Handy-Stress im Klassenzimmer?
02.09.2025 GesellschaftUnkonzentrierte SchülerInnen oder gar Cybermobbing: Das Handy im Klassenzimmer und auf dem Pausenplatz wird zum Problem. Im Wallis gibt es neu ein kantonales Handyverbot an allen Schulen, ebenso im Kanton Aargau. Wie handhaben die Schulen im Frutigland den Umgang mit dem Handy? ...
Unkonzentrierte SchülerInnen oder gar Cybermobbing: Das Handy im Klassenzimmer und auf dem Pausenplatz wird zum Problem. Im Wallis gibt es neu ein kantonales Handyverbot an allen Schulen, ebenso im Kanton Aargau. Wie handhaben die Schulen im Frutigland den Umgang mit dem Handy?
RACHEL HONEGGER
Der Hilfeschrei einer Lehrperson gab in Adelboden den Anstoss zur neuen Handyregelung an der OSS, die seit Herbst 2024 gilt. Ihr Foto, von Schülern auf dem Oberstufenareal aufgenommen und mit einer App verändert, wurde rumgeschickt. Schulleiterin Andrea Schranz hat umgehend reagiert: «Wir haben einen Elternbrief verschickt, dass per sofort ein Handyverbot an unserer Oberstufenschule gilt.» Ausserdem gibt es einen Ehrenkodex, welchen alle SchülerInnen, Eltern aber auch neue LehrerInnen unterzeichnen müssen. Darin wird festgehalten: Das Handy ist deaktiviert und wird an einem dafür vorgesehenen Ort deponiert. Es darf sowohl im Schulhaus wie auch auf dem Pausenplatz nur mit ausdrücklicher Erlaubnis einer Lehrperson genutzt werden.
Die Kinder spielen wieder in der Pause
Auch wenn vorher schon die Regelung galt, dass Handys weder sicht- noch hörbar sein dürfen, hat die Neuerung einen spürbar positiven Effekt auf die SchülerInnen. Eine Lehrerin vom Boden habe ihr erfreut rückgemeldet, dass die Kinder der Oberstufe in den Pausen nun endlich wieder miteinander spielen, das habe vorher nicht mehr stattgefunden. Ähnliches beobachtet auch Oberstufenlehrer Tobias Bleuer. Er unterrichtet Medien und Informatik und ist zugleich für die Beratung der Lehrpersonen zuständig, wenn es um digitale Medien geht. «Nach der Schule wird nicht gleich das Handy gezückt, die Jugendlichen plaudern wieder miteinander. Das ist die grösste Veränderung, die ich feststelle.»
Und Lehrerin Salome Glarner, sie unterrichtet WAH (Wirtschaft, Arbeit und-Haushalt) sowie BG (Bildnerisches Gestalten), sagt: «Auch wenn das Handy vorher nicht sicht- und hörbar war – sobald die SchülerInnen es in der Hosenoder Pullover-Tasche hatten, war dies eine extreme Ablenkung. Kaum vibriert es, hatten sie schon die Finger dran. Oder es ging plötzlich aus Versehen Musik los. Seit der neuen Regelung ist viel weniger Ablenkung im Raum.»
Bessere Konzentration, weniger sozialer Druck
Dies fällt auch David Flückiger auf, er ist Co-Schulleiter an der Oberstufe Frutigen: «Bis zum letzten Schuljahr durften Handys bei uns weder sicht- noch hörbar sein, aber natürlich waren sie trotzdem präsent. Es gab Fälle, da gingen die Kinder auffällig öfter aufs WC. Oder es kam einmal vor, dass sie im Unterricht trotzdem heimlich Fotos gemacht haben.» Auch hätten Smartphones zu sozialem Druck geführt. Deswegen geht man auch in Frutigen seit dem neuen Schuljahr einen Schritt weiter und hat ein Handyverbot erlassen, inspiriert von Schulen und Kantonen, welche diesbezüglich Vorreiter waren.
