«Ich schlafe noch gut»
01.10.2024 KanderstegIm Frühsommer bekam das Dorf Besuch von den beiden SRF-Moderatoren Mona Vetsch und Tobias Müller. Für ihre Sendung «Bröckelnde Berge» wollten sie herauszufinden, wie Bewohner und Verantwortungsträger mit der Bedrohung durch den Spitzen Stein umgehen. ...
Im Frühsommer bekam das Dorf Besuch von den beiden SRF-Moderatoren Mona Vetsch und Tobias Müller. Für ihre Sendung «Bröckelnde Berge» wollten sie herauszufinden, wie Bewohner und Verantwortungsträger mit der Bedrohung durch den Spitzen Stein umgehen. Das Ergebnis war am Donnerstagabend zu sehen – und dürfte höchstens Aussenstehende überrascht haben.
BIANCA HÜSING
Die Rollenverteilung in diesem TV-Beitrag entspricht mindestens zwei Klischees: emotionalisierende Journalisten versus entspannte Bergler, abenteuerlustiger Mann versus Frau, die vorwiegend fürs Reden zuständig ist. Während also Mona Vetsch («DOK») diverse DorfbewohnerInnen interviewt, kraxelt T obias Müller («Einstein») mit Nils Hählen (Leiter der Abteilung Naturgefahren) im Gebiet Spitzer Stein herum. Was die SRF-Moderatoren eint, ist der Stil ihrer Fragen. Beide versuchen, Gefühle aus ihren Gesprächspartnern herauszukitzeln, beissen dabei aber meistens auf Granit. René Maeder wird von Mona Vetsch geradezu herausgefordert, über sein Amt zu klagen: «Als Gemeinderatspräsident stehen Sie mittendrin. Im Berg rumpelt’s und im Dorf ist ja auch Bewegung. Keine einfache Position, die Sie da haben ...» Maeder aber gibt sich gelassen: «Jaaa, es ist eine Herausforderung. Aber man lebt hier in den Bergen und weiss, dass immer was passieren kann. Ich schlafe noch gut.» Ähnlich äussern sich Gaby und Hans Rösti zu möglichen weiteren Felsstürzen in der Nähe ihres Wohnhauses. Die Chance, mit dem Auto auf dem Weg nach Zürich zu verunfallen, sei doch um einiges grösser, als durch einen Steinschlag erfasst zu werden, meint Hans Rösti lapidar.
Das Mass der Massnahmen
Anderes Setting, ähnliche Dialoge: Der Ausblick, der sich Tobias Müller und Nils Hählen von der Bergflanke oberhalb des Oeschinensees bietet, ist zweifelsohne imposant. Als dann noch das Geräusch rutschenden Gerölls die Stille durchbricht, wird dem SRF-Moderator scheinbar (ob es authentisch ist, weiss man nicht) etwas mulmig zumute. Nils Hählen dagegen bleibt gelassen: «Das werden wir heute noch öfter hören.» Auch auf die Fragen, wie er mit seiner Verantwortung fürs Dorf umgehe und ob er mit den von Einschränkungen betroffenen Bürgern mitfühle, bleibt der Wissenschaftler sachlich. Gleichwohl räumt er ein, dass er die wirtschaflichen und sozialen Aspekte seiner Arbeit nicht völlig ausblenden könne. Es sei wichtig, sich der Tragweite von Entscheiden bewusst zu sein und entsprechend massvoll vorzugehen.
«Massvoll» ist allerding ein dehnbarer Begriff. Casimir Platzer schlendert mit Mona Vetsch durch seinen Hotelgarten und beklagt, dass potenzielle Bauvorhaben durch die Planungszone verunmöglicht würden. Die Gefahr durch das Rutschgebiet spielt er herunter: «Am Schluss habe ich fast das Gefühl, dass wir in Kandersteg irgendwann keine Berge mehr haben werden, aber der Spitze Stein immer noch steht.» Wenn wirklich etwas passieren sollte, müssten doch die Schutzdämme greifen – dafür seien sie ja schliesslich da.
«Ich hätte null Bedenken, in Kandersteg zu wohnen»
Dass diese Rechnung nicht ganz aufgeht, wird wiederum im Gespräch mit René Maeder deutlich. Der Obmann stellt klar: «Das ganz grosse Ereignis könnten wir mit den Schutzverbauungen nicht abdecken.» Im schlimmsten Fall würden ihm Wasser und Schlamm – er steht im Gemeindehaus, während er dies mit den Händen andeutet – bis zum Haaransatz reichen. Beunruhigt wirkt er allerdings nicht. Die einzige Protagonistin in dieser Sendung, die ein wenig Angst durchschimmern lässt, ist Sportgeschäftinhaberin Käthy Steiner. Die 92-Jährige ist auf eine allfällige Evakuation jedenfalls schon vorbereitet: Ihre Notfalltasche steht griffbereit neben dem Bett.
Vorbereitet sind freilich auch die Wissenschaftler, die das Rutschgebiet permanent überwachen: Vor Ort betont Nils Hählen: «Ich hätte null Bedenken, in Kandersteg zu wohnen. Den Berg haben wir im Griff. Ich bin überzeugt, dass wir ein grösseres Ereignis voraussehen.»
18 Millionen Kubikmeter Gestein könnten ins Tal donnern, doch die meisten Gesprächspartner zeigen sich entspannt – ausser vielleicht im Hinblick auf die Planungszone. Insofern passt der Untertitel der Sendung eigentlich ganz gut: «Wie Berggemeinden der Gefahr trotzen». (Nebst Kandersteg kam in der Sendung auch Bondo vor.) Neue Erkenntnisse liefert die Doku höchstens für Aussenstehende, die noch nie etwas über den Spitzen Stein gelesen haben.
«Können wir uns das noch leisten?»
Manche Frage dürfte langfristig allerdings noch an Bedeutung gewinnen– zum Beispiel die von Mona Vetsch zu den millionenteuren Schutzmassnahmen: «Können wir uns als Gesellschaft diesen ganzen Aufwand überhaupt leisten, wenn das nicht nur hier passiert, sondern in Zukunft auch an ganz vielen anderen Orten?»
Die Sendung «Bröckelnde Berge» finden Sie in der SRF-Mediathek oder via www.frutiglaender.ch im Bereich Web-Links.