marked), im Spanischen, Portugiesischen oder Italienischen (mercado bzw. mercato): Der Markt tönt stets ein bisschen so wie das uns vertraute Wort. Selbst im Finnischen, das sonst eine ganz eigene Kategorie bildet, ist die Verwandtschaft mit etwas Fantasie noch zu erkennen: markkinoida.

Herrscher auch über die Märkte
Diese Ähnlichkeit weist einerseits auf denselben sprachlichen Ursprung hin: Alle genannten Wörter gehen zurück auf das lateinische «mercatus». Andererseits gibt es eine soziale Komponente. Märkte waren Orte des Handels, aber auch der Begegnung und des Austauschs. Gut möglich, dass man sich auch deshalb über die Sprachgrenzen hinweg auf einen zumindest ähnlich lautenden Ausdruck «geeinigt» hat.

Sprachlich betrachtet war dieser Prozess im 8. Jahrhundert abgeschlossen. Seit diesem Zeitpunkt sprechen die Menschen im westlichen Teil Europas von Markt, marché oder mercato. Etwa zu dieser Zeit erkannten auch die jeweils herrschenden Geschlechter die politische und wirtschaftliche Bedeutung der Märkte. Wo also ein Markt stattfinden durfte, bestimmten damals die Könige, später der weltliche und geistliche Adel (Fürsten, Grafen oder Bischöfe). Und wenn ein Ort in Ungnade fiel oder es politisch nötig schien, wurde ihm sein Marktrecht auch wieder entzogen, zur Not mit Gewalt.

Als Langenthal beinahe eine Stadt wurde
Obwohl die Schweiz kein monarchisch organisiertes Land ist, war das auch hierzulande nicht anders. So verlieh Bern, das sich im 15. Jahrhundert bereits als eigener Staat verstand, dem Dorf Langenthal im Jahr 1477 das Privileg, einen Wochenmarkt abhalten zu dürfen. Für die Langenthaler war das Marktrecht wie ein Lottogewinn. Günstig gelegen zwischen Ober- und Unteraargau, zwischen Solothurn und Luzern, wurde der Langenthaler Markt bald von Volk und Händlern aus einem weiteren Umfeld besucht. Die Bedeutung des Ortes wuchs, und das registrierten auch die Herren in Bern. Ab dem Jahr 1571 wurde Langenthal also gewährt, zwei Jahrmärkte durchzuführen, 1647 kam ein dritter hinzu. Ab 1710 war es dem Dorf sogar erlaubt, mit dem Ausland Handel zu betreiben.

Die Langenthaler durften sich fortan Burger nennen und hatten de facto den Status einer Stadt, ohne wirklich eine zu sein. So weit wollten die Ratsherren zu Bern dann doch nicht gehen, denn mit dem Stadtrecht wären die Rechtsansprüche und die Bedeutung Langenthals noch einmal gewachsen. So blieb das Dorf also ein sogenannter Marktflecken, ähnlich wie viele andere, teils durchaus bedeutende Orte wie etwa Schwyz, der Hauptort des gleichnamigen Kantons.

Aufmüpfige Landgemeinden
Doch nicht immer war die herrschende Macht involviert, wenn irgendwo ein Markt entstand. Sumiswald etwa begann im 18. Jahrhundert, auf eigene Faust einen Wochenmarkt abzuhalten. Das Dorf war damals ein Zentrum für den Garn- und Tuchhandel, auch die Pferdezucht und der Käseexport waren von Bedeutung. Es gab also in dem gar nicht so kleinen Ort durchaus ein Bedürfnis für einen Markt. Fünf Gesuche um das Marktrecht reichten die Sumiswalder im Lauf des 18. Jahrhunderts in Bern ein (mehrmals zwischen 1704 und 1741 sowie 1774). Doch die benachbarten Marktorte wussten eine Zusage durch Bern zu verhindern. Also hielten die Sumiswalder ihre Märkte auf eigene Faust ab. Weil insbesondere Burgdorf den Nachbarort mehrmals in Bern anschwärzte, wurde der Markt zwar offiziell verboten, aber nie verhindert oder gar bekämpft. So wichtig schien den Bernern die Sache dann auch nicht zu sein.

Vielleicht spielten dabei auch die Erfahrungen aus früheren Jahrhunderten eine Rolle. Im Jahr 1464 hatte Bern versucht, alle ländlichen Wochenmärkte bis auf wenige Ausnahmen abzuschaffen. Drei Jahre später verboten die Ratsherren sogar sämtliche ländlichen Jahrmärkte. Wirkung zeigten solche Einschränkungen kaum. Eher im Gegenteil: Im 16. Jahrhundert organisierten sich vielerorts die Handwerker und Gewerbler in Zünften und etablierten teils bewilligt, teils auf eigene Faust immer neue Markttermine. So nahm die Zahl der ländlichen Märkte sogar noch zu.