Die neue Regelung gibt vor, dass mobile Geräte weggesperrt werden müssen. Jeder Schüler, jede Schülerin hat einen persönlichen Spind. Dort ruht das Handy während der Schulzeit. Wer über Mittag auf dem Areal bleibt, der darf es im Mittagstischraum benutzen. Auch Flückiger beobachtet, wie in Adelboden, einen positiven Effekt dank des Verbots: «Wir haben das Gefühl, die SchülerInnen können sich besser konzentrieren, seit das Handy nicht mehr da ist.» Da die Kinder einen eigenen Schlüssel zu ihrem Schliessfach haben, sind sie trotz allem noch in der Eigenverantwortung. Und natürlich gibt es dann auch mal Querschläger, welche testen, wie weit sie gehen können: «Eben erst ist ein Neunteler so provokativ mit seinem Handy über den Schulhausplatz geschlendert, dass wir es eingezogen haben. Aber das ist ein Einzelfall.» Verstossen die SchülerInnen nämlich gegen das Handyverbot, dann wird es eingezogen und muss von den Eltern abgeholt werden. Die Unterstützung seitens der Eltern erachten die Schulen als einen den wichtigsten Faktoren.
So handhabt dies auch Adelboden. Wird mehrfach gegen die Regeln verstossen, wird das Handy auch hier eingezogen bis die Eltern es abholen.
Ein Parkplatz fürs Handy
Die Umsetzung des Verbotes variiert in Adelboden aber je nach Lehrperson. Einige LehrerInnen haben eine Schublade für die Handys, welche die Kinder morgens abgeben müssen und am Mittag wieder zu sich holen dürfen. Andere haben einen regelrechten Handyparkplatz eingerichtet. Salome Glarner sammelt die Geräte in einem Körbchen ein. Allerdings, und diese Beobachtung teilen auch die anderen Lehrpersonen in Adelboden, nehmen viele Kinder seither ihr Handy gar nicht mehr mit zur Schule. «Dies finde ich einen wahnsinnig schönen Nebeneffekt», erwähnt Glarner, «dass seither viele SchülerInnen entschieden haben, das Handy gleich zu Hause zu lassen.»
Nicht so Elijah Germann. Der zwölfjährige Siebtklässler muss sein Handy jeweils morgens in der vorgesehenen Box parken. «Ich nehme es mit, damit ich auf dem Schulweg etwas am Handy machen kann, zum Beispiel Videos schauen, dann ist der Weg spannender.» Dabei sei er auch schon mal in einen Laternenpfahl gelaufen, vor lauter Blick aufs Handy. Sein Schulweg dauert notabene nur fünfzehn Minuten. Pro Tag sei er etwa eine bis zwei Stunden am Smartphone, das Gerät hat er bereits seit der vierten Klasse.
Auch die Neuntklässlerin Selina Schüpbach nutzt den Handyparkplatz. Sie kann das Handyverbot nur teilweise nachvollziehen: «Dass wir das Handy während des Unterrichts abgeben müssen, finde ich gut wegen der Konzentration. Aber wir dürfen es auch draussen auf dem Schulhof nicht nutzen. Das finde ich unnötig, dort müssen wir uns ja nicht konzentrieren.» Während der Schulzeit sei ihr Handykonsum nicht so hoch, in den Ferien aber durchaus mehrere Stunden pro Tag.
Für Jael Dummermuth, Ron Thurm und Aaron Schwarz ändert sich betreffend der eigenen Handynutzung in der Schule mit dem Verbot nicht viel, sie liessen ihr Smarthphone schon davor jeweils zu Hause. «Gewissen SchülerInnen hat es aber gar nicht gepasst», so Aaron Schwarz. Und etwas sei auffällig: «Es kursiert weniger online oder auf Whats-App. Und es sind weniger GIFs im Umlauf, das ist schon besser geworden.» GIF heisst «Graphics Interchange Format» und ist eigentlich ein Grafikformat, mit dem man Animationen oder Grafiken erstellen kann.
Mit verschiedenen Handy-Apps können die Jugendlichen aber beliebige Fotos, zum Beispiel von anderen SchülerInnen oder eben auch LehrerInnen, verändern und missbrauchen.
