Falten und Furchen auf der Gemmi
18.07.2025 Kandersteg, KulturAuf einer zweieinhalbstündigen Wanderung via Spittelmatte und Daubensee zum Gemmipass treffen aufmerksame Berggänger auf verschiedene Kunstwerke. Die Arbeiten fügen sich, von den beteiligten Kunstschaffenden so gewollt, mehr oder weniger harmonisch in die alpine Landschaft ...
Auf einer zweieinhalbstündigen Wanderung via Spittelmatte und Daubensee zum Gemmipass treffen aufmerksame Berggänger auf verschiedene Kunstwerke. Die Arbeiten fügen sich, von den beteiligten Kunstschaffenden so gewollt, mehr oder weniger harmonisch in die alpine Landschaft ein. Zu bestaunen sind die Installationen bis am 12. Oktober.
Mit einer kleinen Einweihungsfeier eröffnete der Schweizerische Alpenclub (SAC) am 6. Juli das Projekt «Passage – Kunst am Gemmipass». Den ganzen Sommer über bis in den Herbst hinein können sich Wanderer mit 13 verschiedenen Kunstinstallationen auseinandersetzen, die den Weg über die Gemmi säumen und frei zugänglich sind. Einige Werke sind eher versteckt aufgebaut, andere leuchten einem schon von Weitem entgegen.
Verhältnis Mensch und Natur
Vor rund zwei Jahren haben die vom SAC beauftragten Kuratoren Beate Engel und Peter Erismann verschiedene Kunstschaffende aus der ganzen Schweiz zur Teilnahme am Kunstprojekt «Passage» angefragt.
Wie der Name schon sagt, steht das «Passieren», das Überqueren eines Passweges, im Vordergrund, aber auch das Verhältnis des Menschen zur Natur wird thematisiert. Nach einer ersten Begehung des Weges beschäftigten sich die von der gewaltigen Landschaft überwältigten KünstlerInnen mit der Realisierung ihrer Objekte. Sie setzten sich auf kreative Weise mit der historischen Bedeutung des Gemmipasses als Alpenübergang, der umliegenden Natur, dem Klimawandel und dem Tourismus auseinander. Ab Mitte Juni wurden ihre Werke installiert. Sie sollen die Besucher zum Austausch, zum Nachdenken und zum sinnlichen Erleben einladen.
Vielfältige Installationen
Einige der Werke fallen sofort auf. Sabina Lang und Daniel Baumann aus Burgdorf brachten an einer schräg zum Wasser abfallenden Felswand ein weisses Steleneck an.
Das geometrische Gebilde mit seinen glatten, geradlinigen Formen bildet einen markanten Kontrast zur umliegenden zerfurchten Felslandschaft. Einen der Masten der mächtigen Leitung, die den Strom über die Gemmi transportiert, nutzte das Lausanner Künstlerkollektiv «Fragmentin». Es installierte dort eine daran hochkletternde Figur aus blau bemalten Flugwarnkugeln.
Schon von weitem stechen den Wandernden die beiden grellorangen Tunnelportale von Sibylla Walpen in die Augen. Die in Visp aufgewachsene Mixed Media-Künstlerin griff eine Idee aus den 1950er-Jahren auf, die den Bau einer Autostrasse von Kandersteg über den Gemmipass nach Leukerbad vorschlug. «Ich stelle mir vor, dass die Tunneleingänge die Fantasie der Betrachter ankurbeln und zu Spekulationen anregen», sagt sie.
Andere Installationen sieht man erst auf den zweiten Blick, zum Beispiel die in Schafwolle gehüllte Glocke von Christophe Burgess (Wallis) in der Altelshütte oder die Kissen aus weissem Kunstleder auf diversen Ruhebänken. Die vom Walliser David Loretan entworfenen Sitzunterlagen symbolisieren Schneeflecken und sollen auf den Klimawandel aufmerksam machen.
Von der Idee zum Kunstwerk
Das kunstschaffende Ehepaar Klara Schilliger und Valerian Maly aus La Chaux-de-Fonds durchlief etliche Prozesse, bis ihr Werk am Fusse einer durchfurchten Felswand oberhalb des Berghotels Schwarenbach aufgebaut war. Inspiriert von den Alpenfalten und den mittels Wettbewerb gesuchten schönsten faltigen Gesichtern aus Kandersteg und Leukerbad – den beiden Orten, die der Gemmipass verbindet – machte sich das Künstlerpaar an die Arbeit.
Mit einem vom Alpenclub zur Verfügung gestellten Budget gingen sie daran, einen Unterstand zu planen, der den Berggängern Schutz bieten soll. Nach Malys Idee entwarf ein Grafiker ein 3D-Gebilde der Installation auf dem Computer: ein faltenwerfendes Geflecht aus Weiden, das Wind und Wetter trotzt. Zudem musste sich die Konstruktion perfekt den Mulden der Wiese anpassen. Fünf von sechs Einzelteilen wurden vorab von professionellen Korbflechtern angefertigt und anschliessend mit dem Helikopter an den Ausstellungsplatz geflogen.
Vor Ort wurde von der Flechtgruppe Salix das sechste und grösste Teil hergestellt und Schilliger/Maly flochten schliesslich die Schafwollbahnen von Gemmischafen ein, die wiederum das Thema Falten und Furchen aufnehmen.
Hat Kunst in der Berglandschaft Platz?
Diese Frage stellen sich sicher etliche BerggängerInnen beim Anblick der Werke – wenn sie diese überhaupt wahrnehmen. Das war auch dem Künstlerpaar Schilliger/Maly bewusst.
Als sie den Auftrag im Namen des SAC erhielten, stellten sie sich selber die Fragen: «Braucht es etwas derartiges und was kann man dieser übermächtigen Natur entgegensetzen?» Deshalb verwendeten sie für ihre Installation natürliche Materialien aus der Gegend.
Beim einwöchigen Aufbau vor Ort liessen sich die beiden auf spannende Diskussionen mit Passanten ein, die das Ganze fragend oder kritisch beobachteten. Mit viel Humor stellten sie sich dem Thema. Nach einem solchen Gespräch meinte ein zufällig vorbeikommender Wanderer: «Ihr Werk ist also Natural Intelligence!»
Die beeindruckende Natur auf dem Pass bleibt, das Projekt «Passage – Kunst am Gemmipass» ist vergänglich: Alle Installationen müssen von den Kunstschaffenden nach Ausstellungsende am 12. Oktober bis auf die letzte Schraube abgebaut und entsorgt werden.
CORINA SCHRANZ-LINDT
Weitere Infos: gemmi-passage.ch
Veranstaltungen: 3. Juli bis 27. August: Filmpräsentation in der Rex Box, Kino Rex Bern. 20. Juli: Picknick mit Studio sanft, Reservation per Mail an sanftstudio@gmail.com. 28. September: Fluid Academy, Reservation per Mail an info@gemmi-passage.ch. 11. Oktober: Finissage mit Gruppenperformance.