Früh entstandene Viehmärkte
Während Sumiswald mit seinem Wunsch nach einem eigenen Handelsplatz eher spät dran war, entstanden überall im Land schon deutlich früher Märkte. Gerade in abgelegenen Gegenden war dies eine schlichte Notwendigkeit. Als Fortbewegungsmittel dienten jahrhundertelang vor allem die eigenen Füsse. War also die nächste Stadt mehr als ein paar Stunden entfernt, kam sie als Marktplatz kaum noch in Frage – man denke nur an den Tier- oder Warentransport.

Wollten die Leute in den Randregionen also Handel treiben, mussten sie das auf ihren eigenen Märkten tun. So erklärt sich vermutlich, dass Frutigen als wichtiger Ort für die Viehzucht schon recht früh einen solchen Markt hatte. Erstmals bezeugt ist dieser Frutigmärit für das Jahr 1367. Für viele Orte gibt es solche schriftlichen Quellen gar nicht, sodass unklar bleibt, ab wann vor Ort tatsächlich Handel getrieben wurde.

Dass man über die früh entstandenen Märkte wenig weiss, mag auch daran liegen, dass die Obrigkeit in manchen Gegenden häufig wechselte. Auch dafür ist Frutigen ein Beispiel. Bevor Bern im Jahr 1400 die Talschaft aufkaufte, war sie mehrmals verpfändet und unterverpfändet worden. Und auch als Bern dann das Sagen hatte, mischte es sich in das Marktwesen des abgelegenen Oberlandes kaum ein. Solange ein Ort nicht zum Machtfaktor wurde und sich niemand beklagte, war für die Berner Ratsherren auch der örtliche Markt nicht besonders wichtig. Man sah die Märkte eher als Notwendigkeit: Auch in den abgelegenen Gegenden sollten die Leute handeln dürfen; jede Talgemeinde durfte ihren Markt haben. Etwas genauer schaute man im weniger kleinräumigen Mittelland hin. Dort schien den Berner Ratsherren ein Marktort pro Amt angemessen.

Im Laufe der Zeit wurden sämtliche Märkte im Kanton Bern erfasst, unter anderem mit dem Ziel, einen reibungslosen terminlichen Ablauf zu gewährleisten. Auf Änderungswünsche wurde, sofern sie begründet waren, meist eingegangen. Ab und an wünschte sich ein Ort eine Verschiebung seines Markttermins, um der Konkurrenz eines Nachbarorts auszuweichen oder sich Vorteile gegenüber Mitbewerbern aus einem anderen Kanton zu verschaffen. Sah man auch in Bern einen Vorteil, wurde das Gesuch meist gewährt.

Betrachtet man die gesamte Schweiz, so war Zahl und Grösse der Märkte stets von der wirtschaftlichen und politischen Grosswetterlage beeinflusst. Krieg oder Frieden, Seuchen, Missernten und Auswanderungswellen – all das wirkte sich auf das Marktwesen aus. Erstaunlicherweise waren Kriegszeiten für den Markthandel nicht immer schlecht. So war der 30-jährige Krieg eine Phase der Hochkonjunktur, weil die Schweiz mit ihren Waren und Lebensmitteln die versehrten Nachbarländer versorgen und dabei entsprechende Preise verlangen konnte. Das änderte sich nach Kriegsende – die Nachfrage sank, die Preise brachen ein, die Zahl der Märkte nahm wieder ab.

Kaufhäuser als neue Marktplätze
Mit dem Aufkommen neuer Transportmittel wie Bahn oder Auto verloren viele Märkte ihre Bedeutung. Nun war es möglich, sich Waren auch über grosse Distanzen rasch zu beschaffen, bald übernahmen Kaufhäuser und «fliegende Händler» die Rolle, die zuvor die Märkte hatten. In ihrer noch recht ursprünglichen Form hielten sich lediglich die ländlichen Viehmärkte.

Dass heute noch Märkte und insbesondere Jahrmärkte stattfinden, ist vor allem Ausdruck einer langen Tradition. Nicht umsonst finden die Märite im Oberland noch immer im Herbst statt – zu einem Zeitpunkt, wenn das Vieh nicht mehr auf der Alp ist. So war es immer, so ist es Brauch.

Natürlich gibt es Marktbesucher, die auf ihrem Märit ganz bestimmte Waren suchen, auf die sie seit Jahren schwören: Kleidung, Werkzeug, Naturprodukte. Kinder freuen sich über das Spielzeugangebot und nicht alltägliche Süsswaren. Für viele andere ist der Märit ein beliebter Treffpunkt, ein Ort der Begegnung und des Austauschs von Neuigkeiten und Gerüchten. Zumindest das ist über all die Jahrhunderte gleich geblieben.


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