«Freie Kapazitäten sind schon lange gemeldet»
15.11.2022 PolitikASYLWESEN Der Kanton sucht händeringend nach zusätzlichen Unterkünften für Geflüchtete. Der Druck wird an die Gemeinden weitergegeben, doch dieses Vorgehen löst das Problem nicht. Passende Räume sind beispielsweise auch im Frutigland Mangelware, wie die ...
ASYLWESEN Der Kanton sucht händeringend nach zusätzlichen Unterkünften für Geflüchtete. Der Druck wird an die Gemeinden weitergegeben, doch dieses Vorgehen löst das Problem nicht. Passende Räume sind beispielsweise auch im Frutigland Mangelware, wie die Regierungsstatthalterin bestätigt.
HANS RUDOLF SCHNEIDER
Die Bundesasylzentren sind belegt und es werden weitere Flüchtlinge erwartet – teils aus der Ukraine, aber auch aus anderen Ländern wie Afghanistan oder der Türkei. Die Asylsuchenden werden deshalb zügig an die Kantone weitergereicht. Allein im Kanton Bern rechnet man in der nächsten Zeit mit rund 100 Personen pro Woche, für die Unterkünfte zur Verfügung gestellt werden müssen. Doch auch die rund 1000 zusätzlichen Plätze, die der Kanton in den nächsten Monaten vorbereitet, reichen kaum. Also wird das Problem nach unten weitergegeben: Im Fokus stehen nun die Regierungsstatthalterämter und die Gemeinden.
Angespannte Lage
Das Gesetz unterscheidet zwischen normaler Lage, angespannter Lage und Notlage. Seit März gilt im Kanton Bern die angespannte Lage gemäss Artikel 30 des Gesetzes über die Sozialhilfe im Asyl- und Flüchtlingsbereich (SAFG). Dies ermöglicht es dem Kanton, die Regierungsstatthalterämter dazu zu verpflichten, in Zusammenarbeit mit den Gemeinden innerhalb einer angemessenen Frist eine bestimmte Zahl an kurzfristig verfügbaren Unterbringungsplätzen festzulegen. Auf der höchsten Eskalationsstufe kommen die Bestimmungen des Kantonalen Bevölkerungsschutz- und Zivilschutzgesetzes (KBZG) zum Zuge. Darin sind die Gemeinden gemäss Artikel 22 verantwortlich für die Bewältigung von Katastrophen und Notlagen in ihrem Gebiet. Der Kanton spricht derzeit deutlich von der Vorbereitung auf ein Notszenario. Dann müssten beispielsweise Mehrzweckhallen und Zivilschutzanlagen in Betrieb genommen werden.
Auch Private gefragt
Doch auch auf der regionalen Verwaltungsebene können nicht Kollektivunterkünfte en masse herbeigezaubert werden. Was heisst das konkret für Ariane Nottaris, Statthalterin im Verwaltungskreis Frutigen-Niedersimmental? Völlig überraschend sei die Situation nicht, seit Kriegsbeginn in der Ukraine nehme die Zahl an Flüchtlingen zu. «Glücklicherweise haben viele Privatpersonen ihre Unterstützung angeboten. Das hat die Situation entschärft und die Behörden massiv entlastet.» Aktuell seien die Ereignisse und die Entwicklung aber schwer vorauszusehen.
Ariane Nottaris erklärt, dass sie derzeit vor allem Koordinations- und Vermittlungsstelle sei, wenn es um konkrete Angebote für die Unterbringung gehe. Die Besichtigungen und Verhandlungen über Nutzungsdauer, Mietkonditionen usw. würden direkt von der Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion (GSI) übernommen. Dabei seien nicht nur gemeindeeigene Liegenschaften gefragt, sondern auch private Angebote. Geeignete Räume – grosse Häuser und spezifisch für unbegleitete Minderjährige geeignete Unterkünfte – seien jedoch weniger vorhanden als während der letzten grossen Flüchtlingswelle 2015 / 2016, auch wegen der guten Auslastung von Wirtschaft und Tourismus. Etliche alte, leer stehende Gebäude seien seither saniert oder abgebrochen und durch neue ersetzt worden. Die Statthalterin hat im Auftrag der GSI die Gemeinden gebeten, Leerstände zu melden. «Die Gemeinden im Verwaltungskreis Frutigen-Niedersimmental haben diesen Aufruf ernst genommen und die verbleibenden Gebäude, die allenfalls für eine Nutzung infrage kommen, bereits zu Beginn der Ukraine-Krise gemeldet», erklärt Nottaris. Mehr gebe es einfach nicht.
