Kein Bargeld für Asylsuchende?
06.02.2024 RegionKANTON Eine Motion aus den Reihen der SVP fordert die Einführung sogenannter Bezahlkarten. Damit soll verhindert werden, dass Geflüchtete staatliche Hilfen zweckentfremden. Ob das überhaupt passiert, ist umstritten. Der Frutiger Grossrat Martin Egger (GLP) unterstützt ...
KANTON Eine Motion aus den Reihen der SVP fordert die Einführung sogenannter Bezahlkarten. Damit soll verhindert werden, dass Geflüchtete staatliche Hilfen zweckentfremden. Ob das überhaupt passiert, ist umstritten. Der Frutiger Grossrat Martin Egger (GLP) unterstützt die Idee gleichwohl.
BIANCA HÜSING
Deutschland steht gerade vor einem Systemwechsel in der Flüchtlingsunterstützung. Im November einigten sich die Länderchefs gemeinsam mit Kanzler Scholz darauf, dass AsylbewerberInnen einen Teil ihrer finanziellen Leistungen nicht mehr bar, sondern in Form von Bezahlkarten erhalten sollen. 14 der 16 Bundesländer wollen sich nun an einem gemeinsamen Vergabeverfahren für die Einführung und Ausgestaltung der Bezahlkarten beteiligen, zwei gehen einen eigenen Weg. Die technischen Grundvoraussetzungen sollen überall dieselben sein: Die Karten werden mit einem gewissen Guthaben aufgeladen und ermöglichen den bargeldlosen Einkauf, quasi wie eine EC-Karte ohne verknüpftes Bankkonto. Was hingegen nicht möglich sein soll, sind Einkäufe im Ausland oder Überweisungen. Durch diese Einschränkungen soll verhindert werden, dass Asylsuchende staatliche Hilfsgelder zweckentfremden und beispielsweise in ihre Herkunftsländer schicken.
Einkauf nur noch in der Region
Mit dem Systemwechsel verfolgen die Länder unterschiedliche Ziele: Einigen geht es primär darum, die Digitalisierung voranzutreiben und den Verwaltungsaufwand zu reduzieren. Andere wollen die Flucht nach Deutschland unattraktiver machen, indem sie den Leistungsbezug stark einschränken. Je nach Motiv sind denn auch die Funktionen der Karte unterschiedlich. Die niedersächsische Stadt Hannover ist bereits vorgeprescht und hat im November die «SocialCard» eingeführt. Diese ist in ganz Deutschland einsetzbar und ermöglicht auch den Bezug von Bargeld an Automaten. Völlig anders geht der thüringische Landkreis Greiz vor. Dessen 2023 eingeführte Bezahlkarte funktioniert nur in der umliegenden Region und gestattet keinerlei Bargeldbezug. Selbst Flaschenpfand wird Asylbewerbern nicht mehr bar ausbezahlt, sondern auf die Karte geladen. Das Greizer Pilotprojekt zeigt nach Angaben der zuständigen Behörde bereits Wirkung. 15 Betroffene hätten sich nach Einführung der Karte nicht mehr gemeldet, möglicherweise also die Region verlassen. Aus einem anderen thüringischen Landkreis heisst es, einige Asylbewerber- Innen hätten sich einen Minijob gesucht, um an Bargeld zu kommen.
«Wichtig ist, dass sich überhaupt mal etwas tut»
Inspiriert von den Enwicklungen im Nachbarland will nun auch die bernische SVP einen Systemwechsel herbeiführen. Letzte Woche reichte der Grossrat Mathias Müller (Orvin) eine Motion ein, in der er die Einführung einer Bezahlkarte im Kanton Bern fordert. Es sei «traurige Tatsache», dass Unterstützungsgelder zweckentfremdet würden und zum Teil an «Schlepperbanden und Terroristen» flössen. Mit der Bezahlkarte könne man diese Gefahr eindämmen und nebenbei die Integration fördern, da AsylbewerberInnen sich um einen Job bemühen und lokal einkaufen würden. Auch könne man damit Migrationsanreize reduzieren. Dem Motionär schwebt also offenbar eine Karte nach thüringischem Vorbild vor.
Der Vorstoss wird von einzelnen FDP-, EDU- und Mitte-GrossrätInnen unterstützt, und auch der Frutiger Martin Egger (GLP) ist mit von der Partie.
«Die Karte kann verhindern, dass staatliche Hilfen falsch eingesetzt werden, zum Beispiel für Drogen», begründet er auf Nachfrage. Ausserdem seien digitale Bezahlmöglichkeiten viel zeitgemässer und würden die Administration erleichtern. Wie die Karte im Detail ausgestaltet werden soll und wie weit die Einschränkungen tatsächlich gehen, könne man immer noch im Parlament verhandeln. «Wichtig ist, dass sich überhaupt mal etwas tut.»
Zweckentfremdung nicht belegbar
Die Annahmen, die sowohl der Motion als auch dem deutschen Systemwechsel zugrundeliegen, sind indes streitbar. Gegenüber dem Norddeutschen Rundfunk sagte etwa der Integrationswissenschaftler Niklas Harder, es sei nicht nachzuweisen, dass Geld aus Sozialleistungen ins Ausland überwiesen werde: «Die Begründung scheint mir auf aufgebauschten Anekdoten zu beruhen. Es gibt keine verlässlichen Zahlen, die sagen, das sei ein verbreitetes Phänomen.» Und gemäss Herbert Brücker vom deutschen Institut für Arbeitsmarktund Berufsforschung überweisen MigrantInnen erst dann Geld ins Ausland, wenn sie bereits einer Arbeit nachgehen. Auch bezweifeln Migrationsforscher, dass sich Flüchtlingsbewegungen durch simple politische Massnahmen wie die Einführung einer Bezahlkarte steuern liessen – zumal solche Informationen meist gar nicht erst zu den Fliehenden durchsickerten.
Kaum Bargeld im Oberland
Christian Rohr vom Verein Asyl Berner Oberland (ABO) gibt zu bedenken, dass Deutschland ein gänzlich anderes Asylsystem habe. Die Schweiz wende seit 2019 ein beschleunigtes Verfahren an, sodass den Kantonen fast nur noch aussichtsreiche Asylbewerber zugewiesen würden. «Bei uns geht es deshalb von vornherein um Integration. Bargeld zahlen wir höchstens ganz am Anfang aus, wenn die Asylsuchenden noch kein Bankkonto haben», so Rohr. Und was die Zweckentfremdung von Unterstützungsgeldern betrifft, so sei ihm persönlich kein Fall bekannt – auch, weil die Asylsozialhilfe 30 Prozent unter dem normalen Sozialhilfesatz liege.
In Bern ist die Motion noch nicht vom Regierungsrat beantwortet worden. In St. Gallen wurde ein ähnlicher Vorstoss bereits im Februar 2023 eingereicht und wird demnächst im Kantonsrat behandelt. Die St. Galler Regierung plädiert für Nichteintreten.