Interview mit Urs Schneider
14.10.2022 LandwirtschaftFür viele einheimische Bauernfamilien hätte die Annahme der MTI zum Teil grosse Veränderungen bedeutet – wie wichtig war das deutliche Nein?
Urs Schneider: Die Initiative hätte zu einer fundamentalen Veränderung der Schweizer Landwirtschaft ...
Für viele einheimische Bauernfamilien hätte die Annahme der MTI zum Teil grosse Veränderungen bedeutet – wie wichtig war das deutliche Nein?
Urs Schneider: Die Initiative hätte zu einer fundamentalen Veränderung der Schweizer Landwirtschaft geführt, entsprechend war das Resultat enorm wichtig. Manchmal gibt es bei Initiativen ja höchstens eine Akzentverschiebung – hier hätte die Initiative aber einen massiven Produktionsrückgang zur Folge gehabt. Unser Selbstversorgungsgrad beispielsweise bei Geflügel wäre sehr tief gesunken. Diese markante Absenkung der inländischen Produktion hätte zu massiv höheren Einfuhren von Produkten geführt, bei denen Tierwohlaspekte nur noch schlecht hätten kontrolliert werden können. Auch für die Ökobilanz wäre das kein Gewinn gewesen. Entsprechend mussten wir uns die Frage stellen, ob dies wirklich besser wäre.
Im Abstimmungskampf wurde das Preisargument ins Feld geführt, es wurde vor massiv höheren Kosten für Lebensmittel gewarnt – gleichzeitig monieren die Bäuerinnen und Bauern regelmässig, dass die Preise für ihre Produkte zu tief seien. Tatsächlich geben SchweizerInnen heute im Vergleich zu früher mit gut sechs Prozent nur noch einen Bruchteil ihres Einkommens für Lebensmittel aus. Ist es da nicht ein bisschen widersprüchlich, sich gegen höhere Lebensmittelpreise zu stemmen?
Das ist auf den ersten Blick tatsächlich ein Widerspruch und wir arbeiten auch nicht gerne mit diesem Argument. Wir haben vor der Abstimmungskampagne aber Vorabklärungen gemacht und festgestellt, dass Regionalität, weniger Importe und eben auch das Preisargument stechen. Für einen Teil der Bevölkerung insbesondere in den Städten spielt der Preis durchaus eine Rolle. Deshalb haben wir auch entsprechend darauf hingewiesen, dass bei Annahme der Initiative die Lebensmittelpreise entscheidend steigen würden. Diese Argumentation schliesst aber nicht aus, dass wir für die Bäuerinnen und Bauern bessere Preise wollen. Wir haben in diesem Zusammenhang nie gesagt, dass wir tiefere Preise wollen – wir wollen, dass ein höherer Anteil des Geldes bei den Produzentinnen und Produzenten bleibt.
Schon seit ein paar Jahren sind die Bäuerinnen und Bauern im Dauerabstimmungskampf und immer nur dagegen – wäre es für das öffentliche Image der Schweizer Landwirtschaft nicht besser, diese Trotzhaltung aufzugeben?
Es ist sicher nicht gut, dass wir ständig eine Ablehnungshaltung einnehmen müssen und uns in der Folge eine Blockadepolitik vorgeworfen wird. Wenn man aber die Entwicklungen beispielsweise beim Antibiotikaverbrauch oder im ökologischen Bereich anschaut, dann ist es doppelt schade, dass wir immer gegen solche Initiativen ankämpfen müssen. Wir unternehmen ja eigentlich viel, aber wir schaffen es noch zu wenig, der Bevölkerung diese Errungenschaften zu vermitteln, damit dieser Einsatz auch respektiert wird. Insofern sind solche Initiativen zwar sicher mühsam, aber gleichzeitig auch eine Chance, um breit aufzuzeigen, was die Bäuerinnen und Bauern leisten.
Für die Zukunft setzen wir uns ganz stark dafür ein, dass sich die neue Agrarpolitik nicht bloss zu einer Agrarpolitik, sondern zu einer ganzheitlichen Ernährungspolitik entwickelt, welche die ganze Wertschöpfungskette miteinbezieht. Die jüngsten und die zum Teil noch bevorstehenden Initiativen zielen alle auf die landwirtschaftliche Produktion, und das kann so einfach nicht funktionieren. Den Bäuerinnen und Bauern aufzuerlegen, nur noch nach Bio-Standards zu produzieren, wenn solche Produkte am Markt dann nicht abgesetzt werden können, geht nicht auf. Deshalb wäre ein gesamtheitlicher Ansatz wichtig.
INTERVIEW: RENATE HODEL, LID.CH / REDAKTION