Die SchülerInnen machen sich strafbar
Dass die SchülerInnen sich dabei strafbar machen, wenn sie solche Fotos verschicken, dessen seien sie sich zu wenig bewusst, weiss die Adelbodner Schulleiterin Andrea Schranz. Ausserdem entstehe dann ein gewisser Gruppenzwang. Jeder will ein noch cooleres Bild machen, bis schlimmstenfalls am Schluss eben ein Hilferuf einer Lehrerin notwendig wird. Deswegen sei es wichtig, nicht ein Handyverbot an Schulen zu erlassen, sondern die Kompetenzen der SchülerInnen zu fördern. Dies hält der Verband der Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz in einem Positionspapier fest, welches er soeben zusammen mit dem Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer veröffentlicht hat.
Dort ist zu lesen, dass die Selbst-, die Sozial- und die Medienkompetenz geschult werden soll. Damit die Jugendlichen Selbstregulierung lernen und das Suchtpotenzial vermindert werde. Ermächtigung statt Verbot, so der Ansatz. Die Frage ist, ob es dazu das Handy braucht, um diese Kompetenzen zu erwerben.
Anerkannte Neurowissenschaftler oder auch der amerikanische Psychologe und Autor Jonathan Haidt, welcher ein vielbeachtetes Werk zum Thema veröffentlicht hat, verneinen dies. Und Schulleiterin Andrea Schwarz meint dazu: «Ich finde auch, dass die SchülerInnen Hilfe benötigen im Umgang mit Medien – das lernen sie aber nicht mit dem Smartphone. Im Unterrichtsfach Medien und Informatik geht es genau darum. Fake News erkennen, digital oder analog usw. Ich bin aber der Meinung, dass die heutigen Jugendlichen lernen müssen, dass es Räume gibt, die handyfrei sind. Am Mittagstisch, im Schlafzimmer, in der Schule – und dafür braucht es klare Regeln. Ob dies dann ein Verbot ist, ist meiner Meinung nach Auslegungssache. Aber erst mit Regeln lernen die Kids auch, sich zu reflektieren. Das Suchtpotenzial ist zu hoch, als dass es ohne geht.»
Es scheint, dass viele Schulen aktuell diese Haltung teilen und auch ohne kantonale Anordnung ein Handyverbot an den Oberstufenschulen im Tal und den umliegenden Gemeinden Einzug gehalten hat. Auch an der OSS in Reichenbach müssen die SchülerInnen ihre Geräte abgeben. Ein überparteilicher parlamentarischer Vorstoss im Kanton Bern, der eine klare gesetzliche Grundlage für smartphonefreie Schulen forderte, wurde allerdings abgewiesen.
Der Regierungsrat beruft sich auf die notwendigen Grundlagen im Volksschulgesetz und im Mittelschulgesetz: «Nebst den bereits vorhandenen gesetzlichen Vorgaben ist der Regierungsrat der Ansicht, dass es den Volksschulen und den Schulen der Sekundarstufe II obliegt, wie sie die Nutzung von Smartphones und anderen digitalen Geräten auf dem Schulareal definieren», ist in der Antwort auf den Vorstoss zu lesen. Ausserdem liege mit dem Lehrplan 21 bereits eine Richtschnur bei der Ausgestaltung von Regeln zur Nutzung von Smartphones vor.
Eine kantonale Regelung wäre wünschenswert
Dass der Kanton Bern den Schulen in vielen Bereichen grosse Freiheiten lasse, sei oftmals ein Vorteil, darin sind sich sowohl Schulleiterin Andrea Schranz aus Adelboden wie auch Co-Schulleiter David Flückiger aus Frutigen einig. Beim Thema Handy würden allerdings beide ein kantonales Verbot begrüssen: «Grundsätzlich bin ich froh, dass uns der Kanton Bern so viel Freiheit lässt. In diesem Fall fände ich es aber mutig und stark, wenn der Kanton Handys an Schulen verbieten würde. Es wäre ein gutes Zeichen und eine Entlastung für die Schulen», so Flückiger. Auch Schranz ist überzeugt, dass ein kantonales Verbot für die Schulen hilfreich wäre – und mehr noch, es würde auch die Eltern entlasten. Es sei ein Phänomen, dass Eltern immer weniger Einfluss auf ihre Kinder hätten und ihre erzieherische Funktion verlieren würden.