Gemeinden am Limit
Auch Frutigen als grösste Regionsgemeinde spürt den Druck. Welche Möglichkeiten kann sie anbieten? «Leider zurzeit keine mehr», sagt Gemeindeschreiber Peter Grossen. «Im äussersten Notfall könnte noch die Zivilschutzanlage Marktplatz infrage kommen: Küche, Sanitäranlagen inklusive Duschen sind dort vorhanden, jedoch unter Tage.» Das alte Schulhaus im Hasli wäre noch leer stehend, ist jedoch aktuell aus Sicherheitsgründen nicht bewohnbar. Man warte schon über ein Jahr auf den Umzonungsentscheid des Kantons. Anschliessend sei vorgesehen, das Objekt zu verkaufen. Aber eben: Aktuell ist die Nutzung nicht möglich.
Bekannte Eigentümer von infrage kommenden Liegenschaften seien weitgehend kontaktiert worden. Das Fazit: «Leider bisher ohne Erfolg.» Ob man auch Wohnungsvermieter angehen will, ist derzeit unklar. «Die Frage wird letztlich sein, wie hoch der Mietzins sein darf. Bund und Kanton wären zudem auch in der Pflicht», spielt Peter Grossen den Ball zurück. Offenbar wurde die Gemeinde bereits auf die militärische Anlage beim Tanzplatz angesprochen, doch befindet sich diese im Bundesbesitz. In den anderen Gemeinden ist die Situation nicht grundlegend anders.
Kandersteg bleibt Reserve
Unter den Zugewiesenen befinden sich viele unbegleitete Minderjährige, wie der Kanton festgestellt hat. Für deren Aufnahme wurde in Kandersteg bereits im Herbst 2016 das Gebäude der ehemaligen Armeeapotheke (siehe Bild) an der Äusseren Dorfstrasse 139 vorbereitet. Die Unterkunft wurde als «strategische Reserve des Kantons» bezeichnet. Bis zu 40 Jugendliche sollten nach dem damaligen Konzept untergebracht und betreut werden können. Geöffnet werden musste die Anlage bisher nicht und wird es vorderhand auch nicht. Laut GSI-Kommunikationschef Gundekar Giebel ist sie nicht aktiv und «gilt weiterhin als Notreserve». Gemäss Abmachung mit der Gemeinde Kandersteg von 2016 würde die Anlage vom Verein Zugang B betrieben, der früher als Zentrum Bäregg bekannt war.
Ansprüche anpassen?
Für Ariane Nottaris stimmt die Haltung des Kantons, dass jeder Asylsuchende ein Dach über dem Kopf erhalten soll. Sie weist aber auch darauf hin, dass es damit meist nicht getan sei. Sie frage sich, wie die Gemeinden diese Aufgabe meistern sollen, nachdem sie bereits seit dem Frühjahr aktiv mithelfen. «Wo finden sie neue Unterkünfte? Wer übernimmt die Betreuung der Schutzbedürftigen und Asylsuchenden?» In der Betreuungsbranche herrsche ein Personalnotstand, der nicht auf die Gemeinden abgewälzt werden könne. Allenfalls müsse man die Ansprüche anpassen, schliesslich sei es eine – hoffentlich – vorübergehende Situation.
Unterkünfte können direkt dem Amt für Integration und Soziales gemeldet werden. Weitere Infos finden Sie auf www.frutiglaender.ch im Bereich Web-Links.