Was die Jugendlichen selbst betrifft, da beobachtet Schranz beim Thema Smartphone geschlechtsbedingte Unterschiede. Während die Mädchen sich eher am Handy auf den sozialen Medien bewegen, sind die Jungs lieber am Computer und gamen. Eines sei in Bezug aufs Handy aber bei vielen gleich: «Sie haben noch nicht den richtigen Umgang damit. Das können sie schlichtweg nicht, sie sind überfordert.»
Medienkompetenz statt Überforderung
Dieser Überforderung will auch Stephan Kernen, Schulleiter an der Oberstufe in Aeschi, entgegenwirken: «Wir haben uns gegen ein Komplettverbot entschieden, denn irgendwo müssen die Jugendlichen ja Medienkompetenz erlernen. Und ausserdem ist es manchmal auch schlichtweg praktisch, wenn die SchülerInnen sozusagen einen Mini-Computer in der Hosentasche haben, beispielsweise für die Nutzung von Kahoot.» Kahoot ist eine spielbasierte Lernplattform, die unter anderem über eine App am Handy genutzt wird.
Ansonsten sei die Regelung aber auch an ihrer Schule sehr restriktiv: Das Handy muss ausgeschaltet sein und darf nur für den Unterricht, auf Anweisung einer Lehrperson, benutzt werden. Auch hier in Aeschi wird das Handy eingezogen, wenn sich die SchülerInnen nicht daran halten und bleibt eine Woche bei der Lehrperson, ausser die Eltern fordern es zurück. Das komme aber sehr selten vor.
Einen gesunden Umgang mit digitalen Geräten und sozialen Medien – dies ist auch das Anliegen von Tobias Bleuer, dem Medien- und Informatiklehrer in Adelboden. Deswegen sei die aktuelle Regelung an der Schule für ihn eine Gratwanderung. Einerseits wolle auch er den Jugendlichen einen bewussten Umgang beibringen, andererseits gibt es nun dieses Verbot. Dessen Notwendigkeit sieht er dennoch, vor allem auch deshalb, weil sie in diesem Alter noch unglaublich beeinflussbar seien.
Einig sind sich also alle, wenn es um die Handynutzung an Schulen geht: Zuoberst steht das Wohl der Kinder und Jugendlichen. Lehrerin Salome Glarner sagt, mit dem Verbot nehme man den SchülerInnen eine Entscheidung ab, und das mache für diese den Verzicht einfacher. «Eigentlich tut man ihnen einen Gefallen damit.» Ähnlich sieht David Flückiger das Handyverbot: «Wir wollen die SchülerInnen schützen und erweisen ihnen einen Dienst damit. Viele Kinder merken, dass es ihnen guttut, und wir gehen davon aus, dass auch die Mehrheit der Eltern froh ist, wenn wir dies so handhaben.»
Handyverbot, klare Regeln oder Kompetenzen stärken: Vermutlich braucht es nicht das eine oder das andere, sondern eine gute Mischung von allem.
Siehe auch «Was sagt die "Hirnflüsterin" zum Handy-Verbot?»
Regeln an unseren Schulen: Ein Überblick
In den Primarschulen der Frutigländer Gemeinden scheint das Handy noch kaum Thema zu sein. Dennoch haben einige beispielsweise in der Hausordnung geregelt, dass Handys und ähnliche Geräte daheimbleiben müssen, andere sind in der Planung konkreter Regelungen.
In den nicht porträtierten Oberstufenschulen in Reichenbach und an der Erlebnisschule Frutigland (1. bis 9. Klasse) müssen die SchülerInnen das Handy bei Schulbeginn abgeben und erhalten es nach Unterrichtsende wieder zurück; auf dem Schulgelände gilt Handyverbot.